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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die Urzustände des Menschengeschlechtes.
sogleich ein nackter, ungewaschener und ungekämmter Feuerländer,
wie er gewesen war, und unterschied sich 1855 nicht mehr von
den Seinigen 1). Ein anderer bekannter Fall dieser Art betrifft einen
Australier, Namens Bungari, der in Sydney erzogen wurde, auf
dem Gymnasium Preise sich erwarb und ein gutes Latein sprach,
dennoch aber später aus der Civilisation in den Busch entsprang,
und hinterdrein geäussert hat, die Erziehung habe ihm nichts ge-
nützt, als dass er sein Elend gewahr geworden sei 2). Ganz ähnlich
erzählt der Hydrograph Neumayer, dass er, verirrt am untern
Murray 1861 von den Eingebornen zu einem nackten Schwarzen
geführt wurde, der ihm in sein Taschenbuch in fehlerlosem Eng-
lisch die Namen der wichtigsten Oertlichkeiten eintrug, die er zur
Rückkehr berühren sollte. Der schreibkundige Australier, damals
24 Jahr alt, war auf einer Missionsschule in Adelaide erzogen worden 3).

Eine lieblose Anthropologenschule hat aus solchen Fällen den
Beweis schöpfen wollen, dass die anders gefärbten Menschen einer
von uns verschiedenen Species angehören. Jene Beispiele beweisen
aber zunächst, dass das Maass der geistigen Fähigkeiten nicht un-
gleich vertheilt sei, nur bemerken wir staunend, dass der soge-
nannte wilde Mensch das Leben in der Freiheit allen Vortheilen
und Bequemlichkeiten der Gesittung vorzieht. Die Schwierigkeit,
Jägerstämme an ein sesshaftes Leben zu gewöhnen, besteht nicht
darin, dass sie nicht nach unserer Art leben könnten, sondern dass
sie nach ihrer Art leben wollen. Sie betrachten jede Arbeit als
erniedrigend und nur die Jagd als standesgemäss und mannes-
würdig 4). Der schwarze Mann arbeitet nicht, sagen die Australier,
denn er ist von edler Geburt 5). Als die britischen und holländi-
schen Ansiedler an der Ostküste der Vereinigten Staaten sich
niederliessen, bemerkte man dann und wann einen Eingebornen

1) Philipps, the Missionary of Tierra del Fuego. London 1861. p. 69
sq. u. Parker Snow, Off Tierra del Fuego, II, p. 27--31.
2) Bonwick, the last of the Tasmanians. London 1870. p. 359.
3) Neumayer in der Sitzung der anthropologischen Gesellschaft in Berlin
am 15. April 1871.
4) So die Algonkinen und Irokesen nach Charlevoix, Nouvelle France.
Paris 1744. tom. III. p. 334. Grossen Fleiss zeigen sie dagegen bei der An-
fertigung ihrer Jagd- und Fischereigeräthe.
5) White fellows work, not black fellow; black fellow gentleman. Hale,
Unit. States Exploring Exped. Ethnography. p. 109.

Die Urzustände des Menschengeschlechtes.
sogleich ein nackter, ungewaschener und ungekämmter Feuerländer,
wie er gewesen war, und unterschied sich 1855 nicht mehr von
den Seinigen 1). Ein anderer bekannter Fall dieser Art betrifft einen
Australier, Namens Bungari, der in Sydney erzogen wurde, auf
dem Gymnasium Preise sich erwarb und ein gutes Latein sprach,
dennoch aber später aus der Civilisation in den Busch entsprang,
und hinterdrein geäussert hat, die Erziehung habe ihm nichts ge-
nützt, als dass er sein Elend gewahr geworden sei 2). Ganz ähnlich
erzählt der Hydrograph Neumayer, dass er, verirrt am untern
Murray 1861 von den Eingebornen zu einem nackten Schwarzen
geführt wurde, der ihm in sein Taschenbuch in fehlerlosem Eng-
lisch die Namen der wichtigsten Oertlichkeiten eintrug, die er zur
Rückkehr berühren sollte. Der schreibkundige Australier, damals
24 Jahr alt, war auf einer Missionsschule in Adelaide erzogen worden 3).

Eine lieblose Anthropologenschule hat aus solchen Fällen den
Beweis schöpfen wollen, dass die anders gefärbten Menschen einer
von uns verschiedenen Species angehören. Jene Beispiele beweisen
aber zunächst, dass das Maass der geistigen Fähigkeiten nicht un-
gleich vertheilt sei, nur bemerken wir staunend, dass der soge-
nannte wilde Mensch das Leben in der Freiheit allen Vortheilen
und Bequemlichkeiten der Gesittung vorzieht. Die Schwierigkeit,
Jägerstämme an ein sesshaftes Leben zu gewöhnen, besteht nicht
darin, dass sie nicht nach unserer Art leben könnten, sondern dass
sie nach ihrer Art leben wollen. Sie betrachten jede Arbeit als
erniedrigend und nur die Jagd als standesgemäss und mannes-
würdig 4). Der schwarze Mann arbeitet nicht, sagen die Australier,
denn er ist von edler Geburt 5). Als die britischen und holländi-
schen Ansiedler an der Ostküste der Vereinigten Staaten sich
niederliessen, bemerkte man dann und wann einen Eingebornen

1) Philipps, the Missionary of Tierra del Fuego. London 1861. p. 69
sq. u. Parker Snow, Off Tierra del Fuego, II, p. 27—31.
2) Bonwick, the last of the Tasmanians. London 1870. p. 359.
3) Neumayer in der Sitzung der anthropologischen Gesellschaft in Berlin
am 15. April 1871.
4) So die Algonkinen und Irokesen nach Charlevoix, Nouvelle France.
Paris 1744. tom. III. p. 334. Grossen Fleiss zeigen sie dagegen bei der An-
fertigung ihrer Jagd- und Fischereigeräthe.
5) White fellows work, not black fellow; black fellow gentleman. Hale,
Unit. States Exploring Exped. Ethnography. p. 109.
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[156/0174] Die Urzustände des Menschengeschlechtes. sogleich ein nackter, ungewaschener und ungekämmter Feuerländer, wie er gewesen war, und unterschied sich 1855 nicht mehr von den Seinigen 1). Ein anderer bekannter Fall dieser Art betrifft einen Australier, Namens Bungari, der in Sydney erzogen wurde, auf dem Gymnasium Preise sich erwarb und ein gutes Latein sprach, dennoch aber später aus der Civilisation in den Busch entsprang, und hinterdrein geäussert hat, die Erziehung habe ihm nichts ge- nützt, als dass er sein Elend gewahr geworden sei 2). Ganz ähnlich erzählt der Hydrograph Neumayer, dass er, verirrt am untern Murray 1861 von den Eingebornen zu einem nackten Schwarzen geführt wurde, der ihm in sein Taschenbuch in fehlerlosem Eng- lisch die Namen der wichtigsten Oertlichkeiten eintrug, die er zur Rückkehr berühren sollte. Der schreibkundige Australier, damals 24 Jahr alt, war auf einer Missionsschule in Adelaide erzogen worden 3). Eine lieblose Anthropologenschule hat aus solchen Fällen den Beweis schöpfen wollen, dass die anders gefärbten Menschen einer von uns verschiedenen Species angehören. Jene Beispiele beweisen aber zunächst, dass das Maass der geistigen Fähigkeiten nicht un- gleich vertheilt sei, nur bemerken wir staunend, dass der soge- nannte wilde Mensch das Leben in der Freiheit allen Vortheilen und Bequemlichkeiten der Gesittung vorzieht. Die Schwierigkeit, Jägerstämme an ein sesshaftes Leben zu gewöhnen, besteht nicht darin, dass sie nicht nach unserer Art leben könnten, sondern dass sie nach ihrer Art leben wollen. Sie betrachten jede Arbeit als erniedrigend und nur die Jagd als standesgemäss und mannes- würdig 4). Der schwarze Mann arbeitet nicht, sagen die Australier, denn er ist von edler Geburt 5). Als die britischen und holländi- schen Ansiedler an der Ostküste der Vereinigten Staaten sich niederliessen, bemerkte man dann und wann einen Eingebornen 1) Philipps, the Missionary of Tierra del Fuego. London 1861. p. 69 sq. u. Parker Snow, Off Tierra del Fuego, II, p. 27—31. 2) Bonwick, the last of the Tasmanians. London 1870. p. 359. 3) Neumayer in der Sitzung der anthropologischen Gesellschaft in Berlin am 15. April 1871. 4) So die Algonkinen und Irokesen nach Charlevoix, Nouvelle France. Paris 1744. tom. III. p. 334. Grossen Fleiss zeigen sie dagegen bei der An- fertigung ihrer Jagd- und Fischereigeräthe. 5) White fellows work, not black fellow; black fellow gentleman. Hale, Unit. States Exploring Exped. Ethnography. p. 109.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/174>, abgerufen am 25.04.2024.