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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Fahrzeuge und Seetüchtigkeit.
insel, ist erst kürzlich wieder vom Maler Catlin bewundert worden,
und zwar findet man dort Fahrzeuge von 53 Fuss Länge und ge-
räumig für 100 Menschen1). Nicht übersehen darf es werden, dass
südlich von der De Fuca-Strasse, wo die Küste ihren Fjordcha-
rakter verliert, bis zu den Gränzen des alten Peru bei allen Ein-
gebornen nur die rohesten Muster von Fahrzeugen sich gefunden
haben, während umgekehrt von Nutka-Sund nordwärts, und je
mehr man sich dem asiatischen Festlande nähert, die Bauart der
Kähne immer kunstvoller, ihre Führung immer bewundernswerther
wird. Bei den Inseln des ehemals russischen Amerika, die von
Thlinkiten bewohnt werden, begegnen wir bereits dem echten Es-
kimoschnitt der Jagdboote, dort Baidaren genannt, nur für einen
Einzelnen eingerichtet mit geschlossenen Verdecken, so dass nur
ein Sitzraum übrig bleibt, den obendrein der Bootsmann mit sei-
nem Schurz dicht bedeckt, Einrichtungen die, so weit es anging,
in Europa nachgeahmt worden sind. Alle Küstenstämme von der
De Fuca-Strasse bis zu den Aleuten unterscheiden sich sehr scharf
von den sogenannten rothen Jägerstämmen östlich der Felsen-
gebirge, und man hat sogar die Wahl, sie entweder in jüngern
Zeiten aus Nordasien sich eingewandert zu denken oder anzu-
nehmen, dass sie ihre nautischen Geschicklichkeiten ihren asia-
tischen Nachbarn abgelauscht und sie bis nach der Vancouverinsel
verbreitet haben. Beides erscheint zulässig, aber in dem einen
wie in dem andern Falle erstreckte sich die günstige Wirkung nicht
über die Gränze der Fjorde hinaus.

Für die gegenwärtige Untersuchung ist es nicht wesentlich,
ob asiatische Völker oder nur asiatische Cultur an der Nordwest-
küste Amerikas bis zur De Fuca-Strasse sich verbreiteten, denn
beides ward erleichtert durch eine bedeutungsvolle Gliederung des
amerikanischen Nordens. Bei Australien war es die Carpentaria-
(Cap York-) Halbinsel, welche, nach Neu-Guinea sich erstreckend,
noch die Möglichkeit eines Verkehrs mit der alten Welt aufrecht
erhielt, und es gelingt uns vielleicht noch die Freunde der Völker-
kunde zu überzeugen, dass jene Continentalzunge das geographische
Organ gewesen sei, welches eine Hebung der gesellschaftlichen
Zustände unter den Eingebornen Australiens hervorbrachte. Der
Nordwesten Amerikas besitzt eine ähnliche Gliederung in der Halb-

1) Waitz, Anthropologie. Bd. 3. S. 332.

Fahrzeuge und Seetüchtigkeit.
insel, ist erst kürzlich wieder vom Maler Catlin bewundert worden,
und zwar findet man dort Fahrzeuge von 53 Fuss Länge und ge-
räumig für 100 Menschen1). Nicht übersehen darf es werden, dass
südlich von der De Fuca-Strasse, wo die Küste ihren Fjordcha-
rakter verliert, bis zu den Gränzen des alten Peru bei allen Ein-
gebornen nur die rohesten Muster von Fahrzeugen sich gefunden
haben, während umgekehrt von Nutka-Sund nordwärts, und je
mehr man sich dem asiatischen Festlande nähert, die Bauart der
Kähne immer kunstvoller, ihre Führung immer bewundernswerther
wird. Bei den Inseln des ehemals russischen Amerika, die von
Thlinkiten bewohnt werden, begegnen wir bereits dem echten Es-
kimoschnitt der Jagdboote, dort Baidaren genannt, nur für einen
Einzelnen eingerichtet mit geschlossenen Verdecken, so dass nur
ein Sitzraum übrig bleibt, den obendrein der Bootsmann mit sei-
nem Schurz dicht bedeckt, Einrichtungen die, so weit es anging,
in Europa nachgeahmt worden sind. Alle Küstenstämme von der
De Fuca-Strasse bis zu den Alëuten unterscheiden sich sehr scharf
von den sogenannten rothen Jägerstämmen östlich der Felsen-
gebirge, und man hat sogar die Wahl, sie entweder in jüngern
Zeiten aus Nordasien sich eingewandert zu denken oder anzu-
nehmen, dass sie ihre nautischen Geschicklichkeiten ihren asia-
tischen Nachbarn abgelauscht und sie bis nach der Vancouverinsel
verbreitet haben. Beides erscheint zulässig, aber in dem einen
wie in dem andern Falle erstreckte sich die günstige Wirkung nicht
über die Gränze der Fjorde hinaus.

Für die gegenwärtige Untersuchung ist es nicht wesentlich,
ob asiatische Völker oder nur asiatische Cultur an der Nordwest-
küste Amerikas bis zur De Fuca-Strasse sich verbreiteten, denn
beides ward erleichtert durch eine bedeutungsvolle Gliederung des
amerikanischen Nordens. Bei Australien war es die Carpentaria-
(Cap York-) Halbinsel, welche, nach Neu-Guinea sich erstreckend,
noch die Möglichkeit eines Verkehrs mit der alten Welt aufrecht
erhielt, und es gelingt uns vielleicht noch die Freunde der Völker-
kunde zu überzeugen, dass jene Continentalzunge das geographische
Organ gewesen sei, welches eine Hebung der gesellschaftlichen
Zustände unter den Eingebornen Australiens hervorbrachte. Der
Nordwesten Amerikas besitzt eine ähnliche Gliederung in der Halb-

1) Waitz, Anthropologie. Bd. 3. S. 332.
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[210/0228] Fahrzeuge und Seetüchtigkeit. insel, ist erst kürzlich wieder vom Maler Catlin bewundert worden, und zwar findet man dort Fahrzeuge von 53 Fuss Länge und ge- räumig für 100 Menschen 1). Nicht übersehen darf es werden, dass südlich von der De Fuca-Strasse, wo die Küste ihren Fjordcha- rakter verliert, bis zu den Gränzen des alten Peru bei allen Ein- gebornen nur die rohesten Muster von Fahrzeugen sich gefunden haben, während umgekehrt von Nutka-Sund nordwärts, und je mehr man sich dem asiatischen Festlande nähert, die Bauart der Kähne immer kunstvoller, ihre Führung immer bewundernswerther wird. Bei den Inseln des ehemals russischen Amerika, die von Thlinkiten bewohnt werden, begegnen wir bereits dem echten Es- kimoschnitt der Jagdboote, dort Baidaren genannt, nur für einen Einzelnen eingerichtet mit geschlossenen Verdecken, so dass nur ein Sitzraum übrig bleibt, den obendrein der Bootsmann mit sei- nem Schurz dicht bedeckt, Einrichtungen die, so weit es anging, in Europa nachgeahmt worden sind. Alle Küstenstämme von der De Fuca-Strasse bis zu den Alëuten unterscheiden sich sehr scharf von den sogenannten rothen Jägerstämmen östlich der Felsen- gebirge, und man hat sogar die Wahl, sie entweder in jüngern Zeiten aus Nordasien sich eingewandert zu denken oder anzu- nehmen, dass sie ihre nautischen Geschicklichkeiten ihren asia- tischen Nachbarn abgelauscht und sie bis nach der Vancouverinsel verbreitet haben. Beides erscheint zulässig, aber in dem einen wie in dem andern Falle erstreckte sich die günstige Wirkung nicht über die Gränze der Fjorde hinaus. Für die gegenwärtige Untersuchung ist es nicht wesentlich, ob asiatische Völker oder nur asiatische Cultur an der Nordwest- küste Amerikas bis zur De Fuca-Strasse sich verbreiteten, denn beides ward erleichtert durch eine bedeutungsvolle Gliederung des amerikanischen Nordens. Bei Australien war es die Carpentaria- (Cap York-) Halbinsel, welche, nach Neu-Guinea sich erstreckend, noch die Möglichkeit eines Verkehrs mit der alten Welt aufrecht erhielt, und es gelingt uns vielleicht noch die Freunde der Völker- kunde zu überzeugen, dass jene Continentalzunge das geographische Organ gewesen sei, welches eine Hebung der gesellschaftlichen Zustände unter den Eingebornen Australiens hervorbrachte. Der Nordwesten Amerikas besitzt eine ähnliche Gliederung in der Halb- 1) Waitz, Anthropologie. Bd. 3. S. 332.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/228>, abgerufen am 28.03.2024.