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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern.
Kaisern eigene Tempel errichten. Als Confutse, der Moralphilosoph,
selig gesprochen worden war, empfing er 194 v. Chr. das erste
Opfer aus der Hand eines Kaisers und im Jahre 57 n. Chr. wurden
für ihn religiöse Feste eingesetzt und Heiligthümer errichtet. Auch
auf Religionsstifter erstreckt sich gern der Heroencultus und so
ist ja nach und nach der Buddhismus gänzlich seiner ursprüng-
lichen Reinheit entfremdet worden und zu einer Reliquienverehrung
ausgeartet 1). Selbst Napoleon III., der sich wie die alten fran-
zösischen Könige so gern als ältester Sohn der Kirche gebärdete,
hat dem Ahnendienst gehuldigt, wenn anders das Testament vom
24. April 1865, welches unlängst veröffentlicht wurde 2), ganz echt
sein sollte. "Man muss sich sagen", schreibt der Kaiser, "dass
von der Himmelshöhe herab diejenigen, die wir geliebt haben, auf
uns herabblicken und uns beschützen. Die Seele meines grossen
Oheims war es, die mich stets geleitet und aufrecht erhalten hat.
So wird es auch meinem Sohn ergehen, denn er wird stets seines
Namens würdig sein."

Stellen wir uns jetzt die Frage, ob irgendwo auf Erden ein
Volksstamm ohne religiöse Anregungen und Vorstellungen jemals
angetroffen worden sei, so darf sie entschieden verneint werden.
Auf jeder Stufe seiner geistigen Entwickelung fühlt der Mensch
den Drang, für jede Erscheinung einer Thätigkeit und für jede
Begebenheit einen Urheber zu ermitteln. Bei geringen Ver-
standeskräften befriedigt schon ein Fetisch das Causalitätsbedürfniss.
aber mit der geistigen Schärfe der Völker verengert sich der Kreis
des Glaubwürdigen und wächst der Gottesgedanke an Würde, um
zuletzt das edelste und höchste Erzeugniss menschlichen Nach-
sinnens zu werden. Ebenso führen die ersten rohen Versuche,
die unbekannten Urheber zu ermitteln, so lange das Denkvermögen
noch erstarkt, immer zur Verwerfung der ersten Nothhilfe und zu-
letzt zu der Annahme eines höchsten unerfasslichen Wesens. Allein
die Geschichte und die Völkerkunde kennt ungezählte Menschen-
stämme, die sich nie bis zu einer solchen Höhe aufschwangen,
ja viele, die von den errungenen besseren Vorstellungen zurück-
sanken zu groben Verstandestäuschungen, denen sie sich Jahr-
hunderte, ja wohl Jahrtausende nicht zu entziehen vermochten.

1) Justi im Ausland, 1871. S. 878.
2) Allg. Zeitung. 1873. S. 1875.
Peschel, Völkerkunde. 18

Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern.
Kaisern eigene Tempel errichten. Als Confutse, der Moralphilosoph,
selig gesprochen worden war, empfing er 194 v. Chr. das erste
Opfer aus der Hand eines Kaisers und im Jahre 57 n. Chr. wurden
für ihn religiöse Feste eingesetzt und Heiligthümer errichtet. Auch
auf Religionsstifter erstreckt sich gern der Heroencultus und so
ist ja nach und nach der Buddhismus gänzlich seiner ursprüng-
lichen Reinheit entfremdet worden und zu einer Reliquienverehrung
ausgeartet 1). Selbst Napoleon III., der sich wie die alten fran-
zösischen Könige so gern als ältester Sohn der Kirche gebärdete,
hat dem Ahnendienst gehuldigt, wenn anders das Testament vom
24. April 1865, welches unlängst veröffentlicht wurde 2), ganz echt
sein sollte. „Man muss sich sagen“, schreibt der Kaiser, „dass
von der Himmelshöhe herab diejenigen, die wir geliebt haben, auf
uns herabblicken und uns beschützen. Die Seele meines grossen
Oheims war es, die mich stets geleitet und aufrecht erhalten hat.
So wird es auch meinem Sohn ergehen, denn er wird stets seines
Namens würdig sein.“

Stellen wir uns jetzt die Frage, ob irgendwo auf Erden ein
Volksstamm ohne religiöse Anregungen und Vorstellungen jemals
angetroffen worden sei, so darf sie entschieden verneint werden.
Auf jeder Stufe seiner geistigen Entwickelung fühlt der Mensch
den Drang, für jede Erscheinung einer Thätigkeit und für jede
Begebenheit einen Urheber zu ermitteln. Bei geringen Ver-
standeskräften befriedigt schon ein Fetisch das Causalitätsbedürfniss.
aber mit der geistigen Schärfe der Völker verengert sich der Kreis
des Glaubwürdigen und wächst der Gottesgedanke an Würde, um
zuletzt das edelste und höchste Erzeugniss menschlichen Nach-
sinnens zu werden. Ebenso führen die ersten rohen Versuche,
die unbekannten Urheber zu ermitteln, so lange das Denkvermögen
noch erstarkt, immer zur Verwerfung der ersten Nothhilfe und zu-
letzt zu der Annahme eines höchsten unerfasslichen Wesens. Allein
die Geschichte und die Völkerkunde kennt ungezählte Menschen-
stämme, die sich nie bis zu einer solchen Höhe aufschwangen,
ja viele, die von den errungenen besseren Vorstellungen zurück-
sanken zu groben Verstandestäuschungen, denen sie sich Jahr-
hunderte, ja wohl Jahrtausende nicht zu entziehen vermochten.

1) Justi im Ausland, 1871. S. 878.
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[273/0291] Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern. Kaisern eigene Tempel errichten. Als Confutse, der Moralphilosoph, selig gesprochen worden war, empfing er 194 v. Chr. das erste Opfer aus der Hand eines Kaisers und im Jahre 57 n. Chr. wurden für ihn religiöse Feste eingesetzt und Heiligthümer errichtet. Auch auf Religionsstifter erstreckt sich gern der Heroencultus und so ist ja nach und nach der Buddhismus gänzlich seiner ursprüng- lichen Reinheit entfremdet worden und zu einer Reliquienverehrung ausgeartet 1). Selbst Napoleon III., der sich wie die alten fran- zösischen Könige so gern als ältester Sohn der Kirche gebärdete, hat dem Ahnendienst gehuldigt, wenn anders das Testament vom 24. April 1865, welches unlängst veröffentlicht wurde 2), ganz echt sein sollte. „Man muss sich sagen“, schreibt der Kaiser, „dass von der Himmelshöhe herab diejenigen, die wir geliebt haben, auf uns herabblicken und uns beschützen. Die Seele meines grossen Oheims war es, die mich stets geleitet und aufrecht erhalten hat. So wird es auch meinem Sohn ergehen, denn er wird stets seines Namens würdig sein.“ Stellen wir uns jetzt die Frage, ob irgendwo auf Erden ein Volksstamm ohne religiöse Anregungen und Vorstellungen jemals angetroffen worden sei, so darf sie entschieden verneint werden. Auf jeder Stufe seiner geistigen Entwickelung fühlt der Mensch den Drang, für jede Erscheinung einer Thätigkeit und für jede Begebenheit einen Urheber zu ermitteln. Bei geringen Ver- standeskräften befriedigt schon ein Fetisch das Causalitätsbedürfniss. aber mit der geistigen Schärfe der Völker verengert sich der Kreis des Glaubwürdigen und wächst der Gottesgedanke an Würde, um zuletzt das edelste und höchste Erzeugniss menschlichen Nach- sinnens zu werden. Ebenso führen die ersten rohen Versuche, die unbekannten Urheber zu ermitteln, so lange das Denkvermögen noch erstarkt, immer zur Verwerfung der ersten Nothhilfe und zu- letzt zu der Annahme eines höchsten unerfasslichen Wesens. Allein die Geschichte und die Völkerkunde kennt ungezählte Menschen- stämme, die sich nie bis zu einer solchen Höhe aufschwangen, ja viele, die von den errungenen besseren Vorstellungen zurück- sanken zu groben Verstandestäuschungen, denen sie sich Jahr- hunderte, ja wohl Jahrtausende nicht zu entziehen vermochten. 1) Justi im Ausland, 1871. S. 878. 2) Allg. Zeitung. 1873. S. 1875. Peschel, Völkerkunde. 18

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/291>, abgerufen am 28.03.2024.