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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die Religion des Buddha.
guten und bösen Werke, und diese letzteren ziehen als eine gesetz-
liche Folge eine Neugeburt nach sich 1).

Die buddhistische Weltanschauung, wie sie Cakjamuni selbst
oder vielleicht nur seine Jüngerschaft gelehrt haben mag, hat bei-
nahe die Züge einer Gemüthskrankheit. Das Leben selbst erscheint
als die höchste Last und seiner Erneuerung sich zu entziehen,
"die Schale des Eies zu durchstossen", hinauszutreten aus dem
Zwang der ewigen Wiedergeburten, galt als die höchste Stufe der
Erlösung. Der Grundgedanke des Buddhismus war in den soge-
nannten vier Wahrheiten zusammengefasst: dass aus dem Sein
unser Elend quelle, dass dieses Elend nur durch die fortgesetzte
Anhänglichkeit an die Sinnenwelt entstehe, dass ein Abstreifen
dieser Anhänglichkeit vom Dasein erlöse und endlich, dass es
einen Pfad zu einer solchen Erlösung gebe. Dieser Pfad zur
Buddhahöhe forderte Entsagung und regungsloses Versenken in
sich selbst. Nirvana heisst der letzte und höchste Zustand, den
der Fromme zu erreichen vermag, nur ist immer gestritten worden,
ob Nirvana überhaupt ein Zustand genannt werden darf. Zum
Nirvana gelangte Buddha selbst stufenweise. Zuerst genoss er
das Gefühl der Befreiung von der Sünde, hierauf vernichtete er
die Befriedigung darüber im Verlangen nach dem höchsten Ziele,
dann erlosch ihm auch dieses Verlangen bis zu völliger Gleich-
giltigkeit, in welche letztere sich aber noch ein Behagen über
diese mischte. Auch dieses Behagen musste verschwinden,
Freude, Qual, Erinnerung in die Unendlichkeit des Raumes
oder das Nichts zerfliessen; im Nichts aber blieb ihm doch
noch dass Bewusstsein des Nichts, endlich erstarb auch dieses
in den Gebieten der völligen Ruhe, die weder durch das Nichts,
noch durch etwas, was das Nichts nicht wäre, gestört wird.
Das Nirvana oder höchste Ziel des Buddhismus über dessen Be-
deutung die verschiedenen Secten sich nicht geeinigt haben, war
also ursprünglich und wörtlich ein Verlöschen, eine gänzliche Ver-
nichtung, welche jede Wiedergeburt ausschloss. Die nördlichen
oder neugläubigen Buddhisten gingen daher so weit, im Denken
selbst die Wurzel der Unwissenheit, durch Zulassung eines
Begriffes eine Verfinsterung des Geistes anzunehmen und Be-

1) Köppen. l. c. Bd. 1. S. 300.

Die Religion des Buddha.
guten und bösen Werke, und diese letzteren ziehen als eine gesetz-
liche Folge eine Neugeburt nach sich 1).

Die buddhistische Weltanschauung, wie sie Çákjamuni selbst
oder vielleicht nur seine Jüngerschaft gelehrt haben mag, hat bei-
nahe die Züge einer Gemüthskrankheit. Das Leben selbst erscheint
als die höchste Last und seiner Erneuerung sich zu entziehen,
„die Schale des Eies zu durchstossen“, hinauszutreten aus dem
Zwang der ewigen Wiedergeburten, galt als die höchste Stufe der
Erlösung. Der Grundgedanke des Buddhismus war in den soge-
nannten vier Wahrheiten zusammengefasst: dass aus dem Sein
unser Elend quelle, dass dieses Elend nur durch die fortgesetzte
Anhänglichkeit an die Sinnenwelt entstehe, dass ein Abstreifen
dieser Anhänglichkeit vom Dasein erlöse und endlich, dass es
einen Pfad zu einer solchen Erlösung gebe. Dieser Pfad zur
Buddhahöhe forderte Entsagung und regungsloses Versenken in
sich selbst. Nirvâna heisst der letzte und höchste Zustand, den
der Fromme zu erreichen vermag, nur ist immer gestritten worden,
ob Nirvâna überhaupt ein Zustand genannt werden darf. Zum
Nirvâna gelangte Buddha selbst stufenweise. Zuerst genoss er
das Gefühl der Befreiung von der Sünde, hierauf vernichtete er
die Befriedigung darüber im Verlangen nach dem höchsten Ziele,
dann erlosch ihm auch dieses Verlangen bis zu völliger Gleich-
giltigkeit, in welche letztere sich aber noch ein Behagen über
diese mischte. Auch dieses Behagen musste verschwinden,
Freude, Qual, Erinnerung in die Unendlichkeit des Raumes
oder das Nichts zerfliessen; im Nichts aber blieb ihm doch
noch dass Bewusstsein des Nichts, endlich erstarb auch dieses
in den Gebieten der völligen Ruhe, die weder durch das Nichts,
noch durch etwas, was das Nichts nicht wäre, gestört wird.
Das Nirvâna oder höchste Ziel des Buddhismus über dessen Be-
deutung die verschiedenen Secten sich nicht geeinigt haben, war
also ursprünglich und wörtlich ein Verlöschen, eine gänzliche Ver-
nichtung, welche jede Wiedergeburt ausschloss. Die nördlichen
oder neugläubigen Buddhisten gingen daher so weit, im Denken
selbst die Wurzel der Unwissenheit, durch Zulassung eines
Begriffes eine Verfinsterung des Geistes anzunehmen und Be-

1) Köppen. l. c. Bd. 1. S. 300.
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[287/0305] Die Religion des Buddha. guten und bösen Werke, und diese letzteren ziehen als eine gesetz- liche Folge eine Neugeburt nach sich 1). Die buddhistische Weltanschauung, wie sie Çákjamuni selbst oder vielleicht nur seine Jüngerschaft gelehrt haben mag, hat bei- nahe die Züge einer Gemüthskrankheit. Das Leben selbst erscheint als die höchste Last und seiner Erneuerung sich zu entziehen, „die Schale des Eies zu durchstossen“, hinauszutreten aus dem Zwang der ewigen Wiedergeburten, galt als die höchste Stufe der Erlösung. Der Grundgedanke des Buddhismus war in den soge- nannten vier Wahrheiten zusammengefasst: dass aus dem Sein unser Elend quelle, dass dieses Elend nur durch die fortgesetzte Anhänglichkeit an die Sinnenwelt entstehe, dass ein Abstreifen dieser Anhänglichkeit vom Dasein erlöse und endlich, dass es einen Pfad zu einer solchen Erlösung gebe. Dieser Pfad zur Buddhahöhe forderte Entsagung und regungsloses Versenken in sich selbst. Nirvâna heisst der letzte und höchste Zustand, den der Fromme zu erreichen vermag, nur ist immer gestritten worden, ob Nirvâna überhaupt ein Zustand genannt werden darf. Zum Nirvâna gelangte Buddha selbst stufenweise. Zuerst genoss er das Gefühl der Befreiung von der Sünde, hierauf vernichtete er die Befriedigung darüber im Verlangen nach dem höchsten Ziele, dann erlosch ihm auch dieses Verlangen bis zu völliger Gleich- giltigkeit, in welche letztere sich aber noch ein Behagen über diese mischte. Auch dieses Behagen musste verschwinden, Freude, Qual, Erinnerung in die Unendlichkeit des Raumes oder das Nichts zerfliessen; im Nichts aber blieb ihm doch noch dass Bewusstsein des Nichts, endlich erstarb auch dieses in den Gebieten der völligen Ruhe, die weder durch das Nichts, noch durch etwas, was das Nichts nicht wäre, gestört wird. Das Nirvâna oder höchste Ziel des Buddhismus über dessen Be- deutung die verschiedenen Secten sich nicht geeinigt haben, war also ursprünglich und wörtlich ein Verlöschen, eine gänzliche Ver- nichtung, welche jede Wiedergeburt ausschloss. Die nördlichen oder neugläubigen Buddhisten gingen daher so weit, im Denken selbst die Wurzel der Unwissenheit, durch Zulassung eines Begriffes eine Verfinsterung des Geistes anzunehmen und Be- 1) Köppen. l. c. Bd. 1. S. 300.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/305>, abgerufen am 20.04.2024.