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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die dualistischen Religionen.
Einen Dienst des bösen mit Vernachlässigung des guten Geistes
finden wir bei den Congo-Afrikanern 1) und bei den Hottentotten 2).
Die Neger der Sklavenküste bekennen: Gott sei so erhaben und
gross, dass er sich um die niedrige Menschenwelt nicht kümmere 3).
Genau von denselben Vorstellungen lassen sich in Amerika zu-
nächst die Patagonier beherrschen, denn auch sie verehren nur
den schädlichen Gualitschu 4). Da auch die Abiponen nur den
finsteren Gottheiten dienten, bezeichnet sie Dobrizhoffer als Teufels-
anbeter 5) Appun 6), der uns die Namen der guten und der bösen
Geister bei den Arowaken-, Warrau-, Arekuna-, Macuschi-, Cariben-
und Atorai-Stämmen Guayana's mittheilt, fügt ebenfalls hinzu, der
Schöpfer selbst werde als ein so unendlich erhabenes Wesen ge-
dacht, dass es sich um den Einzelnen nicht kümmere. Sonne
und Mond vertreten bei den Botocuden die beiden Naturen des
Göttlichen 7). Dualistische Rollen vertheilten die alten Aegypter
zwischen Hesiri (Osiris) und Set, die Chaldäer unter die Planeten:
Jupiter und Venus waren die günstigen, Saturn und Mars die
schädlichen Gestirne, der wankelmüthige Merkur aber schloss
sich stets den jeweiligen Beherrschern des astrologischen Himmels
an. Die Verehrung des schrecklichen Civa in Indien darf eben-
falls als ein Versöhnungsversuch betrachtet werden und ein so-
genannter Teufelsdienst hat sich in Vorderasien bei den Jesidi
noch erhalten können, obgleich rings herum reinere Religionen
zur Herrschaft gelangt sind. Gewiss muss im Menschen eine
grosse sittliche Veredelung vor sich gegangen sein, bevor er sich
entschliesst, der gutgesinnten Gottesmacht seine Verehrung darzu-
bringen; es ist dann nicht mehr Furcht, die ihn bewegt, sondern
ein dankbarer Drang. Auf dieser Stufe finden wir zu unserer
Ueberraschung die Australier in Neu-Süd-Wales, die nicht dem
übelgesinnten Potoyan, sondern einer gütigen Macht unter dem

1) Winwood Reade, Savage Africa. London 1863. p. 250.
2) Kolbe, Cap der guten Hoffnung, S. 414.
3) Bosman, Guinese Goud-Kust. Utrecht 1704. tom. II. p. 154.
4) Musters. Unter den Patagoniern. Deutsch von J. E. A. Martin.
Jena 1873. S. 193.
5) Geschichte der Abiponer. Bd. 2. S. 87.
6) Ausland 1872. No. 29. S. 683--684.
7) v. Martius, Ethnographie. Bd. 1. S. 327.

Die dualistischen Religionen.
Einen Dienst des bösen mit Vernachlässigung des guten Geistes
finden wir bei den Congo-Afrikanern 1) und bei den Hottentotten 2).
Die Neger der Sklavenküste bekennen: Gott sei so erhaben und
gross, dass er sich um die niedrige Menschenwelt nicht kümmere 3).
Genau von denselben Vorstellungen lassen sich in Amerika zu-
nächst die Patagonier beherrschen, denn auch sie verehren nur
den schädlichen Gualitschu 4). Da auch die Abiponen nur den
finsteren Gottheiten dienten, bezeichnet sie Dobrizhoffer als Teufels-
anbeter 5) Appun 6), der uns die Namen der guten und der bösen
Geister bei den Arowaken-, Warrau-, Arekuna-, Macuschi-, Cariben-
und Atorai-Stämmen Guayana’s mittheilt, fügt ebenfalls hinzu, der
Schöpfer selbst werde als ein so unendlich erhabenes Wesen ge-
dacht, dass es sich um den Einzelnen nicht kümmere. Sonne
und Mond vertreten bei den Botocuden die beiden Naturen des
Göttlichen 7). Dualistische Rollen vertheilten die alten Aegypter
zwischen Hesiri (Osiris) und Set, die Chaldäer unter die Planeten:
Jupiter und Venus waren die günstigen, Saturn und Mars die
schädlichen Gestirne, der wankelmüthige Merkur aber schloss
sich stets den jeweiligen Beherrschern des astrologischen Himmels
an. Die Verehrung des schrecklichen Çiva in Indien darf eben-
falls als ein Versöhnungsversuch betrachtet werden und ein so-
genannter Teufelsdienst hat sich in Vorderasien bei den Jesidi
noch erhalten können, obgleich rings herum reinere Religionen
zur Herrschaft gelangt sind. Gewiss muss im Menschen eine
grosse sittliche Veredelung vor sich gegangen sein, bevor er sich
entschliesst, der gutgesinnten Gottesmacht seine Verehrung darzu-
bringen; es ist dann nicht mehr Furcht, die ihn bewegt, sondern
ein dankbarer Drang. Auf dieser Stufe finden wir zu unserer
Ueberraschung die Australier in Neu-Süd-Wales, die nicht dem
übelgesinnten Potoyan, sondern einer gütigen Macht unter dem

1) Winwood Reade, Savage Africa. London 1863. p. 250.
2) Kolbe, Cap der guten Hoffnung, S. 414.
3) Bosman, Guinese Goud-Kust. Utrecht 1704. tom. II. p. 154.
4) Musters. Unter den Patagoniern. Deutsch von J. E. A. Martin.
Jena 1873. S. 193.
5) Geschichte der Abiponer. Bd. 2. S. 87.
6) Ausland 1872. No. 29. S. 683—684.
7) v. Martius, Ethnographie. Bd. 1. S. 327.
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[293/0311] Die dualistischen Religionen. Einen Dienst des bösen mit Vernachlässigung des guten Geistes finden wir bei den Congo-Afrikanern 1) und bei den Hottentotten 2). Die Neger der Sklavenküste bekennen: Gott sei so erhaben und gross, dass er sich um die niedrige Menschenwelt nicht kümmere 3). Genau von denselben Vorstellungen lassen sich in Amerika zu- nächst die Patagonier beherrschen, denn auch sie verehren nur den schädlichen Gualitschu 4). Da auch die Abiponen nur den finsteren Gottheiten dienten, bezeichnet sie Dobrizhoffer als Teufels- anbeter 5) Appun 6), der uns die Namen der guten und der bösen Geister bei den Arowaken-, Warrau-, Arekuna-, Macuschi-, Cariben- und Atorai-Stämmen Guayana’s mittheilt, fügt ebenfalls hinzu, der Schöpfer selbst werde als ein so unendlich erhabenes Wesen ge- dacht, dass es sich um den Einzelnen nicht kümmere. Sonne und Mond vertreten bei den Botocuden die beiden Naturen des Göttlichen 7). Dualistische Rollen vertheilten die alten Aegypter zwischen Hesiri (Osiris) und Set, die Chaldäer unter die Planeten: Jupiter und Venus waren die günstigen, Saturn und Mars die schädlichen Gestirne, der wankelmüthige Merkur aber schloss sich stets den jeweiligen Beherrschern des astrologischen Himmels an. Die Verehrung des schrecklichen Çiva in Indien darf eben- falls als ein Versöhnungsversuch betrachtet werden und ein so- genannter Teufelsdienst hat sich in Vorderasien bei den Jesidi noch erhalten können, obgleich rings herum reinere Religionen zur Herrschaft gelangt sind. Gewiss muss im Menschen eine grosse sittliche Veredelung vor sich gegangen sein, bevor er sich entschliesst, der gutgesinnten Gottesmacht seine Verehrung darzu- bringen; es ist dann nicht mehr Furcht, die ihn bewegt, sondern ein dankbarer Drang. Auf dieser Stufe finden wir zu unserer Ueberraschung die Australier in Neu-Süd-Wales, die nicht dem übelgesinnten Potoyan, sondern einer gütigen Macht unter dem 1) Winwood Reade, Savage Africa. London 1863. p. 250. 2) Kolbe, Cap der guten Hoffnung, S. 414. 3) Bosman, Guinese Goud-Kust. Utrecht 1704. tom. II. p. 154. 4) Musters. Unter den Patagoniern. Deutsch von J. E. A. Martin. Jena 1873. S. 193. 5) Geschichte der Abiponer. Bd. 2. S. 87. 6) Ausland 1872. No. 29. S. 683—684. 7) v. Martius, Ethnographie. Bd. 1. S. 327.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/311>, abgerufen am 20.04.2024.