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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Einfluss des Handels auf die räumliche Verbreitung der Völker.
westen hinauf, und kehrte, als ihn diese Richtung nicht befriedigte,
nach Südosten um, bis er endlich Haiti erreichte. Von dorther
hatte sich das Gold über die Antillen verbreitet, und dort be-
gründete er die erste Niederlassung. Ueber den Golddurst der
Spanier ist viel erbauliches schon geschrieben worden, allein wenn
sie den Spuren des Goldes nicht nachgegangen wären, niemals
hätten schon am Schluss des 15. Jahrhunderts überatlantische An-
siedelungen entstehen können. Alle Ackerbaucolonien, welche
Franzosen und Engländer an der Küste der Vereinigten Staaten
im 16. Jahrhundert zu gründen versuchten, sind buchstäblich am
Hunger zu Grunde gegangen. Abgeschnitten von der Heimath,
wo bereits eine Theilung der Arbeit durchgeführt worden war,
mussten die Ansiedler, nachdem sie die mitgebrachte Aussteuer aus
der alten Welt verzehrt hatten, nothwendig zurücksinken auf die
Gesittungsstufe der rothen Eingebornen, wenn ihnen nicht immer
wieder frische Vorräthe von Gewerbserzeugnissen aus der alten
Welt zugeführt wurden. Solche Zufuhren verlangten aber eine
hohe Bezahlung, da die Ueberfahrt nach der Neuen Welt noch mit
schweren Gefahren verknüpft war. Mit Brodfrüchten liessen sich
damals die Sendungen nicht decken, denn sie waren die Kosten
der überseeischen Verfrachtung noch nicht werth. Daher kam es
denn auch, dass die älteste reine Ackerbau-Colonie der Neuen
Welt, nämlich Virginien, am Beginn des 17. Jahrhunderts erst auf-
blühen konnte, als eine frachtwürdige Rimesse nach Europa in dem
Tabak gefunden worden war. Dem Tabak also und dem Pelz-
handel vielleicht verdankt es Nordamerika zunächst, dass seine
heutige Gesellschaft angelsächsischen Ursprungs ist. Wenn Canada
vormals rein französisch, jetzt noch halbfranzösisch war und ist,
so trägt dafür ein anderes Naturerzeugniss die Verantwortung.
An und um Neufundland liegen unglaublich reiche Gründe für den
Kabliaufang, der Stockfisch aber lohnte schon am Beginn des
16. Jahrhunderts eine atlantische Ueberfahrt, da er schon im
Mittelalter von Island geholt werden musste. Nordfranzösische
Fischer, die dem Cap Breton ihren Namen gegeben haben, be-
suchten alljährlich Neufundland schon seit 1503. Von jenen gut
gekannten Gewässern aus entdeckte Jacques Cartier dann den
Lorenzostrom, und in seinem Kielwasser sind die Franzosen nach
Canada gekommen. Dass die erste Niederlassung keime, dazu
bedarf es einer werthvollen Rimesse, hat sie aber einmal Wurzel

Einfluss des Handels auf die räumliche Verbreitung der Völker.
westen hinauf, und kehrte, als ihn diese Richtung nicht befriedigte,
nach Südosten um, bis er endlich Haiti erreichte. Von dorther
hatte sich das Gold über die Antillen verbreitet, und dort be-
gründete er die erste Niederlassung. Ueber den Golddurst der
Spanier ist viel erbauliches schon geschrieben worden, allein wenn
sie den Spuren des Goldes nicht nachgegangen wären, niemals
hätten schon am Schluss des 15. Jahrhunderts überatlantische An-
siedelungen entstehen können. Alle Ackerbaucolonien, welche
Franzosen und Engländer an der Küste der Vereinigten Staaten
im 16. Jahrhundert zu gründen versuchten, sind buchstäblich am
Hunger zu Grunde gegangen. Abgeschnitten von der Heimath,
wo bereits eine Theilung der Arbeit durchgeführt worden war,
mussten die Ansiedler, nachdem sie die mitgebrachte Aussteuer aus
der alten Welt verzehrt hatten, nothwendig zurücksinken auf die
Gesittungsstufe der rothen Eingebornen, wenn ihnen nicht immer
wieder frische Vorräthe von Gewerbserzeugnissen aus der alten
Welt zugeführt wurden. Solche Zufuhren verlangten aber eine
hohe Bezahlung, da die Ueberfahrt nach der Neuen Welt noch mit
schweren Gefahren verknüpft war. Mit Brodfrüchten liessen sich
damals die Sendungen nicht decken, denn sie waren die Kosten
der überseeischen Verfrachtung noch nicht werth. Daher kam es
denn auch, dass die älteste reine Ackerbau-Colonie der Neuen
Welt, nämlich Virginien, am Beginn des 17. Jahrhunderts erst auf-
blühen konnte, als eine frachtwürdige Rimesse nach Europa in dem
Tabak gefunden worden war. Dem Tabak also und dem Pelz-
handel vielleicht verdankt es Nordamerika zunächst, dass seine
heutige Gesellschaft angelsächsischen Ursprungs ist. Wenn Canada
vormals rein französisch, jetzt noch halbfranzösisch war und ist,
so trägt dafür ein anderes Naturerzeugniss die Verantwortung.
An und um Neufundland liegen unglaublich reiche Gründe für den
Kabliaufang, der Stockfisch aber lohnte schon am Beginn des
16. Jahrhunderts eine atlantische Ueberfahrt, da er schon im
Mittelalter von Island geholt werden musste. Nordfranzösische
Fischer, die dem Cap Bréton ihren Namen gegeben haben, be-
suchten alljährlich Neufundland schon seit 1503. Von jenen gut
gekannten Gewässern aus entdeckte Jacques Cartier dann den
Lorenzostrom, und in seinem Kielwasser sind die Franzosen nach
Canada gekommen. Dass die erste Niederlassung keime, dazu
bedarf es einer werthvollen Rimesse, hat sie aber einmal Wurzel

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[219/0237] Einfluss des Handels auf die räumliche Verbreitung der Völker. westen hinauf, und kehrte, als ihn diese Richtung nicht befriedigte, nach Südosten um, bis er endlich Haiti erreichte. Von dorther hatte sich das Gold über die Antillen verbreitet, und dort be- gründete er die erste Niederlassung. Ueber den Golddurst der Spanier ist viel erbauliches schon geschrieben worden, allein wenn sie den Spuren des Goldes nicht nachgegangen wären, niemals hätten schon am Schluss des 15. Jahrhunderts überatlantische An- siedelungen entstehen können. Alle Ackerbaucolonien, welche Franzosen und Engländer an der Küste der Vereinigten Staaten im 16. Jahrhundert zu gründen versuchten, sind buchstäblich am Hunger zu Grunde gegangen. Abgeschnitten von der Heimath, wo bereits eine Theilung der Arbeit durchgeführt worden war, mussten die Ansiedler, nachdem sie die mitgebrachte Aussteuer aus der alten Welt verzehrt hatten, nothwendig zurücksinken auf die Gesittungsstufe der rothen Eingebornen, wenn ihnen nicht immer wieder frische Vorräthe von Gewerbserzeugnissen aus der alten Welt zugeführt wurden. Solche Zufuhren verlangten aber eine hohe Bezahlung, da die Ueberfahrt nach der Neuen Welt noch mit schweren Gefahren verknüpft war. Mit Brodfrüchten liessen sich damals die Sendungen nicht decken, denn sie waren die Kosten der überseeischen Verfrachtung noch nicht werth. Daher kam es denn auch, dass die älteste reine Ackerbau-Colonie der Neuen Welt, nämlich Virginien, am Beginn des 17. Jahrhunderts erst auf- blühen konnte, als eine frachtwürdige Rimesse nach Europa in dem Tabak gefunden worden war. Dem Tabak also und dem Pelz- handel vielleicht verdankt es Nordamerika zunächst, dass seine heutige Gesellschaft angelsächsischen Ursprungs ist. Wenn Canada vormals rein französisch, jetzt noch halbfranzösisch war und ist, so trägt dafür ein anderes Naturerzeugniss die Verantwortung. An und um Neufundland liegen unglaublich reiche Gründe für den Kabliaufang, der Stockfisch aber lohnte schon am Beginn des 16. Jahrhunderts eine atlantische Ueberfahrt, da er schon im Mittelalter von Island geholt werden musste. Nordfranzösische Fischer, die dem Cap Bréton ihren Namen gegeben haben, be- suchten alljährlich Neufundland schon seit 1503. Von jenen gut gekannten Gewässern aus entdeckte Jacques Cartier dann den Lorenzostrom, und in seinem Kielwasser sind die Franzosen nach Canada gekommen. Dass die erste Niederlassung keime, dazu bedarf es einer werthvollen Rimesse, hat sie aber einmal Wurzel

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/237>, abgerufen am 25.04.2024.