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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Bekleidung und Obdach.
geflochtnen Wände fehlt in Australien und in der Südsee gänzlich.
Der Bau mit Luftziegeln oder Adoben ist ein Eigenthum der
trocknen Hoch- und Tiefländer Neu-Mexicos, Mexicos und Mittel-
amerikas, während Mittelafrika wieder seine Thonhütten besitzt,
deren Mauern aus gestampftem Lehm bestehen, auf welchen zu-
letzt ein Strohdach aufgesetzt wird. Der Steinbau wagte sich an-
fangs nur an die niedrigsten Aufgaben, weil sich einer lothrechten
Aufthürmung von Bruchstücken zu Mauern unbesiegbare Schwie-
rigkeiten entgegensetzten. Alte Tempelbauten in Mittelamerika
wie in Mesopotamien bestanden aus Treppenpyramiden und die
ersten Versuche zu solchen Kunstwerken mögen den einfachen
Terrassen oder Morai auf den polynesischen Inseln geglichen
haben, ihre höchste Vollkommenheit erreichten sie aber in den
glatten Pyramiden Aegyptens. In trocknen waldentblössten Erd-
räumen wurden die Bewohner zuerst zu Mauerbauten angeregt,
weil dort am frühesten auf einen Ersatz für die mangelnden Balken
gedacht wurde. Daher ist die Baukunst Aegyptens fast um viertausend
Jahre älter, als die indische, die sich in den Felsentempeln zuerst
regte, deren Decken aber noch mit Eisenholzstämmen gestützt
wurden, während freistehende Steinbauten nach Fergusson's For-
schungen erst unter König Acoka, also um die Mitte des dritten
Jahrhunderts v. Chr. aufgeführt wurden. Das Durchbrechen der
Mauern um der Luft und dem Licht sowie den Bewohnern selbst
Eingang zu gewähren, setzte den Scharfsinn auf eine neue und
harte Probe. Sie wurde dadurch gelöst, dass die Bausteine treppen-
artig nach Oben vorsprangen, bis die Mauerränder sich so weit
näherten, dass ein breiter Stein querüber als Brücke die Oeffnung
nach oben schliessen konnte. Dass die Kunst der Aegypter und
Hellenen auf dieser Stufe ehemals gestanden sein muss, bezeugen
uns ihre Tempelpforten, die an der Schwelle breiter sind als am
Gesims, in dem man selbst später, als rechteckige Zugänge längst
durch die Leistungen der Steinmetzarbeit sich herstellen liessen,
doch aus Anhänglichkeit oder aus künstlerischer Vorliebe das
Alterthümliche beibehielt. Auf die gleiche Weise, nämlich durch
vorspringende Backsteinlagen wurden im alten Babylonien schräg
zulaufende unechte Gewölbe oder auch falsche Spitzbogen aus-
geführt 1).

1) Rawlinson, Monarchies of the Eastern World. vol. I. p. 86. p. 329.

Bekleidung und Obdach.
geflochtnen Wände fehlt in Australien und in der Südsee gänzlich.
Der Bau mit Luftziegeln oder Adoben ist ein Eigenthum der
trocknen Hoch- und Tiefländer Neu-Mexicos, Mexicos und Mittel-
amerikas, während Mittelafrika wieder seine Thonhütten besitzt,
deren Mauern aus gestampftem Lehm bestehen, auf welchen zu-
letzt ein Strohdach aufgesetzt wird. Der Steinbau wagte sich an-
fangs nur an die niedrigsten Aufgaben, weil sich einer lothrechten
Aufthürmung von Bruchstücken zu Mauern unbesiegbare Schwie-
rigkeiten entgegensetzten. Alte Tempelbauten in Mittelamerika
wie in Mesopotamien bestanden aus Treppenpyramiden und die
ersten Versuche zu solchen Kunstwerken mögen den einfachen
Terrassen oder Morai auf den polynesischen Inseln geglichen
haben, ihre höchste Vollkommenheit erreichten sie aber in den
glatten Pyramiden Aegyptens. In trocknen waldentblössten Erd-
räumen wurden die Bewohner zuerst zu Mauerbauten angeregt,
weil dort am frühesten auf einen Ersatz für die mangelnden Balken
gedacht wurde. Daher ist die Baukunst Aegyptens fast um viertausend
Jahre älter, als die indische, die sich in den Felsentempeln zuerst
regte, deren Decken aber noch mit Eisenholzstämmen gestützt
wurden, während freistehende Steinbauten nach Fergusson’s For-
schungen erst unter König Açoka, also um die Mitte des dritten
Jahrhunderts v. Chr. aufgeführt wurden. Das Durchbrechen der
Mauern um der Luft und dem Licht sowie den Bewohnern selbst
Eingang zu gewähren, setzte den Scharfsinn auf eine neue und
harte Probe. Sie wurde dadurch gelöst, dass die Bausteine treppen-
artig nach Oben vorsprangen, bis die Mauerränder sich so weit
näherten, dass ein breiter Stein querüber als Brücke die Oeffnung
nach oben schliessen konnte. Dass die Kunst der Aegypter und
Hellenen auf dieser Stufe ehemals gestanden sein muss, bezeugen
uns ihre Tempelpforten, die an der Schwelle breiter sind als am
Gesims, in dem man selbst später, als rechteckige Zugänge längst
durch die Leistungen der Steinmetzarbeit sich herstellen liessen,
doch aus Anhänglichkeit oder aus künstlerischer Vorliebe das
Alterthümliche beibehielt. Auf die gleiche Weise, nämlich durch
vorspringende Backsteinlagen wurden im alten Babylonien schräg
zulaufende unechte Gewölbe oder auch falsche Spitzbogen aus-
geführt 1).

1) Rawlinson, Monarchies of the Eastern World. vol. I. p. 86. p. 329.
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[187/0205] Bekleidung und Obdach. geflochtnen Wände fehlt in Australien und in der Südsee gänzlich. Der Bau mit Luftziegeln oder Adoben ist ein Eigenthum der trocknen Hoch- und Tiefländer Neu-Mexicos, Mexicos und Mittel- amerikas, während Mittelafrika wieder seine Thonhütten besitzt, deren Mauern aus gestampftem Lehm bestehen, auf welchen zu- letzt ein Strohdach aufgesetzt wird. Der Steinbau wagte sich an- fangs nur an die niedrigsten Aufgaben, weil sich einer lothrechten Aufthürmung von Bruchstücken zu Mauern unbesiegbare Schwie- rigkeiten entgegensetzten. Alte Tempelbauten in Mittelamerika wie in Mesopotamien bestanden aus Treppenpyramiden und die ersten Versuche zu solchen Kunstwerken mögen den einfachen Terrassen oder Morai auf den polynesischen Inseln geglichen haben, ihre höchste Vollkommenheit erreichten sie aber in den glatten Pyramiden Aegyptens. In trocknen waldentblössten Erd- räumen wurden die Bewohner zuerst zu Mauerbauten angeregt, weil dort am frühesten auf einen Ersatz für die mangelnden Balken gedacht wurde. Daher ist die Baukunst Aegyptens fast um viertausend Jahre älter, als die indische, die sich in den Felsentempeln zuerst regte, deren Decken aber noch mit Eisenholzstämmen gestützt wurden, während freistehende Steinbauten nach Fergusson’s For- schungen erst unter König Açoka, also um die Mitte des dritten Jahrhunderts v. Chr. aufgeführt wurden. Das Durchbrechen der Mauern um der Luft und dem Licht sowie den Bewohnern selbst Eingang zu gewähren, setzte den Scharfsinn auf eine neue und harte Probe. Sie wurde dadurch gelöst, dass die Bausteine treppen- artig nach Oben vorsprangen, bis die Mauerränder sich so weit näherten, dass ein breiter Stein querüber als Brücke die Oeffnung nach oben schliessen konnte. Dass die Kunst der Aegypter und Hellenen auf dieser Stufe ehemals gestanden sein muss, bezeugen uns ihre Tempelpforten, die an der Schwelle breiter sind als am Gesims, in dem man selbst später, als rechteckige Zugänge längst durch die Leistungen der Steinmetzarbeit sich herstellen liessen, doch aus Anhänglichkeit oder aus künstlerischer Vorliebe das Alterthümliche beibehielt. Auf die gleiche Weise, nämlich durch vorspringende Backsteinlagen wurden im alten Babylonien schräg zulaufende unechte Gewölbe oder auch falsche Spitzbogen aus- geführt 1). 1) Rawlinson, Monarchies of the Eastern World. vol. I. p. 86. p. 329.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/205>, abgerufen am 24.04.2024.