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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die Lehre des Buddha.
und der Opfer, wie wir sahen, bis zur Macht über die alten Götter
gesteigert, die zur dienenden Rolle als Welthüter herabgedrückt
wurden. Die geschichtlich älteste Bedeutung von Brahma 1) war
Gebet und Brahmanen hiessen ursprünglich die Betenden. Männ-
lich gedacht erschien dann Brahma als Gott des Gebetes und
weiterhin als Weltenschöpfer. Priesterlicher Dialectik wurde nun
die Aufgabe gestellt, in den Brahmana- oder Ritualbüchern durch
künstliche Auslegung die Lehren der Veden bis zur Ueberein-
stimmung mit den Neugeburten der Religionsphilosophie zu ver-
renken 2).

Brahma oder die Allseele wurde als das einzig Seiende, die
sinnlich wahrnehmbare Welt dagegen nur als ein Scheingebilde
erklärt, als ein Werk der Maja oder des Truges, unkörperlich wie
das stille Bild des Mondes auf einer spiegelnden Wasserfläche.
Diese Täuschung zu durchschauen, ihr zuzurufen, dass sie nicht
sei, Brahma als das Seiende mit Du zu begrüssen und sich selbst
mit ihm als Eins zu erkennen, führte zur Befreiung des Ich aus
allen Irrsalen der Sinnenwelt und zum Zurückfallen in den Brahma.
Aehnlich wie diese Lehre des Vedanta, suchte auch die Sankhja-
Philosophie eine Erlösung der Seele aus dem Kerker des mensch-
lichen Leibes, auch sie erkannte in allen Sinneswahrnehmungen
nur eine Täuschung, aber sie erwartete eine Befreiung nicht durch
ein Zerschmelzen in die Gottheit, sondern durch einen Rückzug
der Seele in sich selbst und durch ihre Abtrennung von der
Körperwelt. Der grosse Spruch des Vedanta lautete: Ich bin das
Das, ich bin das Brahma; die Sankhjaschule sagte hingegen: ich
bin nicht das Das (die Natur) 3).

Die Gemüther der Indier wurden und werden noch beherrscht
von der Vorstellung einer Unzerstörbarkeit der Seele. Neigung
zum Trübsinn und zum Lebensüberdruss hat sie schon in den
ältesten Zeiten beschlichen. Ein endloses Echo von Wanderungen
der Seele begleitete sie als Drohung bei allen Schritten. Wie
äusserst wenigen leicht gestimmten Herzen begegnen wir unter
uns, die gern noch einmal ihr eignes Leben mit seinen Ent-
täuschungen und finstern Stunden von frischem beginnen möchten?

1) J. Muir, Sanskrit texts. 2d. ed. London. 1872. tom. I, p. 241.
2) Duncker, Geschichte des Alterthums. 1. Aufl. Bd. 2. S. 156.
3) Köppen, Religion des Buddha. Berlin 1857. Bd. 1. S. 69.

Die Lehre des Buddha.
und der Opfer, wie wir sahen, bis zur Macht über die alten Götter
gesteigert, die zur dienenden Rolle als Welthüter herabgedrückt
wurden. Die geschichtlich älteste Bedeutung von Brahma 1) war
Gebet und Brahmanen hiessen ursprünglich die Betenden. Männ-
lich gedacht erschien dann Brâhma als Gott des Gebetes und
weiterhin als Weltenschöpfer. Priesterlicher Dialectik wurde nun
die Aufgabe gestellt, in den Brahmana- oder Ritualbüchern durch
künstliche Auslegung die Lehren der Veden bis zur Ueberein-
stimmung mit den Neugeburten der Religionsphilosophie zu ver-
renken 2).

Brâhma oder die Allseele wurde als das einzig Seiende, die
sinnlich wahrnehmbare Welt dagegen nur als ein Scheingebilde
erklärt, als ein Werk der Maja oder des Truges, unkörperlich wie
das stille Bild des Mondes auf einer spiegelnden Wasserfläche.
Diese Täuschung zu durchschauen, ihr zuzurufen, dass sie nicht
sei, Brâhma als das Seiende mit Du zu begrüssen und sich selbst
mit ihm als Eins zu erkennen, führte zur Befreiung des Ich aus
allen Irrsalen der Sinnenwelt und zum Zurückfallen in den Brâhma.
Aehnlich wie diese Lehre des Vêdânta, suchte auch die Sânkhja-
Philosophie eine Erlösung der Seele aus dem Kerker des mensch-
lichen Leibes, auch sie erkannte in allen Sinneswahrnehmungen
nur eine Täuschung, aber sie erwartete eine Befreiung nicht durch
ein Zerschmelzen in die Gottheit, sondern durch einen Rückzug
der Seele in sich selbst und durch ihre Abtrennung von der
Körperwelt. Der grosse Spruch des Vêdânta lautete: Ich bin das
Das, ich bin das Brahma; die Sânkhjaschule sagte hingegen: ich
bin nicht das Das (die Natur) 3).

Die Gemüther der Indier wurden und werden noch beherrscht
von der Vorstellung einer Unzerstörbarkeit der Seele. Neigung
zum Trübsinn und zum Lebensüberdruss hat sie schon in den
ältesten Zeiten beschlichen. Ein endloses Echo von Wanderungen
der Seele begleitete sie als Drohung bei allen Schritten. Wie
äusserst wenigen leicht gestimmten Herzen begegnen wir unter
uns, die gern noch einmal ihr eignes Leben mit seinen Ent-
täuschungen und finstern Stunden von frischem beginnen möchten?

1) J. Muir, Sanskrit texts. 2d. ed. London. 1872. tom. I, p. 241.
2) Duncker, Geschichte des Alterthums. 1. Aufl. Bd. 2. S. 156.
3) Köppen, Religion des Buddha. Berlin 1857. Bd. 1. S. 69.
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[284/0302] Die Lehre des Buddha. und der Opfer, wie wir sahen, bis zur Macht über die alten Götter gesteigert, die zur dienenden Rolle als Welthüter herabgedrückt wurden. Die geschichtlich älteste Bedeutung von Brahma 1) war Gebet und Brahmanen hiessen ursprünglich die Betenden. Männ- lich gedacht erschien dann Brâhma als Gott des Gebetes und weiterhin als Weltenschöpfer. Priesterlicher Dialectik wurde nun die Aufgabe gestellt, in den Brahmana- oder Ritualbüchern durch künstliche Auslegung die Lehren der Veden bis zur Ueberein- stimmung mit den Neugeburten der Religionsphilosophie zu ver- renken 2). Brâhma oder die Allseele wurde als das einzig Seiende, die sinnlich wahrnehmbare Welt dagegen nur als ein Scheingebilde erklärt, als ein Werk der Maja oder des Truges, unkörperlich wie das stille Bild des Mondes auf einer spiegelnden Wasserfläche. Diese Täuschung zu durchschauen, ihr zuzurufen, dass sie nicht sei, Brâhma als das Seiende mit Du zu begrüssen und sich selbst mit ihm als Eins zu erkennen, führte zur Befreiung des Ich aus allen Irrsalen der Sinnenwelt und zum Zurückfallen in den Brâhma. Aehnlich wie diese Lehre des Vêdânta, suchte auch die Sânkhja- Philosophie eine Erlösung der Seele aus dem Kerker des mensch- lichen Leibes, auch sie erkannte in allen Sinneswahrnehmungen nur eine Täuschung, aber sie erwartete eine Befreiung nicht durch ein Zerschmelzen in die Gottheit, sondern durch einen Rückzug der Seele in sich selbst und durch ihre Abtrennung von der Körperwelt. Der grosse Spruch des Vêdânta lautete: Ich bin das Das, ich bin das Brahma; die Sânkhjaschule sagte hingegen: ich bin nicht das Das (die Natur) 3). Die Gemüther der Indier wurden und werden noch beherrscht von der Vorstellung einer Unzerstörbarkeit der Seele. Neigung zum Trübsinn und zum Lebensüberdruss hat sie schon in den ältesten Zeiten beschlichen. Ein endloses Echo von Wanderungen der Seele begleitete sie als Drohung bei allen Schritten. Wie äusserst wenigen leicht gestimmten Herzen begegnen wir unter uns, die gern noch einmal ihr eignes Leben mit seinen Ent- täuschungen und finstern Stunden von frischem beginnen möchten? 1) J. Muir, Sanskrit texts. 2d. ed. London. 1872. tom. I, p. 241. 2) Duncker, Geschichte des Alterthums. 1. Aufl. Bd. 2. S. 156. 3) Köppen, Religion des Buddha. Berlin 1857. Bd. 1. S. 69.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/302>, abgerufen am 23.04.2024.