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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern.
Unglück widerfährt, wirft er seinen Götzen zu Boden, schlägt,
misshandelt oder bricht ihn in Stücke1). Der letzte heidnische
Lappe in Europa, Namens Rastus, hatte vor etlichen zwanzig Jahren
etwa, seinem göttlichen Bautasteine einmal das gewohnte Brannt-
weinopfer entzogen. Kurz nachher verlor er durch Blitzstrahl
zwei Rene. Zornig warf er die Fleischstücke der zerlegten Thiere
dem Götzen zu mit den Worten: "nimm! was du dir geschlachtet
hast!" -- und kehrte ihm den Rücken um zum Christenthum über-
zutreten2). Vor jedem grossen Unternehmen schreitet der Neger
Guineas, wenn kein älterer und erprobter vorhanden ist, zur Wahl
eines neuen Fetisch, und worauf sein Auge beim Heraustreten aus
dem Hause fällt, sei es ein Hund, eine Katze oder ein anderes
Geschöpf, das erwählt er zum Abgott, dem sogleich Opfer gebracht
werden. Glückt das Unternehmen, so steigt das Ansehen des
Fetisch, misslingt es, so kehrt er wieder in den vorigen Stand
zurück3).

Zu den leblosen Dingen, welche menschliche Andacht auf sich
zogen, gehörten allerorten die Steine. Niemand wird überrascht
werden, dass Meteoriten, die beim Herabfallen glühend in den
Erdboden einschlugen, gern angebetet wurden. Ein Stein, der
bei Chicomoztotl oder den Sieben Höhlen, einem wichtigen Ort
in der mythischen Topographie der Alt-Mexicaner, herabfiel, wurde
von diesen als ein Sohn des Götterpaares Ometeuctli und Ome-
cihuatl verehrt4). Der schwarze Stein, das grösste Heiligthum der
Mohammedaner in Mekka, soll anfangs hell geleuchtet, wegen der
Sündhaftigkeit des Menschengeschlechts sich aber bald schwarz ge-
färbt haben5). Er ist ganz sicherlich der Rest eines Fetisch-Dienstes
der vorislamitischen Araber, wie der Stein, welcher jetzt eingemauert
in der Omar-Moschee zu Jerusalem den Propheten gen Himmel
getragen und dann herabgefallen sein oder vielmehr noch jetzt in
der Luft schweben soll6). Aus anderen leicht zu deutenden Vor-
stellungen werden Steine von Phallusgestalt, vielleicht vereinzelt
gebliebene Säulen eines Basaltganges auf den Fidschi-Inseln ver-

1) Pallas, Voyages. Paris 1793. tom. IV. p. 79.
2) Globus 1873. Jan. Bd. XXIII. No. 3. S. 35.
3) Bosman, Guinese Goud-Tand- en Slave-kust. tom. II. p. 153.
4) J. G. Müller, Amerikanische Urreligionen. S. 517.
5) Sepp in der Allgem. Ztg. 1872. S. 4462.
6) Baierlein, Nach und aus Indien. S. 125.
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Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern.
Unglück widerfährt, wirft er seinen Götzen zu Boden, schlägt,
misshandelt oder bricht ihn in Stücke1). Der letzte heidnische
Lappe in Europa, Namens Rastus, hatte vor etlichen zwanzig Jahren
etwa, seinem göttlichen Bautasteine einmal das gewohnte Brannt-
weinopfer entzogen. Kurz nachher verlor er durch Blitzstrahl
zwei Rene. Zornig warf er die Fleischstücke der zerlegten Thiere
dem Götzen zu mit den Worten: „nimm! was du dir geschlachtet
hast!“ — und kehrte ihm den Rücken um zum Christenthum über-
zutreten2). Vor jedem grossen Unternehmen schreitet der Neger
Guineas, wenn kein älterer und erprobter vorhanden ist, zur Wahl
eines neuen Fetisch, und worauf sein Auge beim Heraustreten aus
dem Hause fällt, sei es ein Hund, eine Katze oder ein anderes
Geschöpf, das erwählt er zum Abgott, dem sogleich Opfer gebracht
werden. Glückt das Unternehmen, so steigt das Ansehen des
Fetisch, misslingt es, so kehrt er wieder in den vorigen Stand
zurück3).

Zu den leblosen Dingen, welche menschliche Andacht auf sich
zogen, gehörten allerorten die Steine. Niemand wird überrascht
werden, dass Meteoriten, die beim Herabfallen glühend in den
Erdboden einschlugen, gern angebetet wurden. Ein Stein, der
bei Chicomoztotl oder den Sieben Höhlen, einem wichtigen Ort
in der mythischen Topographie der Alt-Mexicaner, herabfiel, wurde
von diesen als ein Sohn des Götterpaares Ometeuctli und Ome-
cihuatl verehrt4). Der schwarze Stein, das grösste Heiligthum der
Mohammedaner in Mekka, soll anfangs hell geleuchtet, wegen der
Sündhaftigkeit des Menschengeschlechts sich aber bald schwarz ge-
färbt haben5). Er ist ganz sicherlich der Rest eines Fetisch-Dienstes
der vorislamitischen Araber, wie der Stein, welcher jetzt eingemauert
in der Omar-Moschee zu Jerusalem den Propheten gen Himmel
getragen und dann herabgefallen sein oder vielmehr noch jetzt in
der Luft schweben soll6). Aus anderen leicht zu deutenden Vor-
stellungen werden Steine von Phallusgestalt, vielleicht vereinzelt
gebliebene Säulen eines Basaltganges auf den Fidschi-Inseln ver-

1) Pallas, Voyages. Paris 1793. tom. IV. p. 79.
2) Globus 1873. Jan. Bd. XXIII. No. 3. S. 35.
3) Bosman, Guinese Goud-Tand- en Slave-kust. tom. II. p. 153.
4) J. G. Müller, Amerikanische Urreligionen. S. 517.
5) Sepp in der Allgem. Ztg. 1872. S. 4462.
6) Baierlein, Nach und aus Indien. S. 125.
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[259/0277] Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern. Unglück widerfährt, wirft er seinen Götzen zu Boden, schlägt, misshandelt oder bricht ihn in Stücke 1). Der letzte heidnische Lappe in Europa, Namens Rastus, hatte vor etlichen zwanzig Jahren etwa, seinem göttlichen Bautasteine einmal das gewohnte Brannt- weinopfer entzogen. Kurz nachher verlor er durch Blitzstrahl zwei Rene. Zornig warf er die Fleischstücke der zerlegten Thiere dem Götzen zu mit den Worten: „nimm! was du dir geschlachtet hast!“ — und kehrte ihm den Rücken um zum Christenthum über- zutreten 2). Vor jedem grossen Unternehmen schreitet der Neger Guineas, wenn kein älterer und erprobter vorhanden ist, zur Wahl eines neuen Fetisch, und worauf sein Auge beim Heraustreten aus dem Hause fällt, sei es ein Hund, eine Katze oder ein anderes Geschöpf, das erwählt er zum Abgott, dem sogleich Opfer gebracht werden. Glückt das Unternehmen, so steigt das Ansehen des Fetisch, misslingt es, so kehrt er wieder in den vorigen Stand zurück 3). Zu den leblosen Dingen, welche menschliche Andacht auf sich zogen, gehörten allerorten die Steine. Niemand wird überrascht werden, dass Meteoriten, die beim Herabfallen glühend in den Erdboden einschlugen, gern angebetet wurden. Ein Stein, der bei Chicomoztotl oder den Sieben Höhlen, einem wichtigen Ort in der mythischen Topographie der Alt-Mexicaner, herabfiel, wurde von diesen als ein Sohn des Götterpaares Ometeuctli und Ome- cihuatl verehrt 4). Der schwarze Stein, das grösste Heiligthum der Mohammedaner in Mekka, soll anfangs hell geleuchtet, wegen der Sündhaftigkeit des Menschengeschlechts sich aber bald schwarz ge- färbt haben 5). Er ist ganz sicherlich der Rest eines Fetisch-Dienstes der vorislamitischen Araber, wie der Stein, welcher jetzt eingemauert in der Omar-Moschee zu Jerusalem den Propheten gen Himmel getragen und dann herabgefallen sein oder vielmehr noch jetzt in der Luft schweben soll 6). Aus anderen leicht zu deutenden Vor- stellungen werden Steine von Phallusgestalt, vielleicht vereinzelt gebliebene Säulen eines Basaltganges auf den Fidschi-Inseln ver- 1) Pallas, Voyages. Paris 1793. tom. IV. p. 79. 2) Globus 1873. Jan. Bd. XXIII. No. 3. S. 35. 3) Bosman, Guinese Goud-Tand- en Slave-kust. tom. II. p. 153. 4) J. G. Müller, Amerikanische Urreligionen. S. 517. 5) Sepp in der Allgem. Ztg. 1872. S. 4462. 6) Baierlein, Nach und aus Indien. S. 125. 17*

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/277>, abgerufen am 19.04.2024.