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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die Urzustände des Menschengeschlechtes.
bisher dazu, um das fehlende Glied in der Kette zwischen Affen
und Menschen auszufüllen und der Verfasser bekennt gern, dass
er im Jahre 1852 zu London Buschmänner gesehen hat, die durch
ihr thierisches Aeussere wohl Jeden von dem guten Wahn geheilt
haben würden, dass alle Menschen das Ebenbild eines erhabnen
Wesens vertreten sollten. Livingstone hat aber bald darauf seine
Landsleute gewarnt, in jenen zur Schau gestellten Jammergestalten
echte Typen eines Zweiges der afrikanischen Menschheit zu er-
blicken, da nur auserlesen Hässliche zur Befriedigung der Neugierde
nach Europa gebracht werden 1). Nur in der Kahalariwüste ver-
kümmert der Stamm der Buschmänner bis zu einem zwerghaften
Wuchs. Weiter nördlich beim Ngami-See beschrieben Livingstone 2)
und Chapman 3) hochgewachsene und schöne Menschen unter ihnen.
Ihre Haltung und ihr Auftreten zeigt von dem hohen Selbstgefühl,
welches allen in ungeschmälerter Freiheit lebenden Stämmen eigen
ist 4). Obwohl nackt, herrscht doch unter ihnen strenge Keuschheit
und die Zartheit, wie sie um ein Mädchen freien, sowie, dass sie
Ehen nur aus Zuneigung schliessen, stellt sie hoch über unzählige
andre Völkerschaften. Chapman erzählt uns gerührt, dass ihn
Buschmänner eines Morgens mit einer Schale Wasser überraschten,
der köstlichsten Gabe in jenen durstigen Erdstrichen, aus Dank-
barkeit, weil er vorher mit ihnen seine Jagdbeute getheilt hatte 5).
Merkwürdig ist es, dass diese niedrigen Menschen gleichwohl Freude
an künstlerischen Versuchen finden. Mit grosser Sicherheit der
Hand haben sie vom Cap bis über den Orangefluss hinaus die
Felsen mit Thier- und Menschenbildern in rother, brauner, weisser
oder schwarzer Farbe bemalt oder auch auf dunklem Grunde hell
ausgekratzt und die Abbildungen, die wir davon besitzen, berech-
tigen den Ausspruch, dass die Umrisse naturgetreuer erscheinen,
als auf vielen ägyptischen Denkmälern 6). Lichtenstein bestreitet,
dass die Buschmänner Vorstellung von einem höchsten Wesen be-
sitzen 7), allein spätere Reisende wollen den Glauben an eine männ-

1) Missionsreisen und Forschungen in Süd-Afrika. Bd. 1. S. 64.
2) a. a. O. S. 99. S. 200. S. 207.
3) Travels into the Interior of South Africa. London 1868. tom. I, p. 320.
4) G. Fritsch, Drei Jahre in Süd-Afrika. S. 295.
5) Chapman, l. c. I, 250.
6) G. Fritsch, Die Eingebornen Südafrikas. S. 426 u. Taf. 50.
7) Reisen im südlichen Afrika. Berlin 1811. Bd. 2. S. 328.

Die Urzustände des Menschengeschlechtes.
bisher dazu, um das fehlende Glied in der Kette zwischen Affen
und Menschen auszufüllen und der Verfasser bekennt gern, dass
er im Jahre 1852 zu London Buschmänner gesehen hat, die durch
ihr thierisches Aeussere wohl Jeden von dem guten Wahn geheilt
haben würden, dass alle Menschen das Ebenbild eines erhabnen
Wesens vertreten sollten. Livingstone hat aber bald darauf seine
Landsleute gewarnt, in jenen zur Schau gestellten Jammergestalten
echte Typen eines Zweiges der afrikanischen Menschheit zu er-
blicken, da nur auserlesen Hässliche zur Befriedigung der Neugierde
nach Europa gebracht werden 1). Nur in der Kahalariwüste ver-
kümmert der Stamm der Buschmänner bis zu einem zwerghaften
Wuchs. Weiter nördlich beim Ngami-See beschrieben Livingstone 2)
und Chapman 3) hochgewachsene und schöne Menschen unter ihnen.
Ihre Haltung und ihr Auftreten zeigt von dem hohen Selbstgefühl,
welches allen in ungeschmälerter Freiheit lebenden Stämmen eigen
ist 4). Obwohl nackt, herrscht doch unter ihnen strenge Keuschheit
und die Zartheit, wie sie um ein Mädchen freien, sowie, dass sie
Ehen nur aus Zuneigung schliessen, stellt sie hoch über unzählige
andre Völkerschaften. Chapman erzählt uns gerührt, dass ihn
Buschmänner eines Morgens mit einer Schale Wasser überraschten,
der köstlichsten Gabe in jenen durstigen Erdstrichen, aus Dank-
barkeit, weil er vorher mit ihnen seine Jagdbeute getheilt hatte 5).
Merkwürdig ist es, dass diese niedrigen Menschen gleichwohl Freude
an künstlerischen Versuchen finden. Mit grosser Sicherheit der
Hand haben sie vom Cap bis über den Orangefluss hinaus die
Felsen mit Thier- und Menschenbildern in rother, brauner, weisser
oder schwarzer Farbe bemalt oder auch auf dunklem Grunde hell
ausgekratzt und die Abbildungen, die wir davon besitzen, berech-
tigen den Ausspruch, dass die Umrisse naturgetreuer erscheinen,
als auf vielen ägyptischen Denkmälern 6). Lichtenstein bestreitet,
dass die Buschmänner Vorstellung von einem höchsten Wesen be-
sitzen 7), allein spätere Reisende wollen den Glauben an eine männ-

1) Missionsreisen und Forschungen in Süd-Afrika. Bd. 1. S. 64.
2) a. a. O. S. 99. S. 200. S. 207.
3) Travels into the Interior of South Africa. London 1868. tom. I, p. 320.
4) G. Fritsch, Drei Jahre in Süd-Afrika. S. 295.
5) Chapman, l. c. I, 250.
6) G. Fritsch, Die Eingebornen Südafrikas. S. 426 u. Taf. 50.
7) Reisen im südlichen Afrika. Berlin 1811. Bd. 2. S. 328.
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[149/0167] Die Urzustände des Menschengeschlechtes. bisher dazu, um das fehlende Glied in der Kette zwischen Affen und Menschen auszufüllen und der Verfasser bekennt gern, dass er im Jahre 1852 zu London Buschmänner gesehen hat, die durch ihr thierisches Aeussere wohl Jeden von dem guten Wahn geheilt haben würden, dass alle Menschen das Ebenbild eines erhabnen Wesens vertreten sollten. Livingstone hat aber bald darauf seine Landsleute gewarnt, in jenen zur Schau gestellten Jammergestalten echte Typen eines Zweiges der afrikanischen Menschheit zu er- blicken, da nur auserlesen Hässliche zur Befriedigung der Neugierde nach Europa gebracht werden 1). Nur in der Kahalariwüste ver- kümmert der Stamm der Buschmänner bis zu einem zwerghaften Wuchs. Weiter nördlich beim Ngami-See beschrieben Livingstone 2) und Chapman 3) hochgewachsene und schöne Menschen unter ihnen. Ihre Haltung und ihr Auftreten zeigt von dem hohen Selbstgefühl, welches allen in ungeschmälerter Freiheit lebenden Stämmen eigen ist 4). Obwohl nackt, herrscht doch unter ihnen strenge Keuschheit und die Zartheit, wie sie um ein Mädchen freien, sowie, dass sie Ehen nur aus Zuneigung schliessen, stellt sie hoch über unzählige andre Völkerschaften. Chapman erzählt uns gerührt, dass ihn Buschmänner eines Morgens mit einer Schale Wasser überraschten, der köstlichsten Gabe in jenen durstigen Erdstrichen, aus Dank- barkeit, weil er vorher mit ihnen seine Jagdbeute getheilt hatte 5). Merkwürdig ist es, dass diese niedrigen Menschen gleichwohl Freude an künstlerischen Versuchen finden. Mit grosser Sicherheit der Hand haben sie vom Cap bis über den Orangefluss hinaus die Felsen mit Thier- und Menschenbildern in rother, brauner, weisser oder schwarzer Farbe bemalt oder auch auf dunklem Grunde hell ausgekratzt und die Abbildungen, die wir davon besitzen, berech- tigen den Ausspruch, dass die Umrisse naturgetreuer erscheinen, als auf vielen ägyptischen Denkmälern 6). Lichtenstein bestreitet, dass die Buschmänner Vorstellung von einem höchsten Wesen be- sitzen 7), allein spätere Reisende wollen den Glauben an eine männ- 1) Missionsreisen und Forschungen in Süd-Afrika. Bd. 1. S. 64. 2) a. a. O. S. 99. S. 200. S. 207. 3) Travels into the Interior of South Africa. London 1868. tom. I, p. 320. 4) G. Fritsch, Drei Jahre in Süd-Afrika. S. 295. 5) Chapman, l. c. I, 250. 6) G. Fritsch, Die Eingebornen Südafrikas. S. 426 u. Taf. 50. 7) Reisen im südlichen Afrika. Berlin 1811. Bd. 2. S. 328.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/167>, abgerufen am 29.03.2024.