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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die Bewaffnung.
die Rothhäute der Vereinigten Staaten inne hatten, ist berechnet
worden, dass Jägerstämme zu ihrem Unterhalte für jeden Kopf
13/4 engl. Q. Meilen nöthig haben, während in einem vergleichbaren
Erdstrich, nämlich in Belgien, 320 Köpfe auf einer engl. Q. Meile
wohnen1).

Nur eine blühende Landwirthschaft verstattet eine hohe Ver-
dichtung. Der Ackerbauer aber kann nicht Waffen führen, die
eine beständige Uebung und seltene Fertigkeiten erfordern. Um
sich gegen ferne Geschosse von Jägerstämmen zu sichern, wird er
vielmehr seinen Körper durch eine Bedeckung von Watte, wie in
Amerika, oder durch Leder, oder durch Metall schützen. Ferner
wird er das zerstreute Gefecht, welches mit Jägerart viel Aehn-
lichkeit hat, aufgeben und in Gliedern sich zusammenschliessen.
In Amerika sehen wir diese Neuerung bei allen Culturvölkern voll-
zogen. Die Mexicaner und Yukateken hatten nicht bloss Schutz-
waffen, sondern sie führten das Schwert des Steinzeitalters aus
Holz geschnitzt und mit einem Falz versehen, in welchen stück-
weise die Klinge aus scharfen Obsidianscherben eingefügt wurde.
Wie weit wären überhaupt sämmtliche Nahuatlvölker Mittelamerikas
zurückgeblieben, wenn sie nicht den Obsidian oder das Iztli unter
den Laven ihrer Vulcane gefunden hätten? ein Mineral, das bei
jedem geschickten Hammerschlag, wir möchten sagen, in lauter
Messerklingen zerspringt, so scharf, dass noch lange nach der Er-
oberung die Spanier sich von einheimischen Barbieren mit Obsi-
dianscherben rasiren liessen. Bei den Incaperuanern treffen wir
hölzerne Helme, mit Watte gepolsterte Wämser, Schwerter aus
Kupfer, Streitäxte, Speere und Wurfspiesse2), sowie Fahnen, letztere
das beste Zeugniss für eine bereits vorhandene taktische Ein-
theilung.

Die Uebergänge bedurften jedenfalls grosser Zeiträume. Hirten-
völker legten die Jagdwaffen nicht plötzlich ab, sondern nur nach
und nach. Im trojanischen Kriege begegneten sich Völker, die
halb Ackerbau, halb Viehzucht trieben. In den Reihen der Achäer
treffen wir daher nur zwei oder drei Virtuosen, die Bogen und
Pfeil führen, und in der Odyssee fordert die schlaue Penelope ihre
Freier zu einem Probeschiessen auf, wobei sich ergibt, dass sie alle

1) Sir John Lubbock, Prehistoric Times. 2d ed. p. 582. sq.
2) Prescott, Conquest of Peru. tom. I, p. 72 sq.

Die Bewaffnung.
die Rothhäute der Vereinigten Staaten inne hatten, ist berechnet
worden, dass Jägerstämme zu ihrem Unterhalte für jeden Kopf
1¾ engl. Q. Meilen nöthig haben, während in einem vergleichbaren
Erdstrich, nämlich in Belgien, 320 Köpfe auf einer engl. Q. Meile
wohnen1).

Nur eine blühende Landwirthschaft verstattet eine hohe Ver-
dichtung. Der Ackerbauer aber kann nicht Waffen führen, die
eine beständige Uebung und seltene Fertigkeiten erfordern. Um
sich gegen ferne Geschosse von Jägerstämmen zu sichern, wird er
vielmehr seinen Körper durch eine Bedeckung von Watte, wie in
Amerika, oder durch Leder, oder durch Metall schützen. Ferner
wird er das zerstreute Gefecht, welches mit Jägerart viel Aehn-
lichkeit hat, aufgeben und in Gliedern sich zusammenschliessen.
In Amerika sehen wir diese Neuerung bei allen Culturvölkern voll-
zogen. Die Mexicaner und Yukateken hatten nicht bloss Schutz-
waffen, sondern sie führten das Schwert des Steinzeitalters aus
Holz geschnitzt und mit einem Falz versehen, in welchen stück-
weise die Klinge aus scharfen Obsidianscherben eingefügt wurde.
Wie weit wären überhaupt sämmtliche Nahuatlvölker Mittelamerikas
zurückgeblieben, wenn sie nicht den Obsidian oder das Iztli unter
den Laven ihrer Vulcane gefunden hätten? ein Mineral, das bei
jedem geschickten Hammerschlag, wir möchten sagen, in lauter
Messerklingen zerspringt, so scharf, dass noch lange nach der Er-
oberung die Spanier sich von einheimischen Barbieren mit Obsi-
dianscherben rasiren liessen. Bei den Incaperuanern treffen wir
hölzerne Helme, mit Watte gepolsterte Wämser, Schwerter aus
Kupfer, Streitäxte, Speere und Wurfspiesse2), sowie Fahnen, letztere
das beste Zeugniss für eine bereits vorhandene taktische Ein-
theilung.

Die Uebergänge bedurften jedenfalls grosser Zeiträume. Hirten-
völker legten die Jagdwaffen nicht plötzlich ab, sondern nur nach
und nach. Im trojanischen Kriege begegneten sich Völker, die
halb Ackerbau, halb Viehzucht trieben. In den Reihen der Achäer
treffen wir daher nur zwei oder drei Virtuosen, die Bogen und
Pfeil führen, und in der Odyssee fordert die schlaue Penelope ihre
Freier zu einem Probeschiessen auf, wobei sich ergibt, dass sie alle

1) Sir John Lubbock, Prehistoric Times. 2d ed. p. 582. sq.
2) Prescott, Conquest of Peru. tom. I, p. 72 sq.
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[200/0218] Die Bewaffnung. die Rothhäute der Vereinigten Staaten inne hatten, ist berechnet worden, dass Jägerstämme zu ihrem Unterhalte für jeden Kopf 1¾ engl. Q. Meilen nöthig haben, während in einem vergleichbaren Erdstrich, nämlich in Belgien, 320 Köpfe auf einer engl. Q. Meile wohnen 1). Nur eine blühende Landwirthschaft verstattet eine hohe Ver- dichtung. Der Ackerbauer aber kann nicht Waffen führen, die eine beständige Uebung und seltene Fertigkeiten erfordern. Um sich gegen ferne Geschosse von Jägerstämmen zu sichern, wird er vielmehr seinen Körper durch eine Bedeckung von Watte, wie in Amerika, oder durch Leder, oder durch Metall schützen. Ferner wird er das zerstreute Gefecht, welches mit Jägerart viel Aehn- lichkeit hat, aufgeben und in Gliedern sich zusammenschliessen. In Amerika sehen wir diese Neuerung bei allen Culturvölkern voll- zogen. Die Mexicaner und Yukateken hatten nicht bloss Schutz- waffen, sondern sie führten das Schwert des Steinzeitalters aus Holz geschnitzt und mit einem Falz versehen, in welchen stück- weise die Klinge aus scharfen Obsidianscherben eingefügt wurde. Wie weit wären überhaupt sämmtliche Nahuatlvölker Mittelamerikas zurückgeblieben, wenn sie nicht den Obsidian oder das Iztli unter den Laven ihrer Vulcane gefunden hätten? ein Mineral, das bei jedem geschickten Hammerschlag, wir möchten sagen, in lauter Messerklingen zerspringt, so scharf, dass noch lange nach der Er- oberung die Spanier sich von einheimischen Barbieren mit Obsi- dianscherben rasiren liessen. Bei den Incaperuanern treffen wir hölzerne Helme, mit Watte gepolsterte Wämser, Schwerter aus Kupfer, Streitäxte, Speere und Wurfspiesse 2), sowie Fahnen, letztere das beste Zeugniss für eine bereits vorhandene taktische Ein- theilung. Die Uebergänge bedurften jedenfalls grosser Zeiträume. Hirten- völker legten die Jagdwaffen nicht plötzlich ab, sondern nur nach und nach. Im trojanischen Kriege begegneten sich Völker, die halb Ackerbau, halb Viehzucht trieben. In den Reihen der Achäer treffen wir daher nur zwei oder drei Virtuosen, die Bogen und Pfeil führen, und in der Odyssee fordert die schlaue Penelope ihre Freier zu einem Probeschiessen auf, wobei sich ergibt, dass sie alle 1) Sir John Lubbock, Prehistoric Times. 2d ed. p. 582. sq. 2) Prescott, Conquest of Peru. tom. I, p. 72 sq.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/218>, abgerufen am 28.03.2024.