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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Der israelitische Monotheismus.
und Urenkeln rächte, kennt Hezeqiel nicht mehr. Weder soll
der Vater unter den Verirrungen des Sohnes, noch der Sohn
unter denen des Vaters leiden. Ja der Schuldbelastete selbst,
wenn er in echter Reue sich bessert, soll Vergebung hoffen, denn,
lässt der Prophet den Herrn sagen, nicht an der Vernichtung
des Frevlers ist mir gelegen, sondern an seiner Umkehr 1). Väter-
liches Erbarmen verheisst auch allen Gottesfürchtigen ein Lied 2),
welches David zugeschrieben wird, und zu den vorauseilenden
Schatten des Christenthums gehört der Spruch des Sirach 3), dass
man dem Nächsten zuvor vergeben müsse, ehe man selbst Ver-
zeihung erbitte. Den Propheten dankten die Israeliten unter
andren auch die Beseitigung von schamanistischen Verirrungen.
War es uns zuvor 4) klar geworden, mit welchen Gefahren jedes
Opferwesen die sittliche Wendung der religiösen Regungen be-
droht, so sei es uns verziehen, wenn wir die oft bewunderten
Mahnworte aus Jesaia 5) noch einmal wiederholen: "Eure Fluren,
ruft der Prophet, werden veröden, eure Städte eingeäschert liegen,
eure Saaten vor euren Augen von Fremdlingen aufgezehrt werden,
nichts wird mehr übrig bleiben von der Tochter Sion als gleich-
sam ein Sonnendach in Weinbergen oder eine Nachthütte im
Gurkenfelde, oder der Schutt der Verheerung. Wenn uns der
Herr nicht einige Nachkommenschaft aufgespart hätte, so würden
wir Sodom gleichen und Gomorrha. Höret nun das Wort des
Herrn ihr Häupter der Sodomiter, vernimm den Befehl unsres
Gottes Du Volk von Gomorrha 6). Was bedarf ich eurer zahllosen
Opferthiere? Mir ekelt's! Die Schlächtereien von Widdern, das
Fett der Mastthiere, das Blut von Kälbern, Lämmern und Böcken,
eure Neumondtage, Sabbathe und andre Feste sind mir uner-

1) Ezech. XVIII, 20 sq.
2) Ps. 102. v. 13.
3) c. XXVIII, v. 2.
4) S. oben S. 281--283.
5) cap. 1. v. 7. ff.
6) Zu dieser Stelle bemerkt Steinthal: Der Uebergang von der Ver-
gleichung des Unglücks zur Gleichstellung der Sündhaftigkeit Judäas und
Sodoms ist mir immer von einer so erschütternden Kraft erschienen, dass ich
zweifle, ob in der sämmtlichen rhetorischen Literatur sich eine gleich ergrei-
fende Stelle findet. Zeitschr. für Völkerpsychol. und Sprachwissenschaft.
Berlin, 1866. Bd. IV. S. 228.

Der israelitische Monotheismus.
und Urenkeln rächte, kennt Hezeqiel nicht mehr. Weder soll
der Vater unter den Verirrungen des Sohnes, noch der Sohn
unter denen des Vaters leiden. Ja der Schuldbelastete selbst,
wenn er in echter Reue sich bessert, soll Vergebung hoffen, denn,
lässt der Prophet den Herrn sagen, nicht an der Vernichtung
des Frevlers ist mir gelegen, sondern an seiner Umkehr 1). Väter-
liches Erbarmen verheisst auch allen Gottesfürchtigen ein Lied 2),
welches David zugeschrieben wird, und zu den vorauseilenden
Schatten des Christenthums gehört der Spruch des Sirach 3), dass
man dem Nächsten zuvor vergeben müsse, ehe man selbst Ver-
zeihung erbitte. Den Propheten dankten die Israeliten unter
andren auch die Beseitigung von schamanistischen Verirrungen.
War es uns zuvor 4) klar geworden, mit welchen Gefahren jedes
Opferwesen die sittliche Wendung der religiösen Regungen be-
droht, so sei es uns verziehen, wenn wir die oft bewunderten
Mahnworte aus Jesaia 5) noch einmal wiederholen: „Eure Fluren,
ruft der Prophet, werden veröden, eure Städte eingeäschert liegen,
eure Saaten vor euren Augen von Fremdlingen aufgezehrt werden,
nichts wird mehr übrig bleiben von der Tochter Sion als gleich-
sam ein Sonnendach in Weinbergen oder eine Nachthütte im
Gurkenfelde, oder der Schutt der Verheerung. Wenn uns der
Herr nicht einige Nachkommenschaft aufgespart hätte, so würden
wir Sodom gleichen und Gomorrha. Höret nun das Wort des
Herrn ihr Häupter der Sodomiter, vernimm den Befehl unsres
Gottes Du Volk von Gomorrha 6). Was bedarf ich eurer zahllosen
Opferthiere? Mir ekelt’s! Die Schlächtereien von Widdern, das
Fett der Mastthiere, das Blut von Kälbern, Lämmern und Böcken,
eure Neumondtage, Sabbathe und andre Feste sind mir uner-

1) Ezech. XVIII, 20 sq.
2) Ps. 102. v. 13.
3) c. XXVIII, v. 2.
4) S. oben S. 281—283.
5) cap. 1. v. 7. ff.
6) Zu dieser Stelle bemerkt Steinthal: Der Uebergang von der Ver-
gleichung des Unglücks zur Gleichstellung der Sündhaftigkeit Judäas und
Sodoms ist mir immer von einer so erschütternden Kraft erschienen, dass ich
zweifle, ob in der sämmtlichen rhetorischen Literatur sich eine gleich ergrei-
fende Stelle findet. Zeitschr. für Völkerpsychol. und Sprachwissenschaft.
Berlin, 1866. Bd. IV. S. 228.
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[304/0322] Der israelitische Monotheismus. und Urenkeln rächte, kennt Hezeqiel nicht mehr. Weder soll der Vater unter den Verirrungen des Sohnes, noch der Sohn unter denen des Vaters leiden. Ja der Schuldbelastete selbst, wenn er in echter Reue sich bessert, soll Vergebung hoffen, denn, lässt der Prophet den Herrn sagen, nicht an der Vernichtung des Frevlers ist mir gelegen, sondern an seiner Umkehr 1). Väter- liches Erbarmen verheisst auch allen Gottesfürchtigen ein Lied 2), welches David zugeschrieben wird, und zu den vorauseilenden Schatten des Christenthums gehört der Spruch des Sirach 3), dass man dem Nächsten zuvor vergeben müsse, ehe man selbst Ver- zeihung erbitte. Den Propheten dankten die Israeliten unter andren auch die Beseitigung von schamanistischen Verirrungen. War es uns zuvor 4) klar geworden, mit welchen Gefahren jedes Opferwesen die sittliche Wendung der religiösen Regungen be- droht, so sei es uns verziehen, wenn wir die oft bewunderten Mahnworte aus Jesaia 5) noch einmal wiederholen: „Eure Fluren, ruft der Prophet, werden veröden, eure Städte eingeäschert liegen, eure Saaten vor euren Augen von Fremdlingen aufgezehrt werden, nichts wird mehr übrig bleiben von der Tochter Sion als gleich- sam ein Sonnendach in Weinbergen oder eine Nachthütte im Gurkenfelde, oder der Schutt der Verheerung. Wenn uns der Herr nicht einige Nachkommenschaft aufgespart hätte, so würden wir Sodom gleichen und Gomorrha. Höret nun das Wort des Herrn ihr Häupter der Sodomiter, vernimm den Befehl unsres Gottes Du Volk von Gomorrha 6). Was bedarf ich eurer zahllosen Opferthiere? Mir ekelt’s! Die Schlächtereien von Widdern, das Fett der Mastthiere, das Blut von Kälbern, Lämmern und Böcken, eure Neumondtage, Sabbathe und andre Feste sind mir uner- 1) Ezech. XVIII, 20 sq. 2) Ps. 102. v. 13. 3) c. XXVIII, v. 2. 4) S. oben S. 281—283. 5) cap. 1. v. 7. ff. 6) Zu dieser Stelle bemerkt Steinthal: Der Uebergang von der Ver- gleichung des Unglücks zur Gleichstellung der Sündhaftigkeit Judäas und Sodoms ist mir immer von einer so erschütternden Kraft erschienen, dass ich zweifle, ob in der sämmtlichen rhetorischen Literatur sich eine gleich ergrei- fende Stelle findet. Zeitschr. für Völkerpsychol. und Sprachwissenschaft. Berlin, 1866. Bd. IV. S. 228.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/322>, abgerufen am 23.04.2024.