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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern.
ehrt1). Noch kürzlich wurde Theodor Kirchhoff in Oregon ein
Felsblock gezeigt, zu welchem die Umpkwa-Indianer wallfahren.
Die Propheten in Israel und die frommen Könige in Juda eiferten
unablässig gegen den Dienst der Höhen, worunter ein hoher
Steinkegel, das Sinnbild des Heiligsten zu verstehen ist2). Schon
Jacob salbte den Stein zu Bethel, auf dem er geruht hatte. Im
keltischen Europa begegnen wir den Steinkreisen als Andacht-
stätten und den trilithischen Cromlech oder Steintischen, die ent-
weder als Opferstätten dienten, oder unter denen der Gläubige
hindurchkriechen sollte. Noch im Jahre 567 musste ein Concil in
Tours den Kirchenbann gegen die Fortsetzung des Steindienstes
androhen, ja in England ergingen solche Verbote im 7. Jahrhundert
von Theodorich, Erzbischof von Canterbury, im 10. von König
Edgar, im 11. noch von Cnut3). Verzeihlicher wird in unseren
Augen diese Verirrung, wenn die Andacht sich auf Bergspitzen
erstreckt. Wir denken dabei weniger an Heiligung gewisser
Gipfel, wie des Olymp als Sitz der epischen Götter oder wie des
Sinai als Berg der Gesetzgebung, wollen aber nur in Bezug
auf Letzteren erwähnen, dass auf der Höhe des Serbal ein Stein-
kreis sich befindet, den die Beduinen nur mit abgelegten Schuhen
betreten4). Das Gleiche ist der Fall mit dem benachbarten
Dschebel Munadschat, den die Araber den Berg des Zwie-
gesprächs
(nämlich Mose's mit Jahve) nennen und in dessen
Steinkreis sie Weihgeschenke niederlegen5). Die Verehrung von
Fussabdrücken, wie der des Gottes Tezcatlipoca, den die Alt-
Mexicaner bei Quauhtitlan zeigen6), oder der des Tiitii auf Samoa
in der Schifferinselgruppe7), oder endlich der des Buddha auf dem
Adamspic Ceylons gehören jedoch nicht hierher, sondern sind nur
Spielarten der Reliquienverehrung. Wir erwähnen dagegen den
Schamanenstein der mongolischen Buräten, einen Felsen auf der
Halbinsel Olchon im Baikal-See, sowie den Berg Tyrma oder
Tirmak, bei dem die Guanchen oder Urbewohner der canarischen

1) Williams, Fiji and the Fijians, tom. I. p. 220.
2) Ewald, Geschichte des Volkes Israel. 3. Aufl. Bd. 3. S. 418.
3) Sir John Lubbock, Origin of civilization, p. 209.
4) Rüppell, Reise in Abyssinien. Frankf. 1838. Bd. 1. S. 127.
5) G. Ebers, Durch Gosen zum Sinai. S. 204.
6) J. G. Müller, Urreligionen. S. 578.
7) Tylor, Urgeschichte. S. 147.

Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern.
ehrt1). Noch kürzlich wurde Theodor Kirchhoff in Oregon ein
Felsblock gezeigt, zu welchem die Umpkwa-Indianer wallfahren.
Die Propheten in Israel und die frommen Könige in Juda eiferten
unablässig gegen den Dienst der Höhen, worunter ein hoher
Steinkegel, das Sinnbild des Heiligsten zu verstehen ist2). Schon
Jacob salbte den Stein zu Bethel, auf dem er geruht hatte. Im
keltischen Europa begegnen wir den Steinkreisen als Andacht-
stätten und den trilithischen Cromlech oder Steintischen, die ent-
weder als Opferstätten dienten, oder unter denen der Gläubige
hindurchkriechen sollte. Noch im Jahre 567 musste ein Concil in
Tours den Kirchenbann gegen die Fortsetzung des Steindienstes
androhen, ja in England ergingen solche Verbote im 7. Jahrhundert
von Theodorich, Erzbischof von Canterbury, im 10. von König
Edgar, im 11. noch von Cnut3). Verzeihlicher wird in unseren
Augen diese Verirrung, wenn die Andacht sich auf Bergspitzen
erstreckt. Wir denken dabei weniger an Heiligung gewisser
Gipfel, wie des Olymp als Sitz der epischen Götter oder wie des
Sinai als Berg der Gesetzgebung, wollen aber nur in Bezug
auf Letzteren erwähnen, dass auf der Höhe des Serbâl ein Stein-
kreis sich befindet, den die Beduinen nur mit abgelegten Schuhen
betreten4). Das Gleiche ist der Fall mit dem benachbarten
Dschebel Munâdschât, den die Araber den Berg des Zwie-
gesprächs
(nämlich Mose’s mit Jahve) nennen und in dessen
Steinkreis sie Weihgeschenke niederlegen5). Die Verehrung von
Fussabdrücken, wie der des Gottes Tezcatlipoca, den die Alt-
Mexicaner bei Quauhtitlan zeigen6), oder der des Tiitii auf Samoa
in der Schifferinselgruppe7), oder endlich der des Buddha auf dem
Adamspic Ceylons gehören jedoch nicht hierher, sondern sind nur
Spielarten der Reliquienverehrung. Wir erwähnen dagegen den
Schamanenstein der mongolischen Buräten, einen Felsen auf der
Halbinsel Olchon im Baikal-See, sowie den Berg Tyrma oder
Tirmak, bei dem die Guanchen oder Urbewohner der canarischen

1) Williams, Fiji and the Fijians, tom. I. p. 220.
2) Ewald, Geschichte des Volkes Israel. 3. Aufl. Bd. 3. S. 418.
3) Sir John Lubbock, Origin of civilization, p. 209.
4) Rüppell, Reise in Abyssinien. Frankf. 1838. Bd. 1. S. 127.
5) G. Ebers, Durch Gosen zum Sinai. S. 204.
6) J. G. Müller, Urreligionen. S. 578.
7) Tylor, Urgeschichte. S. 147.
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[260/0278] Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern. ehrt 1). Noch kürzlich wurde Theodor Kirchhoff in Oregon ein Felsblock gezeigt, zu welchem die Umpkwa-Indianer wallfahren. Die Propheten in Israel und die frommen Könige in Juda eiferten unablässig gegen den Dienst der Höhen, worunter ein hoher Steinkegel, das Sinnbild des Heiligsten zu verstehen ist 2). Schon Jacob salbte den Stein zu Bethel, auf dem er geruht hatte. Im keltischen Europa begegnen wir den Steinkreisen als Andacht- stätten und den trilithischen Cromlech oder Steintischen, die ent- weder als Opferstätten dienten, oder unter denen der Gläubige hindurchkriechen sollte. Noch im Jahre 567 musste ein Concil in Tours den Kirchenbann gegen die Fortsetzung des Steindienstes androhen, ja in England ergingen solche Verbote im 7. Jahrhundert von Theodorich, Erzbischof von Canterbury, im 10. von König Edgar, im 11. noch von Cnut 3). Verzeihlicher wird in unseren Augen diese Verirrung, wenn die Andacht sich auf Bergspitzen erstreckt. Wir denken dabei weniger an Heiligung gewisser Gipfel, wie des Olymp als Sitz der epischen Götter oder wie des Sinai als Berg der Gesetzgebung, wollen aber nur in Bezug auf Letzteren erwähnen, dass auf der Höhe des Serbâl ein Stein- kreis sich befindet, den die Beduinen nur mit abgelegten Schuhen betreten 4). Das Gleiche ist der Fall mit dem benachbarten Dschebel Munâdschât, den die Araber den Berg des Zwie- gesprächs (nämlich Mose’s mit Jahve) nennen und in dessen Steinkreis sie Weihgeschenke niederlegen 5). Die Verehrung von Fussabdrücken, wie der des Gottes Tezcatlipoca, den die Alt- Mexicaner bei Quauhtitlan zeigen 6), oder der des Tiitii auf Samoa in der Schifferinselgruppe 7), oder endlich der des Buddha auf dem Adamspic Ceylons gehören jedoch nicht hierher, sondern sind nur Spielarten der Reliquienverehrung. Wir erwähnen dagegen den Schamanenstein der mongolischen Buräten, einen Felsen auf der Halbinsel Olchon im Baikal-See, sowie den Berg Tyrma oder Tirmak, bei dem die Guanchen oder Urbewohner der canarischen 1) Williams, Fiji and the Fijians, tom. I. p. 220. 2) Ewald, Geschichte des Volkes Israel. 3. Aufl. Bd. 3. S. 418. 3) Sir John Lubbock, Origin of civilization, p. 209. 4) Rüppell, Reise in Abyssinien. Frankf. 1838. Bd. 1. S. 127. 5) G. Ebers, Durch Gosen zum Sinai. S. 204. 6) J. G. Müller, Urreligionen. S. 578. 7) Tylor, Urgeschichte. S. 147.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/278>, abgerufen am 18.04.2024.