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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die Bewaffnung.
so dass in einer Minute von geübter Hand mehrere Ge-
schosse abgesendet werden können. Die kleinen dünnen Bolzen
entziehen sich noch leichter als die Pfeile den Blicken der Be-
drohten, und aus seinem Versteck kann der Schütze so lange seine
Geschosse entsenden bis eines trifft. Da ihre Tragkraft von den
Muskeln des Thorax herstammt, so ist ihr Percussionsvermögen ein
sehr geringes. Damit der Bolzen tödtlich wirke, ist daher erforder-
lich, dass er mit Gift gesalbt werde. Das Gift selbst also ist hier
die Waffe und das Geschoss nur der Ueberbringer. Auf den ma-
layischen Inseln dient dazu das Ipo oder die Milch des Upas-
baumes (Antiaris toxicaria), die zwar sehr bösartige, aber selten
tödtliche Wunden erzeugt. Wenigstens behauptet Dr. Mohnike,
dass es zur tetanischen Erstarrung alter Orangutang einer be-
trächtlichen Anzahl Pfeile bedürfe 1). Andrerseits versichert Spenser
St. John, dass die Engländer 1859 in einem Gefecht gegen die
Kanowit-Dayaken auf Borneo 30 der Ihrigen an den kleinen kaum
bemerkbaren Wunden verloren 2), welche die Giftbolzen hinterlassen
hatten, und Lieutn. Crespigny sah einen Eingebornen Borneos, der
auf solche Art in der Wade und der Schulter verwundet worden
war, in zwei Stunden sterben 3). Aehnlich wirkte eine Giftsalbe,
deren sich die streitbaren und blutgierigen Bewohner der Küsten
des caribischen Golfes bedienten. Nach der Schilderung der alten
spanischen Seefahrer trat der Tod der Verwundeten unter Rase-
reien und Qualen ziemlich spät, oft erst nach 24 Stunden ein. Sie
behaupten, dass zu dem Gift die Milch des Manschinellenbaumes
(Hippomane Mancinella) mit Zusatz von Schlangengift verwendet
worden sei 4), doch ist alles sehr dunkel und zweifelhaft, was sie
darüber mittheilen.

Um so besser sind wir unterrichtet über das unheimlichste
aller Gifte, nämlich über das Urari, Curare oder Wurali der In-
dianer am Amazonasstrome 5) und in Guayana. Weder Lacon-

1) Ausland 1872. Bd. 45. No. 38. S. 894.
2) Far East, tom. I. p. 46.
3) Proceedings of the R. Geogr. Soc. 1872. vol. XVI. p. 173--5.
4) Oviedo, Historia general y natural de las Indias, lib. XXVII. cap. 3.
5) Am Amazonenstrome wird das gefürchtete Gift von den Stämmen be-
reitet, welche die Quellengebiete der nördlichen Nebenflüsse zwischen dem
Rio Negro und Japura bewohnen (Bates, the Naturalist on the Amazons-
2d. edit. pag. 370). Die Indianer des Napoflusses holen das Urari von den
Peschel, Völkerkunde. 13

Die Bewaffnung.
so dass in einer Minute von geübter Hand mehrere Ge-
schosse abgesendet werden können. Die kleinen dünnen Bolzen
entziehen sich noch leichter als die Pfeile den Blicken der Be-
drohten, und aus seinem Versteck kann der Schütze so lange seine
Geschosse entsenden bis eines trifft. Da ihre Tragkraft von den
Muskeln des Thorax herstammt, so ist ihr Percussionsvermögen ein
sehr geringes. Damit der Bolzen tödtlich wirke, ist daher erforder-
lich, dass er mit Gift gesalbt werde. Das Gift selbst also ist hier
die Waffe und das Geschoss nur der Ueberbringer. Auf den ma-
layischen Inseln dient dazu das Ipo oder die Milch des Upas-
baumes (Antiaris toxicaria), die zwar sehr bösartige, aber selten
tödtliche Wunden erzeugt. Wenigstens behauptet Dr. Mohnike,
dass es zur tetanischen Erstarrung alter Orangutang einer be-
trächtlichen Anzahl Pfeile bedürfe 1). Andrerseits versichert Spenser
St. John, dass die Engländer 1859 in einem Gefecht gegen die
Kanowit-Dayaken auf Borneo 30 der Ihrigen an den kleinen kaum
bemerkbaren Wunden verloren 2), welche die Giftbolzen hinterlassen
hatten, und Lieutn. Crespigny sah einen Eingebornen Borneos, der
auf solche Art in der Wade und der Schulter verwundet worden
war, in zwei Stunden sterben 3). Aehnlich wirkte eine Giftsalbe,
deren sich die streitbaren und blutgierigen Bewohner der Küsten
des caribischen Golfes bedienten. Nach der Schilderung der alten
spanischen Seefahrer trat der Tod der Verwundeten unter Rase-
reien und Qualen ziemlich spät, oft erst nach 24 Stunden ein. Sie
behaupten, dass zu dem Gift die Milch des Manschinellenbaumes
(Hippomane Mancinella) mit Zusatz von Schlangengift verwendet
worden sei 4), doch ist alles sehr dunkel und zweifelhaft, was sie
darüber mittheilen.

Um so besser sind wir unterrichtet über das unheimlichste
aller Gifte, nämlich über das Urari, Curaré oder Wurali der In-
dianer am Amazonasstrome 5) und in Guayana. Weder Lacon-

1) Ausland 1872. Bd. 45. No. 38. S. 894.
2) Far East, tom. I. p. 46.
3) Proceedings of the R. Geogr. Soc. 1872. vol. XVI. p. 173—5.
4) Oviedo, Historia general y natural de las Indias, lib. XXVII. cap. 3.
5) Am Amazonenstrome wird das gefürchtete Gift von den Stämmen be-
reitet, welche die Quellengebiete der nördlichen Nebenflüsse zwischen dem
Rio Negro und Japura bewohnen (Bates, the Naturalist on the Amazons-
2d. edit. pag. 370). Die Indianer des Napóflusses holen das Urari von den
Peschel, Völkerkunde. 13
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[193/0211] Die Bewaffnung. so dass in einer Minute von geübter Hand mehrere Ge- schosse abgesendet werden können. Die kleinen dünnen Bolzen entziehen sich noch leichter als die Pfeile den Blicken der Be- drohten, und aus seinem Versteck kann der Schütze so lange seine Geschosse entsenden bis eines trifft. Da ihre Tragkraft von den Muskeln des Thorax herstammt, so ist ihr Percussionsvermögen ein sehr geringes. Damit der Bolzen tödtlich wirke, ist daher erforder- lich, dass er mit Gift gesalbt werde. Das Gift selbst also ist hier die Waffe und das Geschoss nur der Ueberbringer. Auf den ma- layischen Inseln dient dazu das Ipo oder die Milch des Upas- baumes (Antiaris toxicaria), die zwar sehr bösartige, aber selten tödtliche Wunden erzeugt. Wenigstens behauptet Dr. Mohnike, dass es zur tetanischen Erstarrung alter Orangutang einer be- trächtlichen Anzahl Pfeile bedürfe 1). Andrerseits versichert Spenser St. John, dass die Engländer 1859 in einem Gefecht gegen die Kanowit-Dayaken auf Borneo 30 der Ihrigen an den kleinen kaum bemerkbaren Wunden verloren 2), welche die Giftbolzen hinterlassen hatten, und Lieutn. Crespigny sah einen Eingebornen Borneos, der auf solche Art in der Wade und der Schulter verwundet worden war, in zwei Stunden sterben 3). Aehnlich wirkte eine Giftsalbe, deren sich die streitbaren und blutgierigen Bewohner der Küsten des caribischen Golfes bedienten. Nach der Schilderung der alten spanischen Seefahrer trat der Tod der Verwundeten unter Rase- reien und Qualen ziemlich spät, oft erst nach 24 Stunden ein. Sie behaupten, dass zu dem Gift die Milch des Manschinellenbaumes (Hippomane Mancinella) mit Zusatz von Schlangengift verwendet worden sei 4), doch ist alles sehr dunkel und zweifelhaft, was sie darüber mittheilen. Um so besser sind wir unterrichtet über das unheimlichste aller Gifte, nämlich über das Urari, Curaré oder Wurali der In- dianer am Amazonasstrome 5) und in Guayana. Weder Lacon- 1) Ausland 1872. Bd. 45. No. 38. S. 894. 2) Far East, tom. I. p. 46. 3) Proceedings of the R. Geogr. Soc. 1872. vol. XVI. p. 173—5. 4) Oviedo, Historia general y natural de las Indias, lib. XXVII. cap. 3. 5) Am Amazonenstrome wird das gefürchtete Gift von den Stämmen be- reitet, welche die Quellengebiete der nördlichen Nebenflüsse zwischen dem Rio Negro und Japura bewohnen (Bates, the Naturalist on the Amazons- 2d. edit. pag. 370). Die Indianer des Napóflusses holen das Urari von den Peschel, Völkerkunde. 13

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/211>, abgerufen am 25.04.2024.