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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Der israelitische Monotheismus.
eine solche Behauptung weder streng begründen, noch streng wider-
legen. Wenig glaubwürdig aber erscheint es, dass ein einzelner,
wenn auch noch so feuriger und hochbegabter Geist die Gemüther
eines Volksstammes zu einer völlig neuen Welterklärung bekehrt
haben sollte, wenn sie nicht schon für diese Wendung vorbereitet
gewesen wären. Der Gedanke an den untheilbaren Gott erforderte
aber, wie alle irdischen Vorgänge, eine lange Entwickelung. Das
alte Testament zeigt uns diesen Gedanken oft dem Erlöschen nahe,
verdunkelt wie die Sonne durch vorüberziehendes Gewölk an einem
trüben Tage. Selbst Mose ist nicht unerschütterlich gewesen, sonst
hätte er nimmer die eherne Schlange in der Wüste zur Abwehr
gegen den Guineawurm auf der sinaitischen Halbinsel errichten
lassen. Erst unter dem frommen König Hizqia, als eine viel reinere
und schärfere Auffassung des Gottesgedankens zur Geltung gelangt
war, wurde dieser Fetisch vernichtet. Spuren von Schamanismus
wiederum enthält das gottesgerichtliche Verfahren bei Anschuldigung
des Ehebruches. Das verdächtigte Weib soll Wasser trinken, in
welchem ein Papier mit schriftlichen Verfluchungen abgespült
worden war 1), genau wie mohammedanische Priester heutigen
Tages Kranke durch Wasser heilen wollen, mit welchem auf-
geschriebene Qoransprüche abgewaschen wurden 2). Dass auch
Frauen sich mit Todtenbeschwörungen abgaben, bezeugt uns der
heimliche Besuch Sauls bei der Zauberpriesterin von Aendor, und
noch zu Josia's Zeiten bestand ein geehrtes Orakel in Jerusalem.
Gleich nach Joshua's Tode hatte sich eine traurige Verwilderung
der Gemüther bemächtigt, und der Jahvedienst besudelte sich mit
Menschenopfern, die noch bis in die Königszeit fortdauerten 3).
Auch galt in den älteren Zeiten Jahve nur als der ausschliessliche
Hort des Hebräerstammes, als ein Schutzpatron von grösserer Macht
wie die Gottheiten der feindlichen Stämme 4). So lässt Jiftah dem
Amonäerkönig durch seine Botschafter sagen: "Gehört nicht Dir

1) Numer. V, 19 ff.
2) Wie die schamanistischen Wahngebilde zur Zeit des Exils um sich
griffen, ist aus Tob. VI, 6--10 ersichtlich.
3) Keine Sophistik vermag das menschliche Grauen zu mildern, welches
uns bei der Erzählung von Jiftah's Töchterlein (Jud. XI, 34 ff.) ergreift. Ueber
die Menschenopfer unter Saul und David vgl. 1. Regum XIV, 23--45. und
2. Regum XXI, 6.
4) Exod. XV, 11 u. XVIII. 11.

Der israelitische Monotheismus.
eine solche Behauptung weder streng begründen, noch streng wider-
legen. Wenig glaubwürdig aber erscheint es, dass ein einzelner,
wenn auch noch so feuriger und hochbegabter Geist die Gemüther
eines Volksstammes zu einer völlig neuen Welterklärung bekehrt
haben sollte, wenn sie nicht schon für diese Wendung vorbereitet
gewesen wären. Der Gedanke an den untheilbaren Gott erforderte
aber, wie alle irdischen Vorgänge, eine lange Entwickelung. Das
alte Testament zeigt uns diesen Gedanken oft dem Erlöschen nahe,
verdunkelt wie die Sonne durch vorüberziehendes Gewölk an einem
trüben Tage. Selbst Mose ist nicht unerschütterlich gewesen, sonst
hätte er nimmer die eherne Schlange in der Wüste zur Abwehr
gegen den Guineawurm auf der sinaitischen Halbinsel errichten
lassen. Erst unter dem frommen König Hizqia, als eine viel reinere
und schärfere Auffassung des Gottesgedankens zur Geltung gelangt
war, wurde dieser Fetisch vernichtet. Spuren von Schamanismus
wiederum enthält das gottesgerichtliche Verfahren bei Anschuldigung
des Ehebruches. Das verdächtigte Weib soll Wasser trinken, in
welchem ein Papier mit schriftlichen Verfluchungen abgespült
worden war 1), genau wie mohammedanische Priester heutigen
Tages Kranke durch Wasser heilen wollen, mit welchem auf-
geschriebene Qorânsprüche abgewaschen wurden 2). Dass auch
Frauen sich mit Todtenbeschwörungen abgaben, bezeugt uns der
heimliche Besuch Sauls bei der Zauberpriesterin von Aendôr, und
noch zu Josia’s Zeiten bestand ein geehrtes Orakel in Jerusalem.
Gleich nach Joshua’s Tode hatte sich eine traurige Verwilderung
der Gemüther bemächtigt, und der Jahvedienst besudelte sich mit
Menschenopfern, die noch bis in die Königszeit fortdauerten 3).
Auch galt in den älteren Zeiten Jahve nur als der ausschliessliche
Hort des Hebräerstammes, als ein Schutzpatron von grösserer Macht
wie die Gottheiten der feindlichen Stämme 4). So lässt Jiftah dem
Amonäerkönig durch seine Botschafter sagen: „Gehört nicht Dir

1) Numer. V, 19 ff.
2) Wie die schamanistischen Wahngebilde zur Zeit des Exils um sich
griffen, ist aus Tob. VI, 6—10 ersichtlich.
3) Keine Sophistik vermag das menschliche Grauen zu mildern, welches
uns bei der Erzählung von Jiftah’s Töchterlein (Jud. XI, 34 ff.) ergreift. Ueber
die Menschenopfer unter Saul und David vgl. 1. Regum XIV, 23—45. und
2. Regum XXI, 6.
4) Exod. XV, 11 u. XVIII. 11.
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[301/0319] Der israelitische Monotheismus. eine solche Behauptung weder streng begründen, noch streng wider- legen. Wenig glaubwürdig aber erscheint es, dass ein einzelner, wenn auch noch so feuriger und hochbegabter Geist die Gemüther eines Volksstammes zu einer völlig neuen Welterklärung bekehrt haben sollte, wenn sie nicht schon für diese Wendung vorbereitet gewesen wären. Der Gedanke an den untheilbaren Gott erforderte aber, wie alle irdischen Vorgänge, eine lange Entwickelung. Das alte Testament zeigt uns diesen Gedanken oft dem Erlöschen nahe, verdunkelt wie die Sonne durch vorüberziehendes Gewölk an einem trüben Tage. Selbst Mose ist nicht unerschütterlich gewesen, sonst hätte er nimmer die eherne Schlange in der Wüste zur Abwehr gegen den Guineawurm auf der sinaitischen Halbinsel errichten lassen. Erst unter dem frommen König Hizqia, als eine viel reinere und schärfere Auffassung des Gottesgedankens zur Geltung gelangt war, wurde dieser Fetisch vernichtet. Spuren von Schamanismus wiederum enthält das gottesgerichtliche Verfahren bei Anschuldigung des Ehebruches. Das verdächtigte Weib soll Wasser trinken, in welchem ein Papier mit schriftlichen Verfluchungen abgespült worden war 1), genau wie mohammedanische Priester heutigen Tages Kranke durch Wasser heilen wollen, mit welchem auf- geschriebene Qorânsprüche abgewaschen wurden 2). Dass auch Frauen sich mit Todtenbeschwörungen abgaben, bezeugt uns der heimliche Besuch Sauls bei der Zauberpriesterin von Aendôr, und noch zu Josia’s Zeiten bestand ein geehrtes Orakel in Jerusalem. Gleich nach Joshua’s Tode hatte sich eine traurige Verwilderung der Gemüther bemächtigt, und der Jahvedienst besudelte sich mit Menschenopfern, die noch bis in die Königszeit fortdauerten 3). Auch galt in den älteren Zeiten Jahve nur als der ausschliessliche Hort des Hebräerstammes, als ein Schutzpatron von grösserer Macht wie die Gottheiten der feindlichen Stämme 4). So lässt Jiftah dem Amonäerkönig durch seine Botschafter sagen: „Gehört nicht Dir 1) Numer. V, 19 ff. 2) Wie die schamanistischen Wahngebilde zur Zeit des Exils um sich griffen, ist aus Tob. VI, 6—10 ersichtlich. 3) Keine Sophistik vermag das menschliche Grauen zu mildern, welches uns bei der Erzählung von Jiftah’s Töchterlein (Jud. XI, 34 ff.) ergreift. Ueber die Menschenopfer unter Saul und David vgl. 1. Regum XIV, 23—45. und 2. Regum XXI, 6. 4) Exod. XV, 11 u. XVIII. 11.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/319>, abgerufen am 20.04.2024.