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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Der Schamanismus.

Ein anderer Erwerbszweig der Schamanen beruht auf der
Gabe, in Verkehr mit unsichtbaren Mächten, bisweilen mit den
Geistern der Abgeschiedenen zu treten und von ihnen Offenbarungen
über Künftiges zu empfangen. Der religiöse Künstler weiss sich
dabei in einen Zustand nervöser Aufregung zu versetzen, der sich
bis zum Schäumen des Mundes und krampfhaften Zuckungen
steigert 1). Die Schamanen aller Welttheile wählen daher mit Vor-
liebe ihre Zöglinge unter Knaben, die epileptischen Heimsuchungen
ausgesetzt sind 2). Zwerge oder Albino's werden von den Negern
bevorzugt 3).

Was von den sibirischen Priestern gesagt wurde, passt wieder
so genau auf die sogenannten Medicinmänner der Rothhäute in
Nord-Amerika, dass diese Uebereinstimmung sogar zu den Wahr-
zeichen für die Annahme einer Bevölkerung der neuen Welt durch
vormals nordasiatische Stämme gehört. Der einzige Unterschied
zwischen dem sibirischen Schamanen und dem nordamerikanischen
Medicinmann 4) besteht nur darin, dass der Erstere sich bei seinem
Handwerk einer Zaubertrommel, der Andere einer Zauberklapper
bedient; phantastisch ausgeschmückte Mäntel aber sind beiden
eigen. Der nordamerikanische Medicinmann kehrt in Süd-Amerika
unter den Namen Piaje, Piai, Paye wieder und auch er führt eine
Zauberklapper (maracca), die er sich aus einem hohlen Kürbiss
verfertigt, der mit harten Samenkörnern angefüllt wird 5). Endlich
begegnen wir, durch die Breite des Atlantischen Meeres von ihren
soeben erwähnten Berufsgenossen geschieden, den Mganga in Süd-
Afrika, die zwar weder Trommel, noch Klapper, wohl aber ein
Zauberhorn führen, und sich obendrein dem Berufe widmen, in

1) S. ein Beispiel unter den Karen in Birma bei A. Bastian, die Völker
des östlichen Asien. Bd. 2. S. 415 n. und in Bezug auf die Kafirn vergl.
Fritsch, Eingeborne Südafrika's. S. 99.
2) So unter den minussinskischen Tataren am südlichen Jenissei. Globus
1872. Nvbr. Bd. XX. No 18. S. 278. Andere Beispiele bei Fritz Schultze
der Fetischismus. Leipzig 1871. S. 145.
3) Winwood Reade, Savage Africa. p. 363.
4) Catlin, die Indianer Nordamerika's. cap. 6. S. 28.
5) P. Gumilla, El Orinoco ilustrado. I, 9. p. 91. Dobrizhoffer,
Geschichte der Abiponer. Bd. 2. S. 92. S. 342. Appun im Ausland 1872.
No. 29. S. 684.
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Der Schamanismus.

Ein anderer Erwerbszweig der Schamanen beruht auf der
Gabe, in Verkehr mit unsichtbaren Mächten, bisweilen mit den
Geistern der Abgeschiedenen zu treten und von ihnen Offenbarungen
über Künftiges zu empfangen. Der religiöse Künstler weiss sich
dabei in einen Zustand nervöser Aufregung zu versetzen, der sich
bis zum Schäumen des Mundes und krampfhaften Zuckungen
steigert 1). Die Schamanen aller Welttheile wählen daher mit Vor-
liebe ihre Zöglinge unter Knaben, die epileptischen Heimsuchungen
ausgesetzt sind 2). Zwerge oder Albino’s werden von den Negern
bevorzugt 3).

Was von den sibirischen Priestern gesagt wurde, passt wieder
so genau auf die sogenannten Medicinmänner der Rothhäute in
Nord-Amerika, dass diese Uebereinstimmung sogar zu den Wahr-
zeichen für die Annahme einer Bevölkerung der neuen Welt durch
vormals nordasiatische Stämme gehört. Der einzige Unterschied
zwischen dem sibirischen Schamanen und dem nordamerikanischen
Medicinmann 4) besteht nur darin, dass der Erstere sich bei seinem
Handwerk einer Zaubertrommel, der Andere einer Zauberklapper
bedient; phantastisch ausgeschmückte Mäntel aber sind beiden
eigen. Der nordamerikanische Medicinmann kehrt in Süd-Amerika
unter den Namen Piaje, Piaï, Paye wieder und auch er führt eine
Zauberklapper (maracca), die er sich aus einem hohlen Kürbiss
verfertigt, der mit harten Samenkörnern angefüllt wird 5). Endlich
begegnen wir, durch die Breite des Atlantischen Meeres von ihren
soeben erwähnten Berufsgenossen geschieden, den Mganga in Süd-
Afrika, die zwar weder Trommel, noch Klapper, wohl aber ein
Zauberhorn führen, und sich obendrein dem Berufe widmen, in

1) S. ein Beispiel unter den Karen in Birma bei A. Bastian, die Völker
des östlichen Asien. Bd. 2. S. 415 n. und in Bezug auf die Kafirn vergl.
Fritsch, Eingeborne Südafrika’s. S. 99.
2) So unter den minussinskischen Tataren am südlichen Jenissei. Globus
1872. Nvbr. Bd. XX. No 18. S. 278. Andere Beispiele bei Fritz Schultze
der Fetischismus. Leipzig 1871. S. 145.
3) Winwood Reade, Savage Africa. p. 363.
4) Catlin, die Indianer Nordamerika’s. cap. 6. S. 28.
5) P. Gumilla, El Orinoco ilustrado. I, 9. p. 91. Dobrizhoffer,
Geschichte der Abiponer. Bd. 2. S. 92. S. 342. Appun im Ausland 1872.
No. 29. S. 684.
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[275/0293] Der Schamanismus. Ein anderer Erwerbszweig der Schamanen beruht auf der Gabe, in Verkehr mit unsichtbaren Mächten, bisweilen mit den Geistern der Abgeschiedenen zu treten und von ihnen Offenbarungen über Künftiges zu empfangen. Der religiöse Künstler weiss sich dabei in einen Zustand nervöser Aufregung zu versetzen, der sich bis zum Schäumen des Mundes und krampfhaften Zuckungen steigert 1). Die Schamanen aller Welttheile wählen daher mit Vor- liebe ihre Zöglinge unter Knaben, die epileptischen Heimsuchungen ausgesetzt sind 2). Zwerge oder Albino’s werden von den Negern bevorzugt 3). Was von den sibirischen Priestern gesagt wurde, passt wieder so genau auf die sogenannten Medicinmänner der Rothhäute in Nord-Amerika, dass diese Uebereinstimmung sogar zu den Wahr- zeichen für die Annahme einer Bevölkerung der neuen Welt durch vormals nordasiatische Stämme gehört. Der einzige Unterschied zwischen dem sibirischen Schamanen und dem nordamerikanischen Medicinmann 4) besteht nur darin, dass der Erstere sich bei seinem Handwerk einer Zaubertrommel, der Andere einer Zauberklapper bedient; phantastisch ausgeschmückte Mäntel aber sind beiden eigen. Der nordamerikanische Medicinmann kehrt in Süd-Amerika unter den Namen Piaje, Piaï, Paye wieder und auch er führt eine Zauberklapper (maracca), die er sich aus einem hohlen Kürbiss verfertigt, der mit harten Samenkörnern angefüllt wird 5). Endlich begegnen wir, durch die Breite des Atlantischen Meeres von ihren soeben erwähnten Berufsgenossen geschieden, den Mganga in Süd- Afrika, die zwar weder Trommel, noch Klapper, wohl aber ein Zauberhorn führen, und sich obendrein dem Berufe widmen, in 1) S. ein Beispiel unter den Karen in Birma bei A. Bastian, die Völker des östlichen Asien. Bd. 2. S. 415 n. und in Bezug auf die Kafirn vergl. Fritsch, Eingeborne Südafrika’s. S. 99. 2) So unter den minussinskischen Tataren am südlichen Jenissei. Globus 1872. Nvbr. Bd. XX. No 18. S. 278. Andere Beispiele bei Fritz Schultze der Fetischismus. Leipzig 1871. S. 145. 3) Winwood Reade, Savage Africa. p. 363. 4) Catlin, die Indianer Nordamerika’s. cap. 6. S. 28. 5) P. Gumilla, El Orinoco ilustrado. I, 9. p. 91. Dobrizhoffer, Geschichte der Abiponer. Bd. 2. S. 92. S. 342. Appun im Ausland 1872. No. 29. S. 684. 18*

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/293>, abgerufen am 18.04.2024.