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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Fahrzeuge und Seetüchtigkeit.
kas suchen. Auf dem grössten Theile dieses Gestades fällt be-
kanntlich kein Tropfen Regen, sondern es herrschen während der
feuchten Jahreszeit nur Nebel die auf dem Sand und den wan-
dernden Dünen einen vergänglichen Hauch von Pflanzen hervor-
rufen. Nur längs der kleinen Küstenflüsse, die von den Cor-
dilleren herabeilen, vermag der Ackerbau die Bevölkerung zu er-
nähren. Man ist daher zu der Erwartung berechtigt, dass sich
dort Fischerei und Küstenschifffahrt hätten entwickeln sollen. Leider
ist das Festland völlig entblösst von Inseln die zu Fahrten auf die
hohe See hätten verlocken können, denn die Galapagos liegen vom
nächsten Küstenpunkte weiter entfernt als vom Cap St. Vincent
die Insel Madeira, von der es nicht streng erwiesen ist, dass sie
im Alterthum besucht wurde und mit der wir daher genauer erst
seit dem 14. Jahrhundert bekannt geworden sind. Ausserdem fehlt
es den Ufern des ehemaligen incaperuanischen Reiches an Baum-
stämmen die sich hätten zu Fahrzeugen aushöhlen lassen.

Dennoch herrschte gerade längs jener Küste ein Seehandel
wie er sich in der neuen Welt vor der Entdeckung nur noch an
wenigen Stellen wiederfindet. Als Francisco Pizarro 1526 von
Panama her unter der Führung des Piloten Bartolomeo Ruiz an
der Küste des heutigen Ecuador die Bucht San Mateo nördlich
und östlich vom Cap San Francisco erreicht hatte, fielen ihm in-
caperuanische Kauffahrer in die Hände, die aus Tumbez Llama-
wollentücher und Juwelierarbeiten brachten. Es war kein Schiff,
sondern nur ein Floss auf dem sie eine Küstenfahrt von 90 deut-
schen Meilen zurückgelegt hatten. Nicht Mangel an Fertigkeiten
oder Erfindungsgabe, sondern Mangel an Schiffsbauholz 1) allein
zwang die Küstenbewohner zur Erbauung so roher Verkehrswerk-
zeuge, mit denen sie übrigens noch heutigen Tages Fahrten von
Guayaquil bis nach Lima (Callao), 180 deutsche Meilen weit, unter-
nehmen. Gegenwärtig dienen an der Wüste Atacama, wo die
Baumstämme noch seltener sind, nicht einmal Flösse, sondern
Stangen mit aufgeblasenen Schläuchen den Eingebornen zum Be-
trieb ihrer Fischerei2). Das Floss aus Tumbez, welches die Spanier

1) d'Orbigny, l'Homme americain. Paris 1839. p. 135.
2) J. J. v. Tschudi, Reisen durch Süd-Amerika. Bd. 5. S. 176.
Lesson, Voyage autour du monde. Paris 1839. tom. I. p. 508.

Fahrzeuge und Seetüchtigkeit.
kas suchen. Auf dem grössten Theile dieses Gestades fällt be-
kanntlich kein Tropfen Regen, sondern es herrschen während der
feuchten Jahreszeit nur Nebel die auf dem Sand und den wan-
dernden Dünen einen vergänglichen Hauch von Pflanzen hervor-
rufen. Nur längs der kleinen Küstenflüsse, die von den Cor-
dilleren herabeilen, vermag der Ackerbau die Bevölkerung zu er-
nähren. Man ist daher zu der Erwartung berechtigt, dass sich
dort Fischerei und Küstenschifffahrt hätten entwickeln sollen. Leider
ist das Festland völlig entblösst von Inseln die zu Fahrten auf die
hohe See hätten verlocken können, denn die Galápagos liegen vom
nächsten Küstenpunkte weiter entfernt als vom Cap St. Vincent
die Insel Madeira, von der es nicht streng erwiesen ist, dass sie
im Alterthum besucht wurde und mit der wir daher genauer erst
seit dem 14. Jahrhundert bekannt geworden sind. Ausserdem fehlt
es den Ufern des ehemaligen incaperuanischen Reiches an Baum-
stämmen die sich hätten zu Fahrzeugen aushöhlen lassen.

Dennoch herrschte gerade längs jener Küste ein Seehandel
wie er sich in der neuen Welt vor der Entdeckung nur noch an
wenigen Stellen wiederfindet. Als Francisco Pizarro 1526 von
Panamá her unter der Führung des Piloten Bartolomeo Ruiz an
der Küste des heutigen Ecuador die Bucht San Mateo nördlich
und östlich vom Cap San Francisco erreicht hatte, fielen ihm in-
caperuanische Kauffahrer in die Hände, die aus Tumbez Llama-
wollentücher und Juwelierarbeiten brachten. Es war kein Schiff,
sondern nur ein Floss auf dem sie eine Küstenfahrt von 90 deut-
schen Meilen zurückgelegt hatten. Nicht Mangel an Fertigkeiten
oder Erfindungsgabe, sondern Mangel an Schiffsbauholz 1) allein
zwang die Küstenbewohner zur Erbauung so roher Verkehrswerk-
zeuge, mit denen sie übrigens noch heutigen Tages Fahrten von
Guayaquil bis nach Lima (Callao), 180 deutsche Meilen weit, unter-
nehmen. Gegenwärtig dienen an der Wüste Atacama, wo die
Baumstämme noch seltener sind, nicht einmal Flösse, sondern
Stangen mit aufgeblasenen Schläuchen den Eingebornen zum Be-
trieb ihrer Fischerei2). Das Floss aus Tumbez, welches die Spanier

1) d’Orbigny, l’Homme américain. Paris 1839. p. 135.
2) J. J. v. Tschudi, Reisen durch Süd-Amerika. Bd. 5. S. 176.
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[206/0224] Fahrzeuge und Seetüchtigkeit. kas suchen. Auf dem grössten Theile dieses Gestades fällt be- kanntlich kein Tropfen Regen, sondern es herrschen während der feuchten Jahreszeit nur Nebel die auf dem Sand und den wan- dernden Dünen einen vergänglichen Hauch von Pflanzen hervor- rufen. Nur längs der kleinen Küstenflüsse, die von den Cor- dilleren herabeilen, vermag der Ackerbau die Bevölkerung zu er- nähren. Man ist daher zu der Erwartung berechtigt, dass sich dort Fischerei und Küstenschifffahrt hätten entwickeln sollen. Leider ist das Festland völlig entblösst von Inseln die zu Fahrten auf die hohe See hätten verlocken können, denn die Galápagos liegen vom nächsten Küstenpunkte weiter entfernt als vom Cap St. Vincent die Insel Madeira, von der es nicht streng erwiesen ist, dass sie im Alterthum besucht wurde und mit der wir daher genauer erst seit dem 14. Jahrhundert bekannt geworden sind. Ausserdem fehlt es den Ufern des ehemaligen incaperuanischen Reiches an Baum- stämmen die sich hätten zu Fahrzeugen aushöhlen lassen. Dennoch herrschte gerade längs jener Küste ein Seehandel wie er sich in der neuen Welt vor der Entdeckung nur noch an wenigen Stellen wiederfindet. Als Francisco Pizarro 1526 von Panamá her unter der Führung des Piloten Bartolomeo Ruiz an der Küste des heutigen Ecuador die Bucht San Mateo nördlich und östlich vom Cap San Francisco erreicht hatte, fielen ihm in- caperuanische Kauffahrer in die Hände, die aus Tumbez Llama- wollentücher und Juwelierarbeiten brachten. Es war kein Schiff, sondern nur ein Floss auf dem sie eine Küstenfahrt von 90 deut- schen Meilen zurückgelegt hatten. Nicht Mangel an Fertigkeiten oder Erfindungsgabe, sondern Mangel an Schiffsbauholz 1) allein zwang die Küstenbewohner zur Erbauung so roher Verkehrswerk- zeuge, mit denen sie übrigens noch heutigen Tages Fahrten von Guayaquil bis nach Lima (Callao), 180 deutsche Meilen weit, unter- nehmen. Gegenwärtig dienen an der Wüste Atacama, wo die Baumstämme noch seltener sind, nicht einmal Flösse, sondern Stangen mit aufgeblasenen Schläuchen den Eingebornen zum Be- trieb ihrer Fischerei 2). Das Floss aus Tumbez, welches die Spanier 1) d’Orbigny, l’Homme américain. Paris 1839. p. 135. 2) J. J. v. Tschudi, Reisen durch Süd-Amerika. Bd. 5. S. 176. Lesson, Voyage autour du monde. Paris 1839. tom. I. p. 508.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/224>, abgerufen am 20.04.2024.