Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

Bild:
<< vorherige Seite

Der israelitische Monotheismus.
dulden sollte, zu einer immer tieferen und immer reineren Er-
fassung des Gottesgedankens genöthigt wurde. Allein von allen
Völkern des Alterthums besitzen die Juden eine Geschichte, die
in den irdischen Begebenheiten das Walten einer sittlichen Welt-
ordnung zu erkennen sich bestrebt. Sie wurde im Exil verfasst, 1)
in der Stimmung des Elendes, als es keinen Priesterstand mehr
gab, so dass nicht etwa, wie man die Thatsache hat verdrehen
wollen, hierarchische List im Spiele war. Die vorausgehende
Königszeit hatte die Erfahrung eingeprägt, dass die religiöse Ver-
wilderung fast immer den weltlichen Verfall nach sich zog, aber
die heilige Schrift ist auch in solchen Fällen der Wahrheit treu
geblieben, wo fromme Herrscher ins Unglück geriethen oder ab-
trünnigen das Glück bis zu ihrem Ende hold blieb. Aus ihren
Schicksalen in der Königszeit erwarben sich die Juden ihr uner-
schütterliches Gottvertrauen. Mit den Assyriern, lässt die heilige
Schrift den frommen Hizqia ausrufen, sind nur die Sehnen des
Menschenarmes, mit uns aber ist der Herr unser Gott, der für
uns streitet 2). So mahnt auch den verzweifelnden Ijob Elisha da-
ran, wie viele Unheilstifter und Trübsalsäer vor Gottes Hauche
zu Grunde gegangen seien 3). Mit voller Klarheit hatten die Juden
erkannt, dass die Stärke eines Volkes sich nur begründen lasse
auf ein festes Vertrauen zu einer sittlichen Weltordnung. Sie hatten
aus ihrer Geschichte die Lehre gezogen, dass sie stets siegreich
gewesen waren so lange Sittenstrenge unter ihnen herrschte
und dass sie weggeführt wurden als sie vom Gesetze abfielen 4).
Welcher Trost und welches Licht ihnen aus dieser Erkenntniss
in den dunkeln Stunden des Lebens sich ergoss, erklingt in den
Versen des Psalters: Ob ich schon wandere im finstern Thal,
fürchte ich doch kein Unheil, denn Du bist bei mir.

Wie vor, während und nach der Verbannung die religiösen
Anschauungen die frühere kindliche Rohheit abstreiften, merken
wir an einzelnen Zügen. Den Gott des alten Testamentes, der
nie vergab, der die Verschuldung der Voreltern an den Enkeln

1) Nach Ewald israelit. Gesch. Göttingen 1864. Bd. 4. S. 26 entstand
das Buch der Könige um die Mitte der babylonischen Verbannung.
2) 2. Paralipom. XXXII, 7--8.
3) Job. IV, 7--9.
4) Judith, V, 15.

Der israelitische Monotheismus.
dulden sollte, zu einer immer tieferen und immer reineren Er-
fassung des Gottesgedankens genöthigt wurde. Allein von allen
Völkern des Alterthums besitzen die Juden eine Geschichte, die
in den irdischen Begebenheiten das Walten einer sittlichen Welt-
ordnung zu erkennen sich bestrebt. Sie wurde im Exil verfasst, 1)
in der Stimmung des Elendes, als es keinen Priesterstand mehr
gab, so dass nicht etwa, wie man die Thatsache hat verdrehen
wollen, hierarchische List im Spiele war. Die vorausgehende
Königszeit hatte die Erfahrung eingeprägt, dass die religiöse Ver-
wilderung fast immer den weltlichen Verfall nach sich zog, aber
die heilige Schrift ist auch in solchen Fällen der Wahrheit treu
geblieben, wo fromme Herrscher ins Unglück geriethen oder ab-
trünnigen das Glück bis zu ihrem Ende hold blieb. Aus ihren
Schicksalen in der Königszeit erwarben sich die Juden ihr uner-
schütterliches Gottvertrauen. Mit den Assyriern, lässt die heilige
Schrift den frommen Hizqia ausrufen, sind nur die Sehnen des
Menschenarmes, mit uns aber ist der Herr unser Gott, der für
uns streitet 2). So mahnt auch den verzweifelnden Ijob Elisha da-
ran, wie viele Unheilstifter und Trübsalsäer vor Gottes Hauche
zu Grunde gegangen seien 3). Mit voller Klarheit hatten die Juden
erkannt, dass die Stärke eines Volkes sich nur begründen lasse
auf ein festes Vertrauen zu einer sittlichen Weltordnung. Sie hatten
aus ihrer Geschichte die Lehre gezogen, dass sie stets siegreich
gewesen waren so lange Sittenstrenge unter ihnen herrschte
und dass sie weggeführt wurden als sie vom Gesetze abfielen 4).
Welcher Trost und welches Licht ihnen aus dieser Erkenntniss
in den dunkeln Stunden des Lebens sich ergoss, erklingt in den
Versen des Psalters: Ob ich schon wandere im finstern Thal,
fürchte ich doch kein Unheil, denn Du bist bei mir.

Wie vor, während und nach der Verbannung die religiösen
Anschauungen die frühere kindliche Rohheit abstreiften, merken
wir an einzelnen Zügen. Den Gott des alten Testamentes, der
nie vergab, der die Verschuldung der Voreltern an den Enkeln

1) Nach Ewald israelit. Gesch. Göttingen 1864. Bd. 4. S. 26 entstand
das Buch der Könige um die Mitte der babylonischen Verbannung.
2) 2. Paralipom. XXXII, 7—8.
3) Job. IV, 7—9.
4) Judith, V, 15.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0321" n="303"/><fw place="top" type="header">Der israelitische Monotheismus.</fw><lb/>
dulden sollte, zu einer immer tieferen und immer reineren Er-<lb/>
fassung des Gottesgedankens genöthigt wurde. Allein von allen<lb/>
Völkern des Alterthums besitzen die Juden eine Geschichte, die<lb/>
in den irdischen Begebenheiten das Walten einer sittlichen Welt-<lb/>
ordnung zu erkennen sich bestrebt. Sie wurde im Exil verfasst, <note place="foot" n="1)">Nach <hi rendition="#g">Ewald</hi> israelit. Gesch. Göttingen 1864. Bd. 4. S. 26 entstand<lb/>
das Buch der Könige um die Mitte der babylonischen Verbannung.</note><lb/>
in der Stimmung des Elendes, als es keinen Priesterstand mehr<lb/>
gab, so dass nicht etwa, wie man die Thatsache hat verdrehen<lb/>
wollen, hierarchische List im Spiele war. Die vorausgehende<lb/>
Königszeit hatte die Erfahrung eingeprägt, dass die religiöse Ver-<lb/>
wilderung fast immer den weltlichen Verfall nach sich zog, aber<lb/>
die heilige Schrift ist auch in solchen Fällen der Wahrheit treu<lb/>
geblieben, wo fromme Herrscher ins Unglück geriethen oder ab-<lb/>
trünnigen das Glück bis zu ihrem Ende hold blieb. Aus ihren<lb/>
Schicksalen in der Königszeit erwarben sich die Juden ihr uner-<lb/>
schütterliches Gottvertrauen. Mit den Assyriern, lässt die heilige<lb/>
Schrift den frommen Hizqia ausrufen, sind nur die Sehnen des<lb/>
Menschenarmes, mit uns aber ist der Herr unser Gott, der für<lb/>
uns streitet <note place="foot" n="2)">2. Paralipom. XXXII, 7&#x2014;8.</note>. So mahnt auch den verzweifelnden Ijob Elisha da-<lb/>
ran, wie viele Unheilstifter und Trübsalsäer vor Gottes Hauche<lb/>
zu Grunde gegangen seien <note place="foot" n="3)">Job. IV, 7&#x2014;9.</note>. Mit voller Klarheit hatten die Juden<lb/>
erkannt, dass die Stärke eines Volkes sich nur begründen lasse<lb/>
auf ein festes Vertrauen zu einer sittlichen Weltordnung. Sie hatten<lb/>
aus ihrer Geschichte die Lehre gezogen, dass sie stets siegreich<lb/>
gewesen waren so lange Sittenstrenge unter ihnen herrschte<lb/>
und dass sie weggeführt wurden als sie vom Gesetze abfielen <note place="foot" n="4)">Judith, V, 15.</note>.<lb/>
Welcher Trost und welches Licht ihnen aus dieser Erkenntniss<lb/>
in den dunkeln Stunden des Lebens sich ergoss, erklingt in den<lb/>
Versen des Psalters: Ob ich schon wandere im finstern Thal,<lb/>
fürchte ich doch kein Unheil, denn Du bist bei mir.</p><lb/>
          <p>Wie vor, während und nach der Verbannung die religiösen<lb/>
Anschauungen die frühere kindliche Rohheit abstreiften, merken<lb/>
wir an einzelnen Zügen. Den Gott des alten Testamentes, der<lb/>
nie vergab, der die Verschuldung der Voreltern an den Enkeln<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[303/0321] Der israelitische Monotheismus. dulden sollte, zu einer immer tieferen und immer reineren Er- fassung des Gottesgedankens genöthigt wurde. Allein von allen Völkern des Alterthums besitzen die Juden eine Geschichte, die in den irdischen Begebenheiten das Walten einer sittlichen Welt- ordnung zu erkennen sich bestrebt. Sie wurde im Exil verfasst, 1) in der Stimmung des Elendes, als es keinen Priesterstand mehr gab, so dass nicht etwa, wie man die Thatsache hat verdrehen wollen, hierarchische List im Spiele war. Die vorausgehende Königszeit hatte die Erfahrung eingeprägt, dass die religiöse Ver- wilderung fast immer den weltlichen Verfall nach sich zog, aber die heilige Schrift ist auch in solchen Fällen der Wahrheit treu geblieben, wo fromme Herrscher ins Unglück geriethen oder ab- trünnigen das Glück bis zu ihrem Ende hold blieb. Aus ihren Schicksalen in der Königszeit erwarben sich die Juden ihr uner- schütterliches Gottvertrauen. Mit den Assyriern, lässt die heilige Schrift den frommen Hizqia ausrufen, sind nur die Sehnen des Menschenarmes, mit uns aber ist der Herr unser Gott, der für uns streitet 2). So mahnt auch den verzweifelnden Ijob Elisha da- ran, wie viele Unheilstifter und Trübsalsäer vor Gottes Hauche zu Grunde gegangen seien 3). Mit voller Klarheit hatten die Juden erkannt, dass die Stärke eines Volkes sich nur begründen lasse auf ein festes Vertrauen zu einer sittlichen Weltordnung. Sie hatten aus ihrer Geschichte die Lehre gezogen, dass sie stets siegreich gewesen waren so lange Sittenstrenge unter ihnen herrschte und dass sie weggeführt wurden als sie vom Gesetze abfielen 4). Welcher Trost und welches Licht ihnen aus dieser Erkenntniss in den dunkeln Stunden des Lebens sich ergoss, erklingt in den Versen des Psalters: Ob ich schon wandere im finstern Thal, fürchte ich doch kein Unheil, denn Du bist bei mir. Wie vor, während und nach der Verbannung die religiösen Anschauungen die frühere kindliche Rohheit abstreiften, merken wir an einzelnen Zügen. Den Gott des alten Testamentes, der nie vergab, der die Verschuldung der Voreltern an den Enkeln 1) Nach Ewald israelit. Gesch. Göttingen 1864. Bd. 4. S. 26 entstand das Buch der Könige um die Mitte der babylonischen Verbannung. 2) 2. Paralipom. XXXII, 7—8. 3) Job. IV, 7—9. 4) Judith, V, 15.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/321
Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/321>, abgerufen am 19.04.2024.