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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern.
Marsche nach Sardes in Lydien behing Xerxes eine heilige Pla-
tane mit Goldschmuck und bestellte zu ihrem Schutze einen
Hüter1). Im äquatorialen Afrika empfangen wiederum die ge-
waltigen Affenbrodbäume oder Adansonien fromme Gaben. Adolf
Bastian sah den gleichen Gebrauch in Birma2), in Mexico wird
nach Tylor eine heilige Cypresse auf diese Weise verehrt, am west-
lichen Colorado nach Möllhausen3) eine Eiche, am Ausfluss des
oberen See's steht die grosse Esche, welcher die rothhäutigen In-
dianer ihre Opfer bringen, wie dem vereinzelten Wallitschu-Baum
auf den Pampas unweit Patagones (Carmen), welchen Charles
Darwin4) besuchte. Wir erinnern schliesslich an den Hain von
Dodona, an die homerische Platane zu Aulis, von der Pausanias5) noch
Reste sah, an die Verehrung der Pipal (Ficus religiosa) und der in-
dischen Feige (F. indica) von Seiten der brahmanischen Hindu und
der Buddhisten, an die geweihte Espe der Kirgisen6), an den letzthin
gefällten Birnbaum auf dem Walser-Felde, sowie an die Weltesche
Yggdrafil in unsern Mythen. Etwas Anderes ist es, wenn sich die
Baumverehrung an das Verweilen geheiligter Personen knüpft, wie
es der Fall war mit dem Hain bei Mambre, weil Abraham dort rastete,
oder mit der Sykomore bei Matarieh, unter deren Schatten die Ma-
donna auf der Flucht nach Aegypten geruht haben soll. Je nach
der Art der Weihgeschenke hatte die Verehrung der Bäume einen
andern Sinn. Wenn die Araber in den heidnischen Zeiten vor
den Bäumen opferten und ihre Waffen an ihnen aufhingen7), so
galt ihnen der Baum als Sitz einer Gottheit oder als Gott selbst,
wenn dagegen Mungo Park8) in den Mandingoländern Bäume mit
Läppchen und Zeugfetzen beladen sah, so bemerkt schon Bos-
man9), dass in Guinea die heiligen Haine oder Bäume besonders

1) Herodot, lib. VII. cap. 31.
2) Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft. Berlin 1868.
Bd. 5. S. 291. Bowers, Bhamo-Expedition. Berlin 1871. S. 27.
3) Vom Mississippi nach der Südsee. S. 387.
4) Journal of Researches. London 1845. 2d ed. p. 68.
5) Pausanias, lib. IX, cap. 19 u. Iliad. b. v. 307--316.
6) Nöschel, Reise in die Kirgisensteppe. Beiträge zur Kenntniss des
Russ. Reiches. Bd. 18. S. 154.
7) L. Krehl, Die Religion der vorislamitischen Araber. Leipzig 1873. S. 73.
8) Reisen im Innern von Afrika. Berlin 1799. S. 36. S. 59.
9) Guinese Goud-Tand- en Slave-kust. Utrecht 1704. tom. I. p. 144.
tom. II. p. 155. p. 170.

Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern.
Marsche nach Sardes in Lydien behing Xerxes eine heilige Pla-
tane mit Goldschmuck und bestellte zu ihrem Schutze einen
Hüter1). Im äquatorialen Afrika empfangen wiederum die ge-
waltigen Affenbrodbäume oder Adansonien fromme Gaben. Adolf
Bastian sah den gleichen Gebrauch in Birma2), in Mexico wird
nach Tylor eine heilige Cypresse auf diese Weise verehrt, am west-
lichen Colorado nach Möllhausen3) eine Eiche, am Ausfluss des
oberen See’s steht die grosse Esche, welcher die rothhäutigen In-
dianer ihre Opfer bringen, wie dem vereinzelten Wallitschu-Baum
auf den Pampas unweit Patagones (Carmen), welchen Charles
Darwin4) besuchte. Wir erinnern schliesslich an den Hain von
Dodona, an die homerische Platane zu Aulis, von der Pausanias5) noch
Reste sah, an die Verehrung der Pipal (Ficus religiosa) und der in-
dischen Feige (F. indica) von Seiten der brahmanischen Hindu und
der Buddhisten, an die geweihte Espe der Kirgisen6), an den letzthin
gefällten Birnbaum auf dem Walser-Felde, sowie an die Weltesche
Yggdrafil in unsern Mythen. Etwas Anderes ist es, wenn sich die
Baumverehrung an das Verweilen geheiligter Personen knüpft, wie
es der Fall war mit dem Hain bei Mambre, weil Abraham dort rastete,
oder mit der Sykomore bei Matarieh, unter deren Schatten die Ma-
donna auf der Flucht nach Aegypten geruht haben soll. Je nach
der Art der Weihgeschenke hatte die Verehrung der Bäume einen
andern Sinn. Wenn die Araber in den heidnischen Zeiten vor
den Bäumen opferten und ihre Waffen an ihnen aufhingen7), so
galt ihnen der Baum als Sitz einer Gottheit oder als Gott selbst,
wenn dagegen Mungo Park8) in den Mandingoländern Bäume mit
Läppchen und Zeugfetzen beladen sah, so bemerkt schon Bos-
man9), dass in Guinea die heiligen Haine oder Bäume besonders

1) Herodot, lib. VII. cap. 31.
2) Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft. Berlin 1868.
Bd. 5. S. 291. Bowers, Bhamo-Expedition. Berlin 1871. S. 27.
3) Vom Mississippi nach der Südsee. S. 387.
4) Journal of Researches. London 1845. 2d ed. p. 68.
5) Pausanias, lib. IX, cap. 19 u. Iliad. β. v. 307—316.
6) Nöschel, Reise in die Kirgisensteppe. Beiträge zur Kenntniss des
Russ. Reiches. Bd. 18. S. 154.
7) L. Krehl, Die Religion der vorislamitischen Araber. Leipzig 1873. S. 73.
8) Reisen im Innern von Afrika. Berlin 1799. S. 36. S. 59.
9) Guinese Goud-Tand- en Slave-kust. Utrecht 1704. tom. I. p. 144.
tom. II. p. 155. p. 170.
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[262/0280] Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern. Marsche nach Sardes in Lydien behing Xerxes eine heilige Pla- tane mit Goldschmuck und bestellte zu ihrem Schutze einen Hüter 1). Im äquatorialen Afrika empfangen wiederum die ge- waltigen Affenbrodbäume oder Adansonien fromme Gaben. Adolf Bastian sah den gleichen Gebrauch in Birma 2), in Mexico wird nach Tylor eine heilige Cypresse auf diese Weise verehrt, am west- lichen Colorado nach Möllhausen 3) eine Eiche, am Ausfluss des oberen See’s steht die grosse Esche, welcher die rothhäutigen In- dianer ihre Opfer bringen, wie dem vereinzelten Wallitschu-Baum auf den Pampas unweit Patagones (Carmen), welchen Charles Darwin 4) besuchte. Wir erinnern schliesslich an den Hain von Dodona, an die homerische Platane zu Aulis, von der Pausanias 5) noch Reste sah, an die Verehrung der Pipal (Ficus religiosa) und der in- dischen Feige (F. indica) von Seiten der brahmanischen Hindu und der Buddhisten, an die geweihte Espe der Kirgisen 6), an den letzthin gefällten Birnbaum auf dem Walser-Felde, sowie an die Weltesche Yggdrafil in unsern Mythen. Etwas Anderes ist es, wenn sich die Baumverehrung an das Verweilen geheiligter Personen knüpft, wie es der Fall war mit dem Hain bei Mambre, weil Abraham dort rastete, oder mit der Sykomore bei Matarieh, unter deren Schatten die Ma- donna auf der Flucht nach Aegypten geruht haben soll. Je nach der Art der Weihgeschenke hatte die Verehrung der Bäume einen andern Sinn. Wenn die Araber in den heidnischen Zeiten vor den Bäumen opferten und ihre Waffen an ihnen aufhingen 7), so galt ihnen der Baum als Sitz einer Gottheit oder als Gott selbst, wenn dagegen Mungo Park 8) in den Mandingoländern Bäume mit Läppchen und Zeugfetzen beladen sah, so bemerkt schon Bos- man 9), dass in Guinea die heiligen Haine oder Bäume besonders 1) Herodot, lib. VII. cap. 31. 2) Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft. Berlin 1868. Bd. 5. S. 291. Bowers, Bhamo-Expedition. Berlin 1871. S. 27. 3) Vom Mississippi nach der Südsee. S. 387. 4) Journal of Researches. London 1845. 2d ed. p. 68. 5) Pausanias, lib. IX, cap. 19 u. Iliad. β. v. 307—316. 6) Nöschel, Reise in die Kirgisensteppe. Beiträge zur Kenntniss des Russ. Reiches. Bd. 18. S. 154. 7) L. Krehl, Die Religion der vorislamitischen Araber. Leipzig 1873. S. 73. 8) Reisen im Innern von Afrika. Berlin 1799. S. 36. S. 59. 9) Guinese Goud-Tand- en Slave-kust. Utrecht 1704. tom. I. p. 144. tom. II. p. 155. p. 170.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/280>, abgerufen am 24.04.2024.