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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Fahrzeuge und Seetüchtigkeit.
Geschichte, dass Ströme erst im Mittelalter die Städtebegründung
förderten und als grossartige Verkehrsmittel erst nach Benutzung
der Dampfkräfte ihre heutige Geltung erlangten. Wohl sind auch
im Alterthum grosse Culturschöpfungen durch Ströme hervorgerufen
worden, wie durch den Nil und die Geschwisterflüsse Mesopo-
tamiens. Allein in beiden Fällen dienten sie hauptsächlich nur zur
Benetzung von Fluren in trockenen Ländern. Eine günstige
Regenzeit hätte den Euphrat und Tigris entbehren lassen, und
selbst das Nilwasser, wenn auch nicht den Nilschlamm, zu ersetzen
vermocht. Die Eingebornen Amerika's waren aber noch weit ent-
fernt, dass ihre grossartigen Stromnetze als Culturverbreiter sich
wirksam hätten zeigen können. Breite und tiefe Flüsse sind bei
den jugendlichen Anfängen der Gesellschaft eher Schranken und
Hindernisse, wie ja noch zu Cäsars Zeiten der Rhein die Deutschen
und die Kelten schied und trennte. Dem Jäger, der in dem
Rindenkahne sich bewegt, sind kleine und stille Flussläufe will-
kommener, ja als Fischwasser bieten sie ihm sogar die grosse Be-
quemlichkeit, dass er sich durch ihre Vergiftung seiner Beute
rascher zu bemächtigen vermag. Daher kommt es, dass die Nähe
des Mississippi sich gar nicht und die des Amazonas nur durch
sehr geringe Fortschritte in der Gesittung der wilden Stämme ver-
kündigt.

Das gleiche gilt von der grossen Kette Binnenseen in Nord-
amerika, denn die Jägerstämme, welche ihre Ufer bewohnten,
standen durchaus nicht höher als die übrigen. Nautische Ge-
schicklichkeit dürfen wir auch anderwärts nicht auf Binnen-
gewässern suchen. In Asien haben der Balchasch-, Baikal- und
Aral-See, ja nicht einmal das kaspische Meer anregend auf die
Ausbildung der Uferbewohner zur Schifffahrt gewirkt. Fand man
doch noch vor kurzem und findet man noch jetzt, wo die Eng-
länder aus Liebhaberei bessere Muster nicht eingeführt haben, auf
allen Seen der Alpen nur Fahrzeuge von der niedrigsten und zweck-
widrigsten Bauart, die seit Jahrtausenden jeder Verbesserung ge-
trotzt haben. Nicht an Flüssen und noch weniger an Binnenseen,
sondern nur an den Küsten dürfen wir uns nach den Völkern
umsehen, die Länder mit Ländern verknüpfen, wie denn in der
Culturgeschichte mehr als anderswo der Sinnspruch bei den eleu-
sinischen Geheimfeiern gilt: Ans Meer, ihr Mysten!

Von den Völkern die im Alterthum durch ihre Unterneh-

Fahrzeuge und Seetüchtigkeit.
Geschichte, dass Ströme erst im Mittelalter die Städtebegründung
förderten und als grossartige Verkehrsmittel erst nach Benutzung
der Dampfkräfte ihre heutige Geltung erlangten. Wohl sind auch
im Alterthum grosse Culturschöpfungen durch Ströme hervorgerufen
worden, wie durch den Nil und die Geschwisterflüsse Mesopo-
tamiens. Allein in beiden Fällen dienten sie hauptsächlich nur zur
Benetzung von Fluren in trockenen Ländern. Eine günstige
Regenzeit hätte den Euphrat und Tigris entbehren lassen, und
selbst das Nilwasser, wenn auch nicht den Nilschlamm, zu ersetzen
vermocht. Die Eingebornen Amerika’s waren aber noch weit ent-
fernt, dass ihre grossartigen Stromnetze als Culturverbreiter sich
wirksam hätten zeigen können. Breite und tiefe Flüsse sind bei
den jugendlichen Anfängen der Gesellschaft eher Schranken und
Hindernisse, wie ja noch zu Cäsars Zeiten der Rhein die Deutschen
und die Kelten schied und trennte. Dem Jäger, der in dem
Rindenkahne sich bewegt, sind kleine und stille Flussläufe will-
kommener, ja als Fischwasser bieten sie ihm sogar die grosse Be-
quemlichkeit, dass er sich durch ihre Vergiftung seiner Beute
rascher zu bemächtigen vermag. Daher kommt es, dass die Nähe
des Mississippi sich gar nicht und die des Amazonas nur durch
sehr geringe Fortschritte in der Gesittung der wilden Stämme ver-
kündigt.

Das gleiche gilt von der grossen Kette Binnenseen in Nord-
amerika, denn die Jägerstämme, welche ihre Ufer bewohnten,
standen durchaus nicht höher als die übrigen. Nautische Ge-
schicklichkeit dürfen wir auch anderwärts nicht auf Binnen-
gewässern suchen. In Asien haben der Balchasch-, Baikal- und
Aral-See, ja nicht einmal das kaspische Meer anregend auf die
Ausbildung der Uferbewohner zur Schifffahrt gewirkt. Fand man
doch noch vor kurzem und findet man noch jetzt, wo die Eng-
länder aus Liebhaberei bessere Muster nicht eingeführt haben, auf
allen Seen der Alpen nur Fahrzeuge von der niedrigsten und zweck-
widrigsten Bauart, die seit Jahrtausenden jeder Verbesserung ge-
trotzt haben. Nicht an Flüssen und noch weniger an Binnenseen,
sondern nur an den Küsten dürfen wir uns nach den Völkern
umsehen, die Länder mit Ländern verknüpfen, wie denn in der
Culturgeschichte mehr als anderswo der Sinnspruch bei den eleu-
sinischen Geheimfeiern gilt: Ans Meer, ihr Mysten!

Von den Völkern die im Alterthum durch ihre Unterneh-

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[204/0222] Fahrzeuge und Seetüchtigkeit. Geschichte, dass Ströme erst im Mittelalter die Städtebegründung förderten und als grossartige Verkehrsmittel erst nach Benutzung der Dampfkräfte ihre heutige Geltung erlangten. Wohl sind auch im Alterthum grosse Culturschöpfungen durch Ströme hervorgerufen worden, wie durch den Nil und die Geschwisterflüsse Mesopo- tamiens. Allein in beiden Fällen dienten sie hauptsächlich nur zur Benetzung von Fluren in trockenen Ländern. Eine günstige Regenzeit hätte den Euphrat und Tigris entbehren lassen, und selbst das Nilwasser, wenn auch nicht den Nilschlamm, zu ersetzen vermocht. Die Eingebornen Amerika’s waren aber noch weit ent- fernt, dass ihre grossartigen Stromnetze als Culturverbreiter sich wirksam hätten zeigen können. Breite und tiefe Flüsse sind bei den jugendlichen Anfängen der Gesellschaft eher Schranken und Hindernisse, wie ja noch zu Cäsars Zeiten der Rhein die Deutschen und die Kelten schied und trennte. Dem Jäger, der in dem Rindenkahne sich bewegt, sind kleine und stille Flussläufe will- kommener, ja als Fischwasser bieten sie ihm sogar die grosse Be- quemlichkeit, dass er sich durch ihre Vergiftung seiner Beute rascher zu bemächtigen vermag. Daher kommt es, dass die Nähe des Mississippi sich gar nicht und die des Amazonas nur durch sehr geringe Fortschritte in der Gesittung der wilden Stämme ver- kündigt. Das gleiche gilt von der grossen Kette Binnenseen in Nord- amerika, denn die Jägerstämme, welche ihre Ufer bewohnten, standen durchaus nicht höher als die übrigen. Nautische Ge- schicklichkeit dürfen wir auch anderwärts nicht auf Binnen- gewässern suchen. In Asien haben der Balchasch-, Baikal- und Aral-See, ja nicht einmal das kaspische Meer anregend auf die Ausbildung der Uferbewohner zur Schifffahrt gewirkt. Fand man doch noch vor kurzem und findet man noch jetzt, wo die Eng- länder aus Liebhaberei bessere Muster nicht eingeführt haben, auf allen Seen der Alpen nur Fahrzeuge von der niedrigsten und zweck- widrigsten Bauart, die seit Jahrtausenden jeder Verbesserung ge- trotzt haben. Nicht an Flüssen und noch weniger an Binnenseen, sondern nur an den Küsten dürfen wir uns nach den Völkern umsehen, die Länder mit Ländern verknüpfen, wie denn in der Culturgeschichte mehr als anderswo der Sinnspruch bei den eleu- sinischen Geheimfeiern gilt: Ans Meer, ihr Mysten! Von den Völkern die im Alterthum durch ihre Unterneh-

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/222>, abgerufen am 19.04.2024.