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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Einfluss des Handels auf die räumliche Verbreitung der Völker.
geschlagen, dann wächst sie wie das Senfkorn in den Evangelien.
Die Spanier haben den Ansiedlungen der Franzosen und Eng-
länder in den Vereinigten Staaten kein Hinderniss in den Weg
gelegt, so lange sie sich nicht in allzu bedrohliche Nähe ihrer süd-
lichen Besitzungen wagten. Warum hätten sie auch die frommen
Puritaner stören sollen? Trugen doch die heutigen Gebiete der
Vereinigten Staaten auf den Seekarten der alten spanischen Ent-
decker die Legende: werthlose Gebiete (tierras de ningun provecho),
eben weil sie kein Gold hervorbrachten. Daran erkennt wohl ein
jeder mit uns, dass es ganz gleichgiltig für die Geschichte der
Gesittung war, ob am 7. October 1492 die spanischen Schiffe von
Westen nach Südwesten abbogen oder nicht. Die Spanier gingen
dem Golde nach, und wenn sie einem Landstrich seine Schätze
entrissen hatten, verliessen sie ihn wieder, wie die Landenge von
Darien, während Pflanzercolonien auf tropischen Inseln erst auf-
wuchsen als durch die Negersklaverei der Zuckerbau Gewinn ab-
warf. Man wird nichts einwenden dürfen, wenn wir behaupten,
dass Amerika spanisch geworden und spanisch geblieben ist, so
weit die Verbreitung von Gold und Silber reicht, und dass sich
nur spätere Ansiedelungen auch auf solche Räume erstreckten, wo
tropische Pflanzerwirthschaft oder wo ergiebige Viehzucht getrieben
werden konnten.

Seltsames Verhängniss! Das reichste Goldland der neuen
Welt kannten die Spanier schon 250 Jahre lang ohne seine Schätze
zu ahnen. Californien gehörte ihnen, dort predigten ihre Heiden-
bekehrer, dort überwachten in Castellen (Presidios) ihre Soldaten
die raubgierigen Comantschen und Apatschen, dass sie aber mitten
in dem viel und vergeblich gesuchten Lande des Dorado sich be-
fänden, ahnte keiner von ihnen. Doch können sie sich mit den
Russen trösten, die ja auch Californien eine Zeitlang gehalten
haben und die es wenige Jahre zuvor räumten, als der Name
dieses Landes wie Posaunenschall alle Abenteurer beider Welten
an den Sacramento zog. Wäre das Gold Californiens schon am
Schluss des 16. Jahrhunderts entdeckt worden, dann allerdings wäre
der Gang der Weltgeschichte vielleicht einer andern Strömung ge-
folgt. Californien und Australien sind zwei Namen, die dem
jetzigen Geschlecht laut unsern Satz predigen, dass die räumliche
Ausbreitung der Völker von der Vertheilung hoher Lockmittel an

Einfluss des Handels auf die räumliche Verbreitung der Völker.
geschlagen, dann wächst sie wie das Senfkorn in den Evangelien.
Die Spanier haben den Ansiedlungen der Franzosen und Eng-
länder in den Vereinigten Staaten kein Hinderniss in den Weg
gelegt, so lange sie sich nicht in allzu bedrohliche Nähe ihrer süd-
lichen Besitzungen wagten. Warum hätten sie auch die frommen
Puritaner stören sollen? Trugen doch die heutigen Gebiete der
Vereinigten Staaten auf den Seekarten der alten spanischen Ent-
decker die Legende: werthlose Gebiete (tierras de ningun provecho),
eben weil sie kein Gold hervorbrachten. Daran erkennt wohl ein
jeder mit uns, dass es ganz gleichgiltig für die Geschichte der
Gesittung war, ob am 7. October 1492 die spanischen Schiffe von
Westen nach Südwesten abbogen oder nicht. Die Spanier gingen
dem Golde nach, und wenn sie einem Landstrich seine Schätze
entrissen hatten, verliessen sie ihn wieder, wie die Landenge von
Darien, während Pflanzercolonien auf tropischen Inseln erst auf-
wuchsen als durch die Negersklaverei der Zuckerbau Gewinn ab-
warf. Man wird nichts einwenden dürfen, wenn wir behaupten,
dass Amerika spanisch geworden und spanisch geblieben ist, so
weit die Verbreitung von Gold und Silber reicht, und dass sich
nur spätere Ansiedelungen auch auf solche Räume erstreckten, wo
tropische Pflanzerwirthschaft oder wo ergiebige Viehzucht getrieben
werden konnten.

Seltsames Verhängniss! Das reichste Goldland der neuen
Welt kannten die Spanier schon 250 Jahre lang ohne seine Schätze
zu ahnen. Californien gehörte ihnen, dort predigten ihre Heiden-
bekehrer, dort überwachten in Castellen (Presidios) ihre Soldaten
die raubgierigen Comantschen und Apatschen, dass sie aber mitten
in dem viel und vergeblich gesuchten Lande des Dorado sich be-
fänden, ahnte keiner von ihnen. Doch können sie sich mit den
Russen trösten, die ja auch Californien eine Zeitlang gehalten
haben und die es wenige Jahre zuvor räumten, als der Name
dieses Landes wie Posaunenschall alle Abenteurer beider Welten
an den Sacramento zog. Wäre das Gold Californiens schon am
Schluss des 16. Jahrhunderts entdeckt worden, dann allerdings wäre
der Gang der Weltgeschichte vielleicht einer andern Strömung ge-
folgt. Californien und Australien sind zwei Namen, die dem
jetzigen Geschlecht laut unsern Satz predigen, dass die räumliche
Ausbreitung der Völker von der Vertheilung hoher Lockmittel an

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[220/0238] Einfluss des Handels auf die räumliche Verbreitung der Völker. geschlagen, dann wächst sie wie das Senfkorn in den Evangelien. Die Spanier haben den Ansiedlungen der Franzosen und Eng- länder in den Vereinigten Staaten kein Hinderniss in den Weg gelegt, so lange sie sich nicht in allzu bedrohliche Nähe ihrer süd- lichen Besitzungen wagten. Warum hätten sie auch die frommen Puritaner stören sollen? Trugen doch die heutigen Gebiete der Vereinigten Staaten auf den Seekarten der alten spanischen Ent- decker die Legende: werthlose Gebiete (tierras de ningun provecho), eben weil sie kein Gold hervorbrachten. Daran erkennt wohl ein jeder mit uns, dass es ganz gleichgiltig für die Geschichte der Gesittung war, ob am 7. October 1492 die spanischen Schiffe von Westen nach Südwesten abbogen oder nicht. Die Spanier gingen dem Golde nach, und wenn sie einem Landstrich seine Schätze entrissen hatten, verliessen sie ihn wieder, wie die Landenge von Darien, während Pflanzercolonien auf tropischen Inseln erst auf- wuchsen als durch die Negersklaverei der Zuckerbau Gewinn ab- warf. Man wird nichts einwenden dürfen, wenn wir behaupten, dass Amerika spanisch geworden und spanisch geblieben ist, so weit die Verbreitung von Gold und Silber reicht, und dass sich nur spätere Ansiedelungen auch auf solche Räume erstreckten, wo tropische Pflanzerwirthschaft oder wo ergiebige Viehzucht getrieben werden konnten. Seltsames Verhängniss! Das reichste Goldland der neuen Welt kannten die Spanier schon 250 Jahre lang ohne seine Schätze zu ahnen. Californien gehörte ihnen, dort predigten ihre Heiden- bekehrer, dort überwachten in Castellen (Presidios) ihre Soldaten die raubgierigen Comantschen und Apatschen, dass sie aber mitten in dem viel und vergeblich gesuchten Lande des Dorado sich be- fänden, ahnte keiner von ihnen. Doch können sie sich mit den Russen trösten, die ja auch Californien eine Zeitlang gehalten haben und die es wenige Jahre zuvor räumten, als der Name dieses Landes wie Posaunenschall alle Abenteurer beider Welten an den Sacramento zog. Wäre das Gold Californiens schon am Schluss des 16. Jahrhunderts entdeckt worden, dann allerdings wäre der Gang der Weltgeschichte vielleicht einer andern Strömung ge- folgt. Californien und Australien sind zwei Namen, die dem jetzigen Geschlecht laut unsern Satz predigen, dass die räumliche Ausbreitung der Völker von der Vertheilung hoher Lockmittel an

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/238>, abgerufen am 19.04.2024.