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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Der Bau der menschlichen Sprache.
anregte. Spuren einer Geschlechtsunterscheidung, wenigstens beim
Fürwort der dritten Person, sind im Tarawa 1), der Sprache auf den
Gilbert- oder Kingsmill-Inseln anzutreffen, andre finden sich in Süd-
amerika bei den Abiponen 2), den Arowaken und Maypuren 3), endlich
im Khasi, der Sprache der Khasia des indischen Assam 4). Durch
ein doppeltes grammatisches Geschlecht zeichnen sich in Afrika die
Sprachen der Hottentotten, der Haussa-Neger, endlich der Alt-
ägypter aus. Die Sexualität ist überhaupt der wichtigste Fortschritt
im Sprachbau dieses letzteren Culturvolkes. Sonst sind die Wurzeln
des Altägyptischen vorwiegend einsylbige und manche unter ihnen
können wie im Chinesischen als Hauptwort, Zeitwort und Eigen-
schaftswort auftreten. Dieselbe Lautgruppe bezeichnet schreiben,
eine Schrift und einen Schreiber, dieselbe leben, lebendig und
das Leben. Andre Wurzeln jedoch dienen nur als Haupt- oder
als Zeitwort. Ein vorgesetzter Artikel, der freilich nur locker ver-
bunden ist, lässt indess das Hauptwort deutlich erkennen, eine
Declination ist aber noch nicht vorhanden, sondern wird
durch vorgesetzte Präpositionen vertreten. Bei der Bildung
des Zeitwortes werden übrigens die Fürwörter locker dem
Stamme angefügt, Zeit und Modus aber durch vorgesetzte
Hilfsworte ausgedrückt. Da aber diese pronominalen Suffixe auch
an Hauptwörter angehängt werden und dann den Besitz ausdrücken,
so wird die Trennung des Zeitwortes vom Hauptworte noch
immer nicht streng vollzogen. Ran-i kann übersetzt werden:
ich nenne, aber auch: mein Name, wörtlich bedeutet es mein Nennen 5).
In manchen ihrer Wortbildungen ist diese Sprache so kahl wie
das Chinesische, ja mitunter zweideutiger als das letztere, welches
durch seine strengen Stellungsgesetze für Klarheit des Verständ-
nisses sorgt. Doch erhaben ist es wiederum über diese Sprache,
insofern die sinnbegrenzenden Zusatzlaute ganz unselbständig sowie
ihre ursprünglichen Formen und Bedeutungen durch Verschluckung und

1) Horatio Hale, Unit. States Explor. Expedition. Ethnography. Phila-
delphia. 1846. p. 441.
2) Dobrizhoffer, Geschichte der Abiponer. Bd. 2. S. 200--206.
3) Bleek im Journ. of the Anthropol. Institute. vol. I. p. 93.
4) Bleek, l. c. Proceedings p. LXVII.
5) Whitney, Study of language. London 1867. p. 342.
Peschel, Völkerkunde. 9

Der Bau der menschlichen Sprache.
anregte. Spuren einer Geschlechtsunterscheidung, wenigstens beim
Fürwort der dritten Person, sind im Tarawa 1), der Sprache auf den
Gilbert- oder Kingsmill-Inseln anzutreffen, andre finden sich in Süd-
amerika bei den Abiponen 2), den Arowaken und Maypuren 3), endlich
im Khasi, der Sprache der Khasia des indischen Assam 4). Durch
ein doppeltes grammatisches Geschlecht zeichnen sich in Afrika die
Sprachen der Hottentotten, der Haussa-Neger, endlich der Alt-
ägypter aus. Die Sexualität ist überhaupt der wichtigste Fortschritt
im Sprachbau dieses letzteren Culturvolkes. Sonst sind die Wurzeln
des Altägyptischen vorwiegend einsylbige und manche unter ihnen
können wie im Chinesischen als Hauptwort, Zeitwort und Eigen-
schaftswort auftreten. Dieselbe Lautgruppe bezeichnet schreiben,
eine Schrift und einen Schreiber, dieselbe leben, lebendig und
das Leben. Andre Wurzeln jedoch dienen nur als Haupt- oder
als Zeitwort. Ein vorgesetzter Artikel, der freilich nur locker ver-
bunden ist, lässt indess das Hauptwort deutlich erkennen, eine
Declination ist aber noch nicht vorhanden, sondern wird
durch vorgesetzte Präpositionen vertreten. Bei der Bildung
des Zeitwortes werden übrigens die Fürwörter locker dem
Stamme angefügt, Zeit und Modus aber durch vorgesetzte
Hilfsworte ausgedrückt. Da aber diese pronominalen Suffixe auch
an Hauptwörter angehängt werden und dann den Besitz ausdrücken,
so wird die Trennung des Zeitwortes vom Hauptworte noch
immer nicht streng vollzogen. Ran-i kann übersetzt werden:
ich nenne, aber auch: mein Name, wörtlich bedeutet es mein Nennen 5).
In manchen ihrer Wortbildungen ist diese Sprache so kahl wie
das Chinesische, ja mitunter zweideutiger als das letztere, welches
durch seine strengen Stellungsgesetze für Klarheit des Verständ-
nisses sorgt. Doch erhaben ist es wiederum über diese Sprache,
insofern die sinnbegrenzenden Zusatzlaute ganz unselbständig sowie
ihre ursprünglichen Formen und Bedeutungen durch Verschluckung und

1) Horatio Hale, Unit. States Explor. Expedition. Ethnography. Phila-
delphia. 1846. p. 441.
2) Dobrizhoffer, Geschichte der Abiponer. Bd. 2. S. 200—206.
3) Bleek im Journ. of the Anthropol. Institute. vol. I. p. 93.
4) Bleek, l. c. Proceedings p. LXVII.
5) Whitney, Study of language. London 1867. p. 342.
Peschel, Völkerkunde. 9
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[129/0147] Der Bau der menschlichen Sprache. anregte. Spuren einer Geschlechtsunterscheidung, wenigstens beim Fürwort der dritten Person, sind im Tarawa 1), der Sprache auf den Gilbert- oder Kingsmill-Inseln anzutreffen, andre finden sich in Süd- amerika bei den Abiponen 2), den Arowaken und Maypuren 3), endlich im Khasi, der Sprache der Khasia des indischen Assam 4). Durch ein doppeltes grammatisches Geschlecht zeichnen sich in Afrika die Sprachen der Hottentotten, der Haussa-Neger, endlich der Alt- ägypter aus. Die Sexualität ist überhaupt der wichtigste Fortschritt im Sprachbau dieses letzteren Culturvolkes. Sonst sind die Wurzeln des Altägyptischen vorwiegend einsylbige und manche unter ihnen können wie im Chinesischen als Hauptwort, Zeitwort und Eigen- schaftswort auftreten. Dieselbe Lautgruppe bezeichnet schreiben, eine Schrift und einen Schreiber, dieselbe leben, lebendig und das Leben. Andre Wurzeln jedoch dienen nur als Haupt- oder als Zeitwort. Ein vorgesetzter Artikel, der freilich nur locker ver- bunden ist, lässt indess das Hauptwort deutlich erkennen, eine Declination ist aber noch nicht vorhanden, sondern wird durch vorgesetzte Präpositionen vertreten. Bei der Bildung des Zeitwortes werden übrigens die Fürwörter locker dem Stamme angefügt, Zeit und Modus aber durch vorgesetzte Hilfsworte ausgedrückt. Da aber diese pronominalen Suffixe auch an Hauptwörter angehängt werden und dann den Besitz ausdrücken, so wird die Trennung des Zeitwortes vom Hauptworte noch immer nicht streng vollzogen. Ran-i kann übersetzt werden: ich nenne, aber auch: mein Name, wörtlich bedeutet es mein Nennen 5). In manchen ihrer Wortbildungen ist diese Sprache so kahl wie das Chinesische, ja mitunter zweideutiger als das letztere, welches durch seine strengen Stellungsgesetze für Klarheit des Verständ- nisses sorgt. Doch erhaben ist es wiederum über diese Sprache, insofern die sinnbegrenzenden Zusatzlaute ganz unselbständig sowie ihre ursprünglichen Formen und Bedeutungen durch Verschluckung und 1) Horatio Hale, Unit. States Explor. Expedition. Ethnography. Phila- delphia. 1846. p. 441. 2) Dobrizhoffer, Geschichte der Abiponer. Bd. 2. S. 200—206. 3) Bleek im Journ. of the Anthropol. Institute. vol. I. p. 93. 4) Bleek, l. c. Proceedings p. LXVII. 5) Whitney, Study of language. London 1867. p. 342. Peschel, Völkerkunde. 9

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/147>, abgerufen am 25.04.2024.