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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern.
unter Wilden wie einer der ihrigen gelebt haben, ehe seine An-
sicht über ihre geistigen Zustände irgend einen Werth beanspruchen
kann"1). Gerade in Mittel- und Südafrika bewegt der Unsterb-
lichkeitsgedanke sehr lebhaft die Gemüther. Die Neger der Gold-
küste opfern Sklaven bei einer Beerdigung, damit sie dem Abge-
schiedenen im Jenseits dienen2). Im Congolande, versichert
Winwood Reade3), soll ein Sohn seine alte Mutter nur deshalb
getödtet haben, weil er erwartete, dass sie ihm als verklärter Geist
mächtigeren Beistand leisten könne. So weit die Bantusprachen
reichen, also durch ganz Südafrika, werden die Seelen der ver-
storbenen Eltern um Hilfe angerufen. Ein derartiges Gebet aus
dem Munde eines Negers im Dschaggalande, also an der Ostküste,
hat Rebmann aufgezeichnet4), ein anderes der Kafirn aus Natal,
an einen abgeschiedenen Häuptling gerichtet, lautet wörtlich
"O Mosse, Sohn des Motlanka, wirf Deinen Blick auf uns! Du,
dessen Hauch (fumee?) von Jedermann gesehen wird, richte heute
Deine Augen auf uns und beschütze uns, Du unser Gott!"5)
Auch die Buschmänner beteten in Gegenwart Livingstone's am
Grabe eines Vorfahren6). Da in Polynesien den Häuptlingen gött-
liche Abkunft zugeschrieben wird, so überrascht es gewiss nicht,
wenn ihnen nach ihrem Tode Heiligthümer errichtet werden, wie
diess Mariner bezüglich der Tonganer öfter erwähnt. Polynesischem
Einflusse ist es ferner zuzuschreiben, wenn auf Tanna, einer Insel
der Neuen Hebriden, den verstorbenen Häuptlingen als Schutzgott-
heiten für den Erntesegen gedankt wird7).

Die dauernde Verehrung von Abgeschiedenen ist sehr ange-
messen als Ahnendienst bezeichnet worden. So erblickten die
Cariben der westindischen Inseln in den Sternbildern ihre fort-
lebenden Helden wieder. Besonders stark entwickelt hat sich der
Cultus der Abgeschiedenen bei den Chinesen, die den verstorbenen

1) Anthropological Review, London 1868. tom. VI. p. 370.
2) Bosman, Guinese Goud-Tand- en Slave-kust. tom. II. p. 14. vgl.
auch Tylor, Anfänge der Cultur Bd. II. S. 116.
3) Savage Africa. London. 1862. p. 247.
4) Krapf, Reisen in Ostafrika Bd. 2. S. 28.
5) Casalis, les Bassoutos. Paris 1859. p. 260.
6) Südafrika. Bd. 1. S. 200.
7) Aus Turner bei Tylor, Anfänge der Cultur. Bd. 2. S. 114; vgl.
auch Schirren, neuseel. Wandersagen. Riga 1856. S. 90.

Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern.
unter Wilden wie einer der ihrigen gelebt haben, ehe seine An-
sicht über ihre geistigen Zustände irgend einen Werth beanspruchen
kann“1). Gerade in Mittel- und Südafrika bewegt der Unsterb-
lichkeitsgedanke sehr lebhaft die Gemüther. Die Neger der Gold-
küste opfern Sklaven bei einer Beerdigung, damit sie dem Abge-
schiedenen im Jenseits dienen2). Im Congolande, versichert
Winwood Reade3), soll ein Sohn seine alte Mutter nur deshalb
getödtet haben, weil er erwartete, dass sie ihm als verklärter Geist
mächtigeren Beistand leisten könne. So weit die Bantusprachen
reichen, also durch ganz Südafrika, werden die Seelen der ver-
storbenen Eltern um Hilfe angerufen. Ein derartiges Gebet aus
dem Munde eines Negers im Dschaggalande, also an der Ostküste,
hat Rebmann aufgezeichnet4), ein anderes der Kafirn aus Natal,
an einen abgeschiedenen Häuptling gerichtet, lautet wörtlich
„O Mossé, Sohn des Motlanka, wirf Deinen Blick auf uns! Du,
dessen Hauch (fumée?) von Jedermann gesehen wird, richte heute
Deine Augen auf uns und beschütze uns, Du unser Gott!“5)
Auch die Buschmänner beteten in Gegenwart Livingstone’s am
Grabe eines Vorfahren6). Da in Polynesien den Häuptlingen gött-
liche Abkunft zugeschrieben wird, so überrascht es gewiss nicht,
wenn ihnen nach ihrem Tode Heiligthümer errichtet werden, wie
diess Mariner bezüglich der Tonganer öfter erwähnt. Polynesischem
Einflusse ist es ferner zuzuschreiben, wenn auf Tanna, einer Insel
der Neuen Hebriden, den verstorbenen Häuptlingen als Schutzgott-
heiten für den Erntesegen gedankt wird7).

Die dauernde Verehrung von Abgeschiedenen ist sehr ange-
messen als Ahnendienst bezeichnet worden. So erblickten die
Cariben der westindischen Inseln in den Sternbildern ihre fort-
lebenden Helden wieder. Besonders stark entwickelt hat sich der
Cultus der Abgeschiedenen bei den Chinesen, die den verstorbenen

1) Anthropological Review, London 1868. tom. VI. p. 370.
2) Bosman, Guinese Goud-Tand- en Slave-kust. tom. II. p. 14. vgl.
auch Tylor, Anfänge der Cultur Bd. II. S. 116.
3) Savage Africa. London. 1862. p. 247.
4) Krapf, Reisen in Ostafrika Bd. 2. S. 28.
5) Casalis, les Bassoutos. Paris 1859. p. 260.
6) Südafrika. Bd. 1. S. 200.
7) Aus Turner bei Tylor, Anfänge der Cultur. Bd. 2. S. 114; vgl.
auch Schirren, neuseel. Wandersagen. Riga 1856. S. 90.
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[272/0290] Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern. unter Wilden wie einer der ihrigen gelebt haben, ehe seine An- sicht über ihre geistigen Zustände irgend einen Werth beanspruchen kann“ 1). Gerade in Mittel- und Südafrika bewegt der Unsterb- lichkeitsgedanke sehr lebhaft die Gemüther. Die Neger der Gold- küste opfern Sklaven bei einer Beerdigung, damit sie dem Abge- schiedenen im Jenseits dienen 2). Im Congolande, versichert Winwood Reade 3), soll ein Sohn seine alte Mutter nur deshalb getödtet haben, weil er erwartete, dass sie ihm als verklärter Geist mächtigeren Beistand leisten könne. So weit die Bantusprachen reichen, also durch ganz Südafrika, werden die Seelen der ver- storbenen Eltern um Hilfe angerufen. Ein derartiges Gebet aus dem Munde eines Negers im Dschaggalande, also an der Ostküste, hat Rebmann aufgezeichnet 4), ein anderes der Kafirn aus Natal, an einen abgeschiedenen Häuptling gerichtet, lautet wörtlich „O Mossé, Sohn des Motlanka, wirf Deinen Blick auf uns! Du, dessen Hauch (fumée?) von Jedermann gesehen wird, richte heute Deine Augen auf uns und beschütze uns, Du unser Gott!“ 5) Auch die Buschmänner beteten in Gegenwart Livingstone’s am Grabe eines Vorfahren 6). Da in Polynesien den Häuptlingen gött- liche Abkunft zugeschrieben wird, so überrascht es gewiss nicht, wenn ihnen nach ihrem Tode Heiligthümer errichtet werden, wie diess Mariner bezüglich der Tonganer öfter erwähnt. Polynesischem Einflusse ist es ferner zuzuschreiben, wenn auf Tanna, einer Insel der Neuen Hebriden, den verstorbenen Häuptlingen als Schutzgott- heiten für den Erntesegen gedankt wird 7). Die dauernde Verehrung von Abgeschiedenen ist sehr ange- messen als Ahnendienst bezeichnet worden. So erblickten die Cariben der westindischen Inseln in den Sternbildern ihre fort- lebenden Helden wieder. Besonders stark entwickelt hat sich der Cultus der Abgeschiedenen bei den Chinesen, die den verstorbenen 1) Anthropological Review, London 1868. tom. VI. p. 370. 2) Bosman, Guinese Goud-Tand- en Slave-kust. tom. II. p. 14. vgl. auch Tylor, Anfänge der Cultur Bd. II. S. 116. 3) Savage Africa. London. 1862. p. 247. 4) Krapf, Reisen in Ostafrika Bd. 2. S. 28. 5) Casalis, les Bassoutos. Paris 1859. p. 260. 6) Südafrika. Bd. 1. S. 200. 7) Aus Turner bei Tylor, Anfänge der Cultur. Bd. 2. S. 114; vgl. auch Schirren, neuseel. Wandersagen. Riga 1856. S. 90.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/290>, abgerufen am 25.04.2024.