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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Fahrzeuge und Seetüchtigkeit.
dargebotenen Vortheilen den höchsten Nutzen zu ziehen. Das
Südhorn Amerikas nach allen Richtungen zerklüftet und gespalten
in Inseln und schluchtenähnliche Sunde, wo die Gletscher herab-
reichen bis zum Meeresspiegel und gleichwohl Papagaien fliegen,
ja Colibri sogar die Schneegestöber nicht fürchten, die Heimath
immergrüner Fuchsien und undurchdringlicher Wälder konnte denk-
barer Weise überhaupt nur von seekundigen Stämmen bewohnt
werden. Was die Abstammung der heutigen Bewohner des Feuer-
landes betrifft, so wiederholen unsere Ethnographen nur d'Orbigny's
Worte1), dass nämlich ihre Sprache dem Klange nach der pata-
gonischen und puelchischen, dem Bau nach der araucanischen sich
nähere. Für unsere Untersuchungen ist es ganz gleichgültig, ob
man die Bewohner des Feuerlandes und der magelhaensschen Insel-
welt von dem patagonischen oder araucanischen Völkerzweige ab-
leitet, zumal beide sich wiederum sehr nahe stehen, und es unter
den Feuerländern sogar nachweisbar echte Patagonier gibt. Die
Patagonier sind Jäger, und so wenig mit dem Wasserleben ver-
traut, dass sie nicht das armseligste Floss besitzen, um auch nur
einen Fluss zu überschreiten. Die Araucaner sind ebenfalls Jäger,
nur dass sie nicht Grasfluren, sondern Gebirge bewohnen. Auch
auf den grossen Strömen der Pampas oder Steppen suchen wir
vergebens nach Rindenkähnen. In alter Zeit wurde eine Ochsen-
haut an ihren Rändern aufgeklappt und in den Ecken mit Riemen
zusammengebunden, so dass sie einem flachen, offnen Kasten glich.
Einer Pelota, wie die eben geschilderten Lederflosse hiessen, wurden
so oft ein Strom überschritten werden sollte, die Habseligkeiten
anvertraut. Der Sohn der Steppe spannte sich mit einem Riemen
vor die Ochsenhaut und zog sie schwimmend von Ufer zu Ufer2).
Vom La Plata angefangen bis zum Cap Horn und vom Cap Horn
längs der Westküste Südamerikas bis fast zur Landenge von Pa-
nama gab es zur Zeit der Entdeckung keinen Volksstamm der
auf den Einfall gerathen wäre, andere Fahrzeuge zu verfertigen als
Flösse, folglich musste die Erbauung von Kähnen in den magal-
haensschen Gewässern von neuem erfunden werden und die Erfinder
waren die Pescheräh des Bougainville oder die Feuerländer in der
jetzigen Sprache der Völkerkunde. Immerhin hat also die

1) L'homme americain. p. 188.
2) Dobrizhoffer, Geschichte der Abiponer. Bd. 2. S. 150.

Fahrzeuge und Seetüchtigkeit.
dargebotenen Vortheilen den höchsten Nutzen zu ziehen. Das
Südhorn Amerikas nach allen Richtungen zerklüftet und gespalten
in Inseln und schluchtenähnliche Sunde, wo die Gletscher herab-
reichen bis zum Meeresspiegel und gleichwohl Papagaien fliegen,
ja Colibri sogar die Schneegestöber nicht fürchten, die Heimath
immergrüner Fuchsien und undurchdringlicher Wälder konnte denk-
barer Weise überhaupt nur von seekundigen Stämmen bewohnt
werden. Was die Abstammung der heutigen Bewohner des Feuer-
landes betrifft, so wiederholen unsere Ethnographen nur d’Orbigny’s
Worte1), dass nämlich ihre Sprache dem Klange nach der pata-
gonischen und puelchischen, dem Bau nach der araucanischen sich
nähere. Für unsere Untersuchungen ist es ganz gleichgültig, ob
man die Bewohner des Feuerlandes und der magelhaẽsschen Insel-
welt von dem patagonischen oder araucanischen Völkerzweige ab-
leitet, zumal beide sich wiederum sehr nahe stehen, und es unter
den Feuerländern sogar nachweisbar echte Patagonier gibt. Die
Patagonier sind Jäger, und so wenig mit dem Wasserleben ver-
traut, dass sie nicht das armseligste Floss besitzen, um auch nur
einen Fluss zu überschreiten. Die Araucaner sind ebenfalls Jäger,
nur dass sie nicht Grasfluren, sondern Gebirge bewohnen. Auch
auf den grossen Strömen der Pampas oder Steppen suchen wir
vergebens nach Rindenkähnen. In alter Zeit wurde eine Ochsen-
haut an ihren Rändern aufgeklappt und in den Ecken mit Riemen
zusammengebunden, so dass sie einem flachen, offnen Kasten glich.
Einer Pelota, wie die eben geschilderten Lederflosse hiessen, wurden
so oft ein Strom überschritten werden sollte, die Habseligkeiten
anvertraut. Der Sohn der Steppe spannte sich mit einem Riemen
vor die Ochsenhaut und zog sie schwimmend von Ufer zu Ufer2).
Vom La Plata angefangen bis zum Cap Horn und vom Cap Horn
längs der Westküste Südamerikas bis fast zur Landenge von Pa-
namá gab es zur Zeit der Entdeckung keinen Volksstamm der
auf den Einfall gerathen wäre, andere Fahrzeuge zu verfertigen als
Flösse, folglich musste die Erbauung von Kähnen in den magal-
haẽsschen Gewässern von neuem erfunden werden und die Erfinder
waren die Pescheräh des Bougainville oder die Feuerländer in der
jetzigen Sprache der Völkerkunde. Immerhin hat also die

1) L’homme américain. p. 188.
2) Dobrizhoffer, Geschichte der Abiponer. Bd. 2. S. 150.
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[208/0226] Fahrzeuge und Seetüchtigkeit. dargebotenen Vortheilen den höchsten Nutzen zu ziehen. Das Südhorn Amerikas nach allen Richtungen zerklüftet und gespalten in Inseln und schluchtenähnliche Sunde, wo die Gletscher herab- reichen bis zum Meeresspiegel und gleichwohl Papagaien fliegen, ja Colibri sogar die Schneegestöber nicht fürchten, die Heimath immergrüner Fuchsien und undurchdringlicher Wälder konnte denk- barer Weise überhaupt nur von seekundigen Stämmen bewohnt werden. Was die Abstammung der heutigen Bewohner des Feuer- landes betrifft, so wiederholen unsere Ethnographen nur d’Orbigny’s Worte 1), dass nämlich ihre Sprache dem Klange nach der pata- gonischen und puelchischen, dem Bau nach der araucanischen sich nähere. Für unsere Untersuchungen ist es ganz gleichgültig, ob man die Bewohner des Feuerlandes und der magelhaẽsschen Insel- welt von dem patagonischen oder araucanischen Völkerzweige ab- leitet, zumal beide sich wiederum sehr nahe stehen, und es unter den Feuerländern sogar nachweisbar echte Patagonier gibt. Die Patagonier sind Jäger, und so wenig mit dem Wasserleben ver- traut, dass sie nicht das armseligste Floss besitzen, um auch nur einen Fluss zu überschreiten. Die Araucaner sind ebenfalls Jäger, nur dass sie nicht Grasfluren, sondern Gebirge bewohnen. Auch auf den grossen Strömen der Pampas oder Steppen suchen wir vergebens nach Rindenkähnen. In alter Zeit wurde eine Ochsen- haut an ihren Rändern aufgeklappt und in den Ecken mit Riemen zusammengebunden, so dass sie einem flachen, offnen Kasten glich. Einer Pelota, wie die eben geschilderten Lederflosse hiessen, wurden so oft ein Strom überschritten werden sollte, die Habseligkeiten anvertraut. Der Sohn der Steppe spannte sich mit einem Riemen vor die Ochsenhaut und zog sie schwimmend von Ufer zu Ufer 2). Vom La Plata angefangen bis zum Cap Horn und vom Cap Horn längs der Westküste Südamerikas bis fast zur Landenge von Pa- namá gab es zur Zeit der Entdeckung keinen Volksstamm der auf den Einfall gerathen wäre, andere Fahrzeuge zu verfertigen als Flösse, folglich musste die Erbauung von Kähnen in den magal- haẽsschen Gewässern von neuem erfunden werden und die Erfinder waren die Pescheräh des Bougainville oder die Feuerländer in der jetzigen Sprache der Völkerkunde. Immerhin hat also die 1) L’homme américain. p. 188. 2) Dobrizhoffer, Geschichte der Abiponer. Bd. 2. S. 150.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/226>, abgerufen am 25.04.2024.