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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die Nahrungsmittel und ihre Zubereitung.
aquatica) 1). An den Weihern, Stauwassern und Igarapes (Neben-
armen) des brasilianischen Rio Negro wächst als Grasteppich der
wilde Reis (Oryza subulata), dessen reife Körner der Ansiedler im
Vorüberfahren nur in seinen Kahn abzustreifen braucht 2). Erst
kürzlich hat Georg Schweinfurth 3) eine andre Art Reis (Oryza
punctata)
erwähnt, die zur Regenzeit in allen Teichen des Bongo-
landes im Gebiete des Gazellenflusses sich einstellt, von den dor-
tigen Negern zwar nicht gesammelt, wohl aber von den Baggara-
Arabern und in Darfur als wohlschmeckendes Nahrungsmittel ge-
schätzt wird. Selbst die trocknen Ebenen der Kalahari in Süd-
afrika bringen eine Anzahl essbarer Wurzeln, Knollen, Bohnen,
saftige Früchte und die geniessbare, durch ihre Milch den Durst
stillende Maguli hervor 4).

Die angegebnen Beispiele erschöpfen die Zahl aller Nähr-
pflanzen der Wildniss keineswegs, sondern ein nachsichtiger Fach-
kenner wird im Stillen vieles zu ergänzen haben, mancher besser
Bewanderte sogar erstaunt sein, dass wichtige Erscheinungen über-
sehen wurden. Allein das Angeführte wird für den Zweck unsrer
Untersuchung völlig ausreichen. Auch sollte keineswegs bei der
bisherigen Aufzählung von Nahrungsmitteln der Gedanke vertreten
werden, als habe der Mensch auf seinen ältesten Entwicklungs-
stufen ausschliesslich das Pflanzenreich um Nahrung angesprochen
und sei wie Brahmanen und Buddhisten mit heiliger Scheu an der
Thierwelt vorübergegangen. Nur insofern mussten zuerst die Er-
zeugnisse der Gewächse erwähnt werden, als der Mensch seinem
Gebiss und seinen Verdauungsvorrichtungen nach auf vegetabilische
Kost angewiesen ist, so dass ihn nur der Hunger zur Aenderung
seiner Nahrungsweise getrieben haben möchte. Aber auch Thiere,
die nach den Lehren der vergleichenden Anatomie unter die
Pflanzenfresser gehören, beobachten nicht streng die ihnen zu-
kommende Diät. Da die Affen der alten Welt im Zahnbau, wo-
rauf es hier zunächst ankommt, mit den Menschen völlig überein-
stimmen, so ist es für uns von Wichtigkeit, wenn auch bei ihnen

1) Der Acclimatisationsverein in Berlin hat sich seit 1870 mit dem Anbau
des Indianerreises, wie es scheint, mit Glück beschäftigt. Ausland 1872. S. 741.
2) v. Martius, Ethnographie. Bd. 1. S. 679.
3) Globus, Bd. XXII. S. 76.
4) Chapman, Travels into the Interior of South-Africa. London 1868.
tom. II, p. 297.

Die Nahrungsmittel und ihre Zubereitung.
aquatica) 1). An den Weihern, Stauwassern und Igarapes (Neben-
armen) des brasilianischen Rio Negro wächst als Grasteppich der
wilde Reis (Oryza subulata), dessen reife Körner der Ansiedler im
Vorüberfahren nur in seinen Kahn abzustreifen braucht 2). Erst
kürzlich hat Georg Schweinfurth 3) eine andre Art Reis (Oryza
punctata)
erwähnt, die zur Regenzeit in allen Teichen des Bongo-
landes im Gebiete des Gazellenflusses sich einstellt, von den dor-
tigen Negern zwar nicht gesammelt, wohl aber von den Baggara-
Arabern und in Darfur als wohlschmeckendes Nahrungsmittel ge-
schätzt wird. Selbst die trocknen Ebenen der Kalahari in Süd-
afrika bringen eine Anzahl essbarer Wurzeln, Knollen, Bohnen,
saftige Früchte und die geniessbare, durch ihre Milch den Durst
stillende Maguli hervor 4).

Die angegebnen Beispiele erschöpfen die Zahl aller Nähr-
pflanzen der Wildniss keineswegs, sondern ein nachsichtiger Fach-
kenner wird im Stillen vieles zu ergänzen haben, mancher besser
Bewanderte sogar erstaunt sein, dass wichtige Erscheinungen über-
sehen wurden. Allein das Angeführte wird für den Zweck unsrer
Untersuchung völlig ausreichen. Auch sollte keineswegs bei der
bisherigen Aufzählung von Nahrungsmitteln der Gedanke vertreten
werden, als habe der Mensch auf seinen ältesten Entwicklungs-
stufen ausschliesslich das Pflanzenreich um Nahrung angesprochen
und sei wie Brahmanen und Buddhisten mit heiliger Scheu an der
Thierwelt vorübergegangen. Nur insofern mussten zuerst die Er-
zeugnisse der Gewächse erwähnt werden, als der Mensch seinem
Gebiss und seinen Verdauungsvorrichtungen nach auf vegetabilische
Kost angewiesen ist, so dass ihn nur der Hunger zur Aenderung
seiner Nahrungsweise getrieben haben möchte. Aber auch Thiere,
die nach den Lehren der vergleichenden Anatomie unter die
Pflanzenfresser gehören, beobachten nicht streng die ihnen zu-
kommende Diät. Da die Affen der alten Welt im Zahnbau, wo-
rauf es hier zunächst ankommt, mit den Menschen völlig überein-
stimmen, so ist es für uns von Wichtigkeit, wenn auch bei ihnen

1) Der Acclimatisationsverein in Berlin hat sich seit 1870 mit dem Anbau
des Indianerreises, wie es scheint, mit Glück beschäftigt. Ausland 1872. S. 741.
2) v. Martius, Ethnographie. Bd. 1. S. 679.
3) Globus, Bd. XXII. S. 76.
4) Chapman, Travels into the Interior of South-Africa. London 1868.
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[162/0180] Die Nahrungsmittel und ihre Zubereitung. aquatica) 1). An den Weihern, Stauwassern und Igarapes (Neben- armen) des brasilianischen Rio Negro wächst als Grasteppich der wilde Reis (Oryza subulata), dessen reife Körner der Ansiedler im Vorüberfahren nur in seinen Kahn abzustreifen braucht 2). Erst kürzlich hat Georg Schweinfurth 3) eine andre Art Reis (Oryza punctata) erwähnt, die zur Regenzeit in allen Teichen des Bongo- landes im Gebiete des Gazellenflusses sich einstellt, von den dor- tigen Negern zwar nicht gesammelt, wohl aber von den Baggara- Arabern und in Darfur als wohlschmeckendes Nahrungsmittel ge- schätzt wird. Selbst die trocknen Ebenen der Kalahari in Süd- afrika bringen eine Anzahl essbarer Wurzeln, Knollen, Bohnen, saftige Früchte und die geniessbare, durch ihre Milch den Durst stillende Maguli hervor 4). Die angegebnen Beispiele erschöpfen die Zahl aller Nähr- pflanzen der Wildniss keineswegs, sondern ein nachsichtiger Fach- kenner wird im Stillen vieles zu ergänzen haben, mancher besser Bewanderte sogar erstaunt sein, dass wichtige Erscheinungen über- sehen wurden. Allein das Angeführte wird für den Zweck unsrer Untersuchung völlig ausreichen. Auch sollte keineswegs bei der bisherigen Aufzählung von Nahrungsmitteln der Gedanke vertreten werden, als habe der Mensch auf seinen ältesten Entwicklungs- stufen ausschliesslich das Pflanzenreich um Nahrung angesprochen und sei wie Brahmanen und Buddhisten mit heiliger Scheu an der Thierwelt vorübergegangen. Nur insofern mussten zuerst die Er- zeugnisse der Gewächse erwähnt werden, als der Mensch seinem Gebiss und seinen Verdauungsvorrichtungen nach auf vegetabilische Kost angewiesen ist, so dass ihn nur der Hunger zur Aenderung seiner Nahrungsweise getrieben haben möchte. Aber auch Thiere, die nach den Lehren der vergleichenden Anatomie unter die Pflanzenfresser gehören, beobachten nicht streng die ihnen zu- kommende Diät. Da die Affen der alten Welt im Zahnbau, wo- rauf es hier zunächst ankommt, mit den Menschen völlig überein- stimmen, so ist es für uns von Wichtigkeit, wenn auch bei ihnen 1) Der Acclimatisationsverein in Berlin hat sich seit 1870 mit dem Anbau des Indianerreises, wie es scheint, mit Glück beschäftigt. Ausland 1872. S. 741. 2) v. Martius, Ethnographie. Bd. 1. S. 679. 3) Globus, Bd. XXII. S. 76. 4) Chapman, Travels into the Interior of South-Africa. London 1868. tom. II, p. 297.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/180>, abgerufen am 19.03.2024.