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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die Bewaffnung.
Fidschigruppe und Neu-Caledoniens führten sie ebenfalls 1). Auf
diesen Inseln diente sie zugleich einem täglichen Bedürfniss, denn
es wurden die Kokosnüsse durch Steinwürfe von den Palmen herab-
geholt. Weniger klar ist es, weshalb gerade die Guanchen, oder
die ausgestorbenen Bewohner der canarischen Inseln sich dieser
Waffe bedienten, vielleicht, dass sie die Schleuder aus ihrer früheren
nordafrikanischen Heimath auf den Archipel mitbrachten. Auch
die besten Schleuderer im classischen Alterthum stammten von
einer Inselgruppe, den Balearen 2). Im Sudan und im südlichen
Afrika kommt die Schleuder entweder gar nicht oder nur als
Seltenheit vor, um so reichlicher bei Völkern der biblischen Ge-
schichte. Berühmt waren unter den Hebräern die Schleuderer des
Stammes Benjamin, die mit der Rechten und Linken fochten und
mit ihren Steinwürfen das Ziel nicht um Haaresbreite fehlten 3).
Auch wurde ja durch einen glücklichen Steinwurf gegen einen
riesenhaften Philistäer die Dynastie der Könige in Juda begründet.
Steinige Weidetriften, wie sie in Palästina nirgends fehlen, waren
herausfordernd zur Uebung des Schleuderns, zumal alle Hirten-
völker im Werfen geübt sind, theils zur Vertheidigung ihrer Thiere,
theils zur Bestrafung der Hunde oder zerstreuter Heerdenstücke.
Förmlichen Uebungen im Scheibenschiessen und im Steinewerfen
wohnte Adolph v. Wrede unter Beduinen des arabischen Hadh-
ramaut bei4). National- und Lieblingswaffe ist die Schleuder aber
in Südamerika geworden. Während die Ebenen östlich von den
Anden, mit Wald bedeckt, nur Jägerstämme kennen, die überall
den Bogen führen, treffen wir im Reiche der Inca oder Sonnen-
söhne, bei den Culturvölkern, den Ketschua und Aymara, auf den
baumlosen Puna oder Hochebenen zwischen den Cordilleren die
Schleuder als Jagd- und Kriegswaffe. Sämmtliche Völker in den
Anden Südamerikas führen die Schleuder bis südwärts herab zum
Cap Horn, wo sich ihrer die Feuerländer zu ihren Jagden auf
Llamas oder vielmehr Guanacos bedienen. Anthropologisch ver-
wandt mit den Völkern der Anden sind die Patagonier der Steppen
im Süden und Westen des Silberbundes. Dort hat das Schleudern

1) F. Knoblauch, Ausland 1866. S. 466.
2) Forbiger, alte Geographie. Bd. 3. S. 106.
3) Judic. XX, 15--16.
4) v. Wrede's Reisen im Hadhramaut. Herausg. von H. v. Maltzan.
Braunschweig 1870. S. 195.

Die Bewaffnung.
Fidschigruppe und Neu-Caledoniens führten sie ebenfalls 1). Auf
diesen Inseln diente sie zugleich einem täglichen Bedürfniss, denn
es wurden die Kokosnüsse durch Steinwürfe von den Palmen herab-
geholt. Weniger klar ist es, weshalb gerade die Guanchen, oder
die ausgestorbenen Bewohner der canarischen Inseln sich dieser
Waffe bedienten, vielleicht, dass sie die Schleuder aus ihrer früheren
nordafrikanischen Heimath auf den Archipel mitbrachten. Auch
die besten Schleuderer im classischen Alterthum stammten von
einer Inselgruppe, den Balearen 2). Im Sudan und im südlichen
Afrika kommt die Schleuder entweder gar nicht oder nur als
Seltenheit vor, um so reichlicher bei Völkern der biblischen Ge-
schichte. Berühmt waren unter den Hebräern die Schleuderer des
Stammes Benjamin, die mit der Rechten und Linken fochten und
mit ihren Steinwürfen das Ziel nicht um Haaresbreite fehlten 3).
Auch wurde ja durch einen glücklichen Steinwurf gegen einen
riesenhaften Philistäer die Dynastie der Könige in Juda begründet.
Steinige Weidetriften, wie sie in Palästina nirgends fehlen, waren
herausfordernd zur Uebung des Schleuderns, zumal alle Hirten-
völker im Werfen geübt sind, theils zur Vertheidigung ihrer Thiere,
theils zur Bestrafung der Hunde oder zerstreuter Heerdenstücke.
Förmlichen Uebungen im Scheibenschiessen und im Steinewerfen
wohnte Adolph v. Wrede unter Beduinen des arabischen Hadh-
ramaut bei4). National- und Lieblingswaffe ist die Schleuder aber
in Südamerika geworden. Während die Ebenen östlich von den
Anden, mit Wald bedeckt, nur Jägerstämme kennen, die überall
den Bogen führen, treffen wir im Reiche der Inca oder Sonnen-
söhne, bei den Culturvölkern, den Ketschua und Aymara, auf den
baumlosen Puna oder Hochebenen zwischen den Cordilleren die
Schleuder als Jagd- und Kriegswaffe. Sämmtliche Völker in den
Anden Südamerikas führen die Schleuder bis südwärts herab zum
Cap Horn, wo sich ihrer die Feuerländer zu ihren Jagden auf
Llamas oder vielmehr Guanacos bedienen. Anthropologisch ver-
wandt mit den Völkern der Anden sind die Patagonier der Steppen
im Süden und Westen des Silberbundes. Dort hat das Schleudern

1) F. Knoblauch, Ausland 1866. S. 466.
2) Forbiger, alte Geographie. Bd. 3. S. 106.
3) Judic. XX, 15—16.
4) v. Wrede’s Reisen im Hadhramaut. Herausg. von H. v. Maltzan.
Braunschweig 1870. S. 195.
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[198/0216] Die Bewaffnung. Fidschigruppe und Neu-Caledoniens führten sie ebenfalls 1). Auf diesen Inseln diente sie zugleich einem täglichen Bedürfniss, denn es wurden die Kokosnüsse durch Steinwürfe von den Palmen herab- geholt. Weniger klar ist es, weshalb gerade die Guanchen, oder die ausgestorbenen Bewohner der canarischen Inseln sich dieser Waffe bedienten, vielleicht, dass sie die Schleuder aus ihrer früheren nordafrikanischen Heimath auf den Archipel mitbrachten. Auch die besten Schleuderer im classischen Alterthum stammten von einer Inselgruppe, den Balearen 2). Im Sudan und im südlichen Afrika kommt die Schleuder entweder gar nicht oder nur als Seltenheit vor, um so reichlicher bei Völkern der biblischen Ge- schichte. Berühmt waren unter den Hebräern die Schleuderer des Stammes Benjamin, die mit der Rechten und Linken fochten und mit ihren Steinwürfen das Ziel nicht um Haaresbreite fehlten 3). Auch wurde ja durch einen glücklichen Steinwurf gegen einen riesenhaften Philistäer die Dynastie der Könige in Juda begründet. Steinige Weidetriften, wie sie in Palästina nirgends fehlen, waren herausfordernd zur Uebung des Schleuderns, zumal alle Hirten- völker im Werfen geübt sind, theils zur Vertheidigung ihrer Thiere, theils zur Bestrafung der Hunde oder zerstreuter Heerdenstücke. Förmlichen Uebungen im Scheibenschiessen und im Steinewerfen wohnte Adolph v. Wrede unter Beduinen des arabischen Hadh- ramaut bei 4). National- und Lieblingswaffe ist die Schleuder aber in Südamerika geworden. Während die Ebenen östlich von den Anden, mit Wald bedeckt, nur Jägerstämme kennen, die überall den Bogen führen, treffen wir im Reiche der Inca oder Sonnen- söhne, bei den Culturvölkern, den Ketschua und Aymara, auf den baumlosen Puna oder Hochebenen zwischen den Cordilleren die Schleuder als Jagd- und Kriegswaffe. Sämmtliche Völker in den Anden Südamerikas führen die Schleuder bis südwärts herab zum Cap Horn, wo sich ihrer die Feuerländer zu ihren Jagden auf Llamas oder vielmehr Guanacos bedienen. Anthropologisch ver- wandt mit den Völkern der Anden sind die Patagonier der Steppen im Süden und Westen des Silberbundes. Dort hat das Schleudern 1) F. Knoblauch, Ausland 1866. S. 466. 2) Forbiger, alte Geographie. Bd. 3. S. 106. 3) Judic. XX, 15—16. 4) v. Wrede’s Reisen im Hadhramaut. Herausg. von H. v. Maltzan. Braunschweig 1870. S. 195.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/216>, abgerufen am 16.04.2024.