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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Bekleidung und Obdach.

Hemd, Hut, Haube, Schuhe, Rock und Hosen, glaubte A. Bac-
meister behaupten zu dürfen, seien uralte Worte unsrer Sprache 1).
Merkwürdig ist, dass das Beinkleid zuerst von Nordeuropa über die
classischen Mittelmeergestade und dann über den ganzen Erdkreis
sich verbreitet hat. Doch ist auch dieser Bekleidungsschnitt an
verschiedenen Orten erfunden worden. Hosen tragen und trugen,
so weit wir zurückdenken und zurückschliessen dürfen, alle Nord-
asiaten. Wollte man auch annehmen, dass Eskimo diese Neue-
rung aus ihrer alten westlichen Heimath bei ihrer Wanderung
nach Amerika mitgebracht hätten, so finden wir doch auch im
Norden der neuen Welt bei den sogenannten Rothhäuten diese
Tracht verbreitet. Die amerikanischen Eingebornen haben auch
darin vor den alten Culturvölkern einen kleinen Vorzug, dass sie
bereits eine treffliche Fussbekleidung nicht etwa Sandalen, sondern
Halbstiefeln oder Mocassin zu verfertigen pflegten. Merkwürdiger-
weise bedienen sich auch der letzteren die Patagonier, im äussersten
Süden der neuen Welt, während sie in Mittelamerika und im
übrigen Südamerika vermisst werden. Schuhe sahen die Römer
zuerst bei den Barbaren; auch bleibt bei den Götterbildern der
alten Aegypter der Fuss unbekleidet. Ebenso fehlten in Babylon, wo
doch nach dem walzenförmigen Petschaft des Königs Uruch (2326
v. Chr.) schon ein grosser Luxus in Kleidertrachten herrschte,
Schuhe und Sandalen noch gänzlich 2). Barfüssige Völker sind
noch jetzt überall unter niedrigen Breiten anzutreffen, während da,
wo der Schnee liegen bleibt, wo es friert oder wo der Boden
wenigstens durch Ausstrahlung stark erkaltet, frühzeitig auf den
Schutz der Füsse gedacht werden muss. In Afrika wird des Ge-
brauches von Sandalen bei den Mandingonegern in Musardo 3), ja
auffallenderweise bei den sonst nackten Barinegern am weissen
Nil 4), bei den Kissama in Angola 5), bei den Kafirn 6) sowie an-
deren Bantunegern und endlich bei den Hottentotten 7) gedacht.

1) Ausland. 1871. S. 604. Hemd ist doch wohl von imation abzuleiten.
2) G. Rawlinson, Great monarchies. tom. I. 105.
3) Aus Anderson's Journey to Musardo in den Mittheil. der Wiener
geogr. Gesellschaft. 1871. S. 363. S. 425.
4) W. v. Harnier's Reisen am obern Nil. S. 37.
5) Hamilton in Journ. of the Anthropol. Institute. tom. I. p. 188.
6) G. Fritsch, Eingeborne Südafrikas. S. 60. S. 222.
7) Kolbe, Kap der Guten Hoffnung. S. 479.
Bekleidung und Obdach.

Hemd, Hut, Haube, Schuhe, Rock und Hosen, glaubte A. Bac-
meister behaupten zu dürfen, seien uralte Worte unsrer Sprache 1).
Merkwürdig ist, dass das Beinkleid zuerst von Nordeuropa über die
classischen Mittelmeergestade und dann über den ganzen Erdkreis
sich verbreitet hat. Doch ist auch dieser Bekleidungsschnitt an
verschiedenen Orten erfunden worden. Hosen tragen und trugen,
so weit wir zurückdenken und zurückschliessen dürfen, alle Nord-
asiaten. Wollte man auch annehmen, dass Eskimo diese Neue-
rung aus ihrer alten westlichen Heimath bei ihrer Wanderung
nach Amerika mitgebracht hätten, so finden wir doch auch im
Norden der neuen Welt bei den sogenannten Rothhäuten diese
Tracht verbreitet. Die amerikanischen Eingebornen haben auch
darin vor den alten Culturvölkern einen kleinen Vorzug, dass sie
bereits eine treffliche Fussbekleidung nicht etwa Sandalen, sondern
Halbstiefeln oder Mocassin zu verfertigen pflegten. Merkwürdiger-
weise bedienen sich auch der letzteren die Patagonier, im äussersten
Süden der neuen Welt, während sie in Mittelamerika und im
übrigen Südamerika vermisst werden. Schuhe sahen die Römer
zuerst bei den Barbaren; auch bleibt bei den Götterbildern der
alten Aegypter der Fuss unbekleidet. Ebenso fehlten in Babylon, wo
doch nach dem walzenförmigen Petschaft des Königs Uruch (2326
v. Chr.) schon ein grosser Luxus in Kleidertrachten herrschte,
Schuhe und Sandalen noch gänzlich 2). Barfüssige Völker sind
noch jetzt überall unter niedrigen Breiten anzutreffen, während da,
wo der Schnee liegen bleibt, wo es friert oder wo der Boden
wenigstens durch Ausstrahlung stark erkaltet, frühzeitig auf den
Schutz der Füsse gedacht werden muss. In Afrika wird des Ge-
brauches von Sandalen bei den Mandingonegern in Musardo 3), ja
auffallenderweise bei den sonst nackten Barinegern am weissen
Nil 4), bei den Kissama in Angola 5), bei den Kafirn 6) sowie an-
deren Bantunegern und endlich bei den Hottentotten 7) gedacht.

1) Ausland. 1871. S. 604. Hemd ist doch wohl von ἱμάτιον abzuleiten.
2) G. Rawlinson, Great monarchies. tom. I. 105.
3) Aus Anderson’s Journey to Musardo in den Mittheil. der Wiener
geogr. Gesellschaft. 1871. S. 363. S. 425.
4) W. v. Harnier’s Reisen am obern Nil. S. 37.
5) Hamilton in Journ. of the Anthropol. Institute. tom. I. p. 188.
6) G. Fritsch, Eingeborne Südafrikas. S. 60. S. 222.
7) Kolbe, Kap der Guten Hoffnung. S. 479.
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[184/0202] Bekleidung und Obdach. Hemd, Hut, Haube, Schuhe, Rock und Hosen, glaubte A. Bac- meister behaupten zu dürfen, seien uralte Worte unsrer Sprache 1). Merkwürdig ist, dass das Beinkleid zuerst von Nordeuropa über die classischen Mittelmeergestade und dann über den ganzen Erdkreis sich verbreitet hat. Doch ist auch dieser Bekleidungsschnitt an verschiedenen Orten erfunden worden. Hosen tragen und trugen, so weit wir zurückdenken und zurückschliessen dürfen, alle Nord- asiaten. Wollte man auch annehmen, dass Eskimo diese Neue- rung aus ihrer alten westlichen Heimath bei ihrer Wanderung nach Amerika mitgebracht hätten, so finden wir doch auch im Norden der neuen Welt bei den sogenannten Rothhäuten diese Tracht verbreitet. Die amerikanischen Eingebornen haben auch darin vor den alten Culturvölkern einen kleinen Vorzug, dass sie bereits eine treffliche Fussbekleidung nicht etwa Sandalen, sondern Halbstiefeln oder Mocassin zu verfertigen pflegten. Merkwürdiger- weise bedienen sich auch der letzteren die Patagonier, im äussersten Süden der neuen Welt, während sie in Mittelamerika und im übrigen Südamerika vermisst werden. Schuhe sahen die Römer zuerst bei den Barbaren; auch bleibt bei den Götterbildern der alten Aegypter der Fuss unbekleidet. Ebenso fehlten in Babylon, wo doch nach dem walzenförmigen Petschaft des Königs Uruch (2326 v. Chr.) schon ein grosser Luxus in Kleidertrachten herrschte, Schuhe und Sandalen noch gänzlich 2). Barfüssige Völker sind noch jetzt überall unter niedrigen Breiten anzutreffen, während da, wo der Schnee liegen bleibt, wo es friert oder wo der Boden wenigstens durch Ausstrahlung stark erkaltet, frühzeitig auf den Schutz der Füsse gedacht werden muss. In Afrika wird des Ge- brauches von Sandalen bei den Mandingonegern in Musardo 3), ja auffallenderweise bei den sonst nackten Barinegern am weissen Nil 4), bei den Kissama in Angola 5), bei den Kafirn 6) sowie an- deren Bantunegern und endlich bei den Hottentotten 7) gedacht. 1) Ausland. 1871. S. 604. Hemd ist doch wohl von ἱμάτιον abzuleiten. 2) G. Rawlinson, Great monarchies. tom. I. 105. 3) Aus Anderson’s Journey to Musardo in den Mittheil. der Wiener geogr. Gesellschaft. 1871. S. 363. S. 425. 4) W. v. Harnier’s Reisen am obern Nil. S. 37. 5) Hamilton in Journ. of the Anthropol. Institute. tom. I. p. 188. 6) G. Fritsch, Eingeborne Südafrikas. S. 60. S. 222. 7) Kolbe, Kap der Guten Hoffnung. S. 479.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/202>, abgerufen am 25.04.2024.