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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern.
wir sahen, alle Dinge als beseelt betrachten, so erstrecken sie auch
die Fortdauer nach dem Tode nicht blos auf die Menschen. Die
Itelmen Kamtschatka's glaubten an eine Erneuerung aller Ge-
schöpfe "bis auf die kleinste Fliege". Die Jesuiten Acosta, La-
fitau und Charlevoix haben bereits ausgesprochen, dass die Inca-
peruaner1), die Irokesen und andere Nordamerikaner genau nach
Art der platonischen Träumereien, in der unsichtbaren Welt für
alle Seelen irgend einer Art ein Urbild oder ein Mutterwesen vor-
handen sein lassen2). Die Fidschi-Insulaner gehen noch weiter,
denn sie glauben nicht blos an ein Paradies für Menschen und
Thiere, sondern sie hoffen, dass dort auch jede Cocosnuss wieder
erneuert werde3).

Nur bei Negern ist man bisher auf eine Läugnung der Un-
sterblichkeit gestossen. Kann ein todter Mensch aus seinem Grabe
kommen, wenn man ihn nicht herausscharrt? äusserte der Häupt-
ling Commoro im Latukalande östlich vom weissen Nil, als ihn
Sir Samuel Baker4) vergeblich durch Kreuzfragen zur Anerkennung
einer Fortdauer nach dem Tode nöthigen wollte. Traum-
erscheinungen sind es wohl immer gewesen, welche den ersten
Gedanken an eine Unsterblichkeit wachriefen. So lange ein Neger
von einem Verstorbenen träumt, flösst ihm sein Andenken Furcht
ein, der scheinbar Zurückgekehrte begehrt nach Nahrung und droht
den Hinterlassenen Beschädigung an, während das Andenken an
den Grossvater längst erloschen ist und keine Unruhe mehr ein-
flösst. Fragt man im äquatorialen Westafrika, sagt du Chaillu5),
nach einem lange Verstorbenen, so lautet die Antwort, es sei aus
mit ihm. Mit dem Tode sei Alles vorbei, gehöre dort zu den
geläufigen Redensarten. Vielleicht gelang es im letzten Falle dem
angeführten Gewährsmann nur nicht, das Vertrauen der Neger zu
gewinnen. Sproat, ein Völkerkundiger ersten Ranges, der beinahe
in ähnliche Irrthümer gerathen wäre, wie wir sie bei du Chaillu
vermuthen, bemerkt sehr treffend: "Ein Reisender muss Jahre lang

1) Clements Markham, on the tribes forming the Empire of the
Yncas, im Journ. of the R. Geogr. Soc. London. 1871. vol. XLI p. 291.
2) Lafitau, Moeurs des sauvages. p. 360. Charlevoix, Nouvelle France,
tom. III. p. 353, vgl. dazu Tylor, Anfänge der Cultur Bd. 2. S. 245. S. 247.
3) Horatio Hale, United States Explor. Exped. Ethnography. p. 55.
4) Der Albert Nyanza. Bd. 1. S. 216.
5) Explorations and Adventures in Equatorial Africa. p. 336.

Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern.
wir sahen, alle Dinge als beseelt betrachten, so erstrecken sie auch
die Fortdauer nach dem Tode nicht blos auf die Menschen. Die
Itelmen Kamtschatka’s glaubten an eine Erneuerung aller Ge-
schöpfe „bis auf die kleinste Fliege“. Die Jesuiten Acosta, La-
fitau und Charlevoix haben bereits ausgesprochen, dass die Inca-
peruaner1), die Irokesen und andere Nordamerikaner genau nach
Art der platonischen Träumereien, in der unsichtbaren Welt für
alle Seelen irgend einer Art ein Urbild oder ein Mutterwesen vor-
handen sein lassen2). Die Fidschi-Insulaner gehen noch weiter,
denn sie glauben nicht blos an ein Paradies für Menschen und
Thiere, sondern sie hoffen, dass dort auch jede Cocosnuss wieder
erneuert werde3).

Nur bei Negern ist man bisher auf eine Läugnung der Un-
sterblichkeit gestossen. Kann ein todter Mensch aus seinem Grabe
kommen, wenn man ihn nicht herausscharrt? äusserte der Häupt-
ling Commoro im Latukalande östlich vom weissen Nil, als ihn
Sir Samuel Baker4) vergeblich durch Kreuzfragen zur Anerkennung
einer Fortdauer nach dem Tode nöthigen wollte. Traum-
erscheinungen sind es wohl immer gewesen, welche den ersten
Gedanken an eine Unsterblichkeit wachriefen. So lange ein Neger
von einem Verstorbenen träumt, flösst ihm sein Andenken Furcht
ein, der scheinbar Zurückgekehrte begehrt nach Nahrung und droht
den Hinterlassenen Beschädigung an, während das Andenken an
den Grossvater längst erloschen ist und keine Unruhe mehr ein-
flösst. Fragt man im äquatorialen Westafrika, sagt du Chaillu5),
nach einem lange Verstorbenen, so lautet die Antwort, es sei aus
mit ihm. Mit dem Tode sei Alles vorbei, gehöre dort zu den
geläufigen Redensarten. Vielleicht gelang es im letzten Falle dem
angeführten Gewährsmann nur nicht, das Vertrauen der Neger zu
gewinnen. Sproat, ein Völkerkundiger ersten Ranges, der beinahe
in ähnliche Irrthümer gerathen wäre, wie wir sie bei du Chaillu
vermuthen, bemerkt sehr treffend: „Ein Reisender muss Jahre lang

1) Clements Markham, on the tribes forming the Empire of the
Yncas, im Journ. of the R. Geogr. Soc. London. 1871. vol. XLI p. 291.
2) Lafitau, Moeurs des sauvages. p. 360. Charlevoix, Nouvelle France,
tom. III. p. 353, vgl. dazu Tylor, Anfänge der Cultur Bd. 2. S. 245. S. 247.
3) Horatio Hale, United States Explor. Exped. Ethnography. p. 55.
4) Der Albert Nyanza. Bd. 1. S. 216.
5) Explorations and Adventures in Equatorial Africa. p. 336.
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[271/0289] Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern. wir sahen, alle Dinge als beseelt betrachten, so erstrecken sie auch die Fortdauer nach dem Tode nicht blos auf die Menschen. Die Itelmen Kamtschatka’s glaubten an eine Erneuerung aller Ge- schöpfe „bis auf die kleinste Fliege“. Die Jesuiten Acosta, La- fitau und Charlevoix haben bereits ausgesprochen, dass die Inca- peruaner 1), die Irokesen und andere Nordamerikaner genau nach Art der platonischen Träumereien, in der unsichtbaren Welt für alle Seelen irgend einer Art ein Urbild oder ein Mutterwesen vor- handen sein lassen 2). Die Fidschi-Insulaner gehen noch weiter, denn sie glauben nicht blos an ein Paradies für Menschen und Thiere, sondern sie hoffen, dass dort auch jede Cocosnuss wieder erneuert werde 3). Nur bei Negern ist man bisher auf eine Läugnung der Un- sterblichkeit gestossen. Kann ein todter Mensch aus seinem Grabe kommen, wenn man ihn nicht herausscharrt? äusserte der Häupt- ling Commoro im Latukalande östlich vom weissen Nil, als ihn Sir Samuel Baker 4) vergeblich durch Kreuzfragen zur Anerkennung einer Fortdauer nach dem Tode nöthigen wollte. Traum- erscheinungen sind es wohl immer gewesen, welche den ersten Gedanken an eine Unsterblichkeit wachriefen. So lange ein Neger von einem Verstorbenen träumt, flösst ihm sein Andenken Furcht ein, der scheinbar Zurückgekehrte begehrt nach Nahrung und droht den Hinterlassenen Beschädigung an, während das Andenken an den Grossvater längst erloschen ist und keine Unruhe mehr ein- flösst. Fragt man im äquatorialen Westafrika, sagt du Chaillu 5), nach einem lange Verstorbenen, so lautet die Antwort, es sei aus mit ihm. Mit dem Tode sei Alles vorbei, gehöre dort zu den geläufigen Redensarten. Vielleicht gelang es im letzten Falle dem angeführten Gewährsmann nur nicht, das Vertrauen der Neger zu gewinnen. Sproat, ein Völkerkundiger ersten Ranges, der beinahe in ähnliche Irrthümer gerathen wäre, wie wir sie bei du Chaillu vermuthen, bemerkt sehr treffend: „Ein Reisender muss Jahre lang 1) Clements Markham, on the tribes forming the Empire of the Yncas, im Journ. of the R. Geogr. Soc. London. 1871. vol. XLI p. 291. 2) Lafitau, Moeurs des sauvages. p. 360. Charlevoix, Nouvelle France, tom. III. p. 353, vgl. dazu Tylor, Anfänge der Cultur Bd. 2. S. 245. S. 247. 3) Horatio Hale, United States Explor. Exped. Ethnography. p. 55. 4) Der Albert Nyanza. Bd. 1. S. 216. 5) Explorations and Adventures in Equatorial Africa. p. 336.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/289>, abgerufen am 25.04.2024.