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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die Sprache als Classificationsmittel der Völkerkunde.
Besorgniss fehlt, darf die Sprache nur als Merkmal zweiter Ord-
nung betrachtet werden. Sprachgemeinsamkeit zwischen Horden
und Völkerstämmen beweist nichts weiter, als dass in irgend einer
Vorzeit die Glieder einer Sprachengruppe eine gemeinsame Heimath
bewohnten und innig unter einander verkehrten. Damit ist jedoch
auch hinreichend viel bewiesen, denn da alle Menschenstämme unter
einander fruchtbare Mischlinge erzeugen, so genügt der Aufenthalt
in einer Heimath, um selbst aus physisch verschiednen Bruchtheilen
des Menschengeschlechts eine neue Mischrace zu erzeugen. Es
könnte sich aber das Bedenken auch hier wieder regen, dass eine
gemeinsame Heimath von zwei physisch getrennten Racen bewohnt
werden, beide eine herrschende Sprache vereinigen und den-
noch keine oder doch nur eine spärliche Blutmischung statt-
haben könne. Wir sehen diese Fälle in den Vereinigten Staaten
und in Indien verwirklicht, wo nur ausnahmsweise zwischen Weissen
und Farbigen, zwischen Ariern hoher und Eingebornen niedrer Kaste
Blutmischungen eintreten. Dieses Bedenken ist allerdings nicht
aus dem Auge zu verlieren, aber jene Beispiele stehen auch ver-
einzelt. Weder die Semiten, noch die Hamiten, noch unter den
Europäern Spanier, Portugiesen und Franzosen haben eine gleiche
Abneigung gegen Ehen mit Negern gezeigt, wie die Angelsachsen.
Nur sehr hochgestiegene Völker neben sehr niedrigstehenden wer-
den durch Kastenbewusstsein von einer Blutmischung abgehalten.
Bei jugendlichen Menschenstämmen ist nichts derartiges zu be-
fürchten. Da ferner der Sprachbau zu seiner Entwicklung lange Zeit-
räume erfordert, während deren die Glieder einer linguistischen Familie
im engsten Gedankenverkehr standen, so wird bei Völkerschaften, welche
eine Gemeinschaft der Wortbildung und der Redetheile verknüpft, mit
einiger Sicherheit auf eine gemeinsame Abkunft oder eine fortge-
setzte Verschwägerung geschlossen werden dürfen. Dass die so-
genannten Indoeuropäer, dass die Semiten, dass die südafrikani-
schen Bantuvölker in derselben Heimath durch innigen Verkehr
die Grundzüge ihres Wort- und Satzbaues entwickelten und sich
eines gemeinsamen Wurzelschatzes bedienten, daran zweifelt jetzt
kein Unterrichteter mehr. Niemals aber wäre es durch Verglei-
chung von Körpermerkmalen gelungen, in den Bewohnern Islands
und den Hindu hoher Kaste, in den Bewohnern Madagaskars und
der Osterinsel Abkömmlinge von Vorfahren zu erkennen, die eine
gemeinsame Heimath bewohnten und unter einander heiratheten.

Die Sprache als Classificationsmittel der Völkerkunde.
Besorgniss fehlt, darf die Sprache nur als Merkmal zweiter Ord-
nung betrachtet werden. Sprachgemeinsamkeit zwischen Horden
und Völkerstämmen beweist nichts weiter, als dass in irgend einer
Vorzeit die Glieder einer Sprachengruppe eine gemeinsame Heimath
bewohnten und innig unter einander verkehrten. Damit ist jedoch
auch hinreichend viel bewiesen, denn da alle Menschenstämme unter
einander fruchtbare Mischlinge erzeugen, so genügt der Aufenthalt
in einer Heimath, um selbst aus physisch verschiednen Bruchtheilen
des Menschengeschlechts eine neue Mischrace zu erzeugen. Es
könnte sich aber das Bedenken auch hier wieder regen, dass eine
gemeinsame Heimath von zwei physisch getrennten Racen bewohnt
werden, beide eine herrschende Sprache vereinigen und den-
noch keine oder doch nur eine spärliche Blutmischung statt-
haben könne. Wir sehen diese Fälle in den Vereinigten Staaten
und in Indien verwirklicht, wo nur ausnahmsweise zwischen Weissen
und Farbigen, zwischen Ariern hoher und Eingebornen niedrer Kaste
Blutmischungen eintreten. Dieses Bedenken ist allerdings nicht
aus dem Auge zu verlieren, aber jene Beispiele stehen auch ver-
einzelt. Weder die Semiten, noch die Hamiten, noch unter den
Europäern Spanier, Portugiesen und Franzosen haben eine gleiche
Abneigung gegen Ehen mit Negern gezeigt, wie die Angelsachsen.
Nur sehr hochgestiegene Völker neben sehr niedrigstehenden wer-
den durch Kastenbewusstsein von einer Blutmischung abgehalten.
Bei jugendlichen Menschenstämmen ist nichts derartiges zu be-
fürchten. Da ferner der Sprachbau zu seiner Entwicklung lange Zeit-
räume erfordert, während deren die Glieder einer linguistischen Familie
im engsten Gedankenverkehr standen, so wird bei Völkerschaften, welche
eine Gemeinschaft der Wortbildung und der Redetheile verknüpft, mit
einiger Sicherheit auf eine gemeinsame Abkunft oder eine fortge-
setzte Verschwägerung geschlossen werden dürfen. Dass die so-
genannten Indoeuropäer, dass die Semiten, dass die südafrikani-
schen Bantuvölker in derselben Heimath durch innigen Verkehr
die Grundzüge ihres Wort- und Satzbaues entwickelten und sich
eines gemeinsamen Wurzelschatzes bedienten, daran zweifelt jetzt
kein Unterrichteter mehr. Niemals aber wäre es durch Verglei-
chung von Körpermerkmalen gelungen, in den Bewohnern Islands
und den Hindu hoher Kaste, in den Bewohnern Madagaskars und
der Osterinsel Abkömmlinge von Vorfahren zu erkennen, die eine
gemeinsame Heimath bewohnten und unter einander heiratheten.

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[134/0152] Die Sprache als Classificationsmittel der Völkerkunde. Besorgniss fehlt, darf die Sprache nur als Merkmal zweiter Ord- nung betrachtet werden. Sprachgemeinsamkeit zwischen Horden und Völkerstämmen beweist nichts weiter, als dass in irgend einer Vorzeit die Glieder einer Sprachengruppe eine gemeinsame Heimath bewohnten und innig unter einander verkehrten. Damit ist jedoch auch hinreichend viel bewiesen, denn da alle Menschenstämme unter einander fruchtbare Mischlinge erzeugen, so genügt der Aufenthalt in einer Heimath, um selbst aus physisch verschiednen Bruchtheilen des Menschengeschlechts eine neue Mischrace zu erzeugen. Es könnte sich aber das Bedenken auch hier wieder regen, dass eine gemeinsame Heimath von zwei physisch getrennten Racen bewohnt werden, beide eine herrschende Sprache vereinigen und den- noch keine oder doch nur eine spärliche Blutmischung statt- haben könne. Wir sehen diese Fälle in den Vereinigten Staaten und in Indien verwirklicht, wo nur ausnahmsweise zwischen Weissen und Farbigen, zwischen Ariern hoher und Eingebornen niedrer Kaste Blutmischungen eintreten. Dieses Bedenken ist allerdings nicht aus dem Auge zu verlieren, aber jene Beispiele stehen auch ver- einzelt. Weder die Semiten, noch die Hamiten, noch unter den Europäern Spanier, Portugiesen und Franzosen haben eine gleiche Abneigung gegen Ehen mit Negern gezeigt, wie die Angelsachsen. Nur sehr hochgestiegene Völker neben sehr niedrigstehenden wer- den durch Kastenbewusstsein von einer Blutmischung abgehalten. Bei jugendlichen Menschenstämmen ist nichts derartiges zu be- fürchten. Da ferner der Sprachbau zu seiner Entwicklung lange Zeit- räume erfordert, während deren die Glieder einer linguistischen Familie im engsten Gedankenverkehr standen, so wird bei Völkerschaften, welche eine Gemeinschaft der Wortbildung und der Redetheile verknüpft, mit einiger Sicherheit auf eine gemeinsame Abkunft oder eine fortge- setzte Verschwägerung geschlossen werden dürfen. Dass die so- genannten Indoeuropäer, dass die Semiten, dass die südafrikani- schen Bantuvölker in derselben Heimath durch innigen Verkehr die Grundzüge ihres Wort- und Satzbaues entwickelten und sich eines gemeinsamen Wurzelschatzes bedienten, daran zweifelt jetzt kein Unterrichteter mehr. Niemals aber wäre es durch Verglei- chung von Körpermerkmalen gelungen, in den Bewohnern Islands und den Hindu hoher Kaste, in den Bewohnern Madagaskars und der Osterinsel Abkömmlinge von Vorfahren zu erkennen, die eine gemeinsame Heimath bewohnten und unter einander heiratheten.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/152>, abgerufen am 18.04.2024.