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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Fahrzeuge und Seetüchtigkeit.
aufgriffen, wurde aber bewegt durch ein Segel und gelenkt durch
ein Steuerruder. Zur Zeit der Entdeckungen wurde die Segelkraft
von den Eingebornen Amerikas nur spärlich angewendet, und dess-
halb gehören auch jene Fortschritte der Peruaner zu den höchsten
nautischen Leistungen in der neuen Welt1).

Auf unserer Erdveste begegnen wir aber nicht bloss an Küsten
vom Charakter Syriens oder Südarabiens schifffahrtskundigen Be-
völkerungen, sondern die verwegensten Seefahrer hat jedenfalls
Norwegen erzogen, denn sie gingen im 9., 10. und 11. Jahrhundert
ohne Bekanntschaft mit der Nordweisung der Magnetnadel nach
Island, Grönland, Labrador und bis zu den heutigen Neu-England-
staaten Nord-Amerikas. Norwegen gehört in das Klima, wo die
rauhe Witterung die Küsten in Inseln und Fjorde zu zertrümmern
vermag2). Keine Schule erzieht bessere Seeleute als eine ver-
witterte Steilküste und ein so rauhes aber auch ergiebiges Meer
wie die Nordsee. Fand doch schon zu Plinius' Zeiten eine Schiff-
fahrt zwischen Norwegen und der Shetlandsgruppe statt 3), wozu
eine längere Ueberfahrt nöthig war als von irgend einer Mittel-
meerinsel bis zur nächsten Userstelle. Küsten mit Fjorden und
einem Inselsaume dürfen wir daher als treffliche Erziehungsmittel
zur nautischen Geschicklichkeit ansehen, und wenn wir wiederum
suchend unsern Blick nach der Neuen Welt kehren, so finden wir
ähnliche Uferbildungen zwar nur am stillen Ocean, dort aber so-
wohl an dem inselreichen Gestade des britischen und des früher
russischen Nord-Amerikas von der Vancouverinsel bis zum Berings-
meer, als auch im Süden von der chilenischen Gränze bis zum
Feuerlande.

Auf dem letztgenannten Schauplatz bewährt sich eine War-
nung, die wir anderwärts schon ausgesprochen haben, dass näm-
lich den physischen Begünstigungen des Wohnortes nicht unbedingt
die Leistungen der Bevölkerungen entsprechen werden, sondern
dass die Bewohner selbst Anlagen besitzen müssen, um aus den

1) Der sonst sehr genaue Prescott (Conquest of Peru, I, 65) bezeichnet
die peruanischen Segelflosse als the only instance of this higher kind of navi-
gation among the American Indians
. Wir werden sehen mit welchem
Rechte.
2) Peschel, Neue Probleme. S. 9.
3) Hist. nat. lib. IV. cap. 30.

Fahrzeuge und Seetüchtigkeit.
aufgriffen, wurde aber bewegt durch ein Segel und gelenkt durch
ein Steuerruder. Zur Zeit der Entdeckungen wurde die Segelkraft
von den Eingebornen Amerikas nur spärlich angewendet, und dess-
halb gehören auch jene Fortschritte der Peruaner zu den höchsten
nautischen Leistungen in der neuen Welt1).

Auf unserer Erdveste begegnen wir aber nicht bloss an Küsten
vom Charakter Syriens oder Südarabiens schifffahrtskundigen Be-
völkerungen, sondern die verwegensten Seefahrer hat jedenfalls
Norwegen erzogen, denn sie gingen im 9., 10. und 11. Jahrhundert
ohne Bekanntschaft mit der Nordweisung der Magnetnadel nach
Island, Grönland, Labrador und bis zu den heutigen Neu-England-
staaten Nord-Amerikas. Norwegen gehört in das Klima, wo die
rauhe Witterung die Küsten in Inseln und Fjorde zu zertrümmern
vermag2). Keine Schule erzieht bessere Seeleute als eine ver-
witterte Steilküste und ein so rauhes aber auch ergiebiges Meer
wie die Nordsee. Fand doch schon zu Plinius’ Zeiten eine Schiff-
fahrt zwischen Norwegen und der Shetlandsgruppe statt 3), wozu
eine längere Ueberfahrt nöthig war als von irgend einer Mittel-
meerinsel bis zur nächsten Userstelle. Küsten mit Fjorden und
einem Inselsaume dürfen wir daher als treffliche Erziehungsmittel
zur nautischen Geschicklichkeit ansehen, und wenn wir wiederum
suchend unsern Blick nach der Neuen Welt kehren, so finden wir
ähnliche Uferbildungen zwar nur am stillen Ocean, dort aber so-
wohl an dem inselreichen Gestade des britischen und des früher
russischen Nord-Amerikas von der Vancouverinsel bis zum Berings-
meer, als auch im Süden von der chilenischen Gränze bis zum
Feuerlande.

Auf dem letztgenannten Schauplatz bewährt sich eine War-
nung, die wir anderwärts schon ausgesprochen haben, dass näm-
lich den physischen Begünstigungen des Wohnortes nicht unbedingt
die Leistungen der Bevölkerungen entsprechen werden, sondern
dass die Bewohner selbst Anlagen besitzen müssen, um aus den

1) Der sonst sehr genaue Prescott (Conquest of Peru, I, 65) bezeichnet
die peruanischen Segelflosse als the only instance of this higher kind of navi-
gation among the American Indians
. Wir werden sehen mit welchem
Rechte.
2) Peschel, Neue Probleme. S. 9.
3) Hist. nat. lib. IV. cap. 30.
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[207/0225] Fahrzeuge und Seetüchtigkeit. aufgriffen, wurde aber bewegt durch ein Segel und gelenkt durch ein Steuerruder. Zur Zeit der Entdeckungen wurde die Segelkraft von den Eingebornen Amerikas nur spärlich angewendet, und dess- halb gehören auch jene Fortschritte der Peruaner zu den höchsten nautischen Leistungen in der neuen Welt 1). Auf unserer Erdveste begegnen wir aber nicht bloss an Küsten vom Charakter Syriens oder Südarabiens schifffahrtskundigen Be- völkerungen, sondern die verwegensten Seefahrer hat jedenfalls Norwegen erzogen, denn sie gingen im 9., 10. und 11. Jahrhundert ohne Bekanntschaft mit der Nordweisung der Magnetnadel nach Island, Grönland, Labrador und bis zu den heutigen Neu-England- staaten Nord-Amerikas. Norwegen gehört in das Klima, wo die rauhe Witterung die Küsten in Inseln und Fjorde zu zertrümmern vermag 2). Keine Schule erzieht bessere Seeleute als eine ver- witterte Steilküste und ein so rauhes aber auch ergiebiges Meer wie die Nordsee. Fand doch schon zu Plinius’ Zeiten eine Schiff- fahrt zwischen Norwegen und der Shetlandsgruppe statt 3), wozu eine längere Ueberfahrt nöthig war als von irgend einer Mittel- meerinsel bis zur nächsten Userstelle. Küsten mit Fjorden und einem Inselsaume dürfen wir daher als treffliche Erziehungsmittel zur nautischen Geschicklichkeit ansehen, und wenn wir wiederum suchend unsern Blick nach der Neuen Welt kehren, so finden wir ähnliche Uferbildungen zwar nur am stillen Ocean, dort aber so- wohl an dem inselreichen Gestade des britischen und des früher russischen Nord-Amerikas von der Vancouverinsel bis zum Berings- meer, als auch im Süden von der chilenischen Gränze bis zum Feuerlande. Auf dem letztgenannten Schauplatz bewährt sich eine War- nung, die wir anderwärts schon ausgesprochen haben, dass näm- lich den physischen Begünstigungen des Wohnortes nicht unbedingt die Leistungen der Bevölkerungen entsprechen werden, sondern dass die Bewohner selbst Anlagen besitzen müssen, um aus den 1) Der sonst sehr genaue Prescott (Conquest of Peru, I, 65) bezeichnet die peruanischen Segelflosse als the only instance of this higher kind of navi- gation among the American Indians. Wir werden sehen mit welchem Rechte. 2) Peschel, Neue Probleme. S. 9. 3) Hist. nat. lib. IV. cap. 30.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/225>, abgerufen am 20.04.2024.