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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die Entwickelungsgeschichte der menschlichen Sprache.
solchen hervorbrechenden Lauten der Stimmwerkzeuge und dass
der Mensch zu allen Zeiten seine inneren Bewegungen, Schmerz,
Freude, Schreck, Ueberraschung, Abscheu durch solche Signale
ausgedrückt habe, bedarf nur des Nachdenkens, nicht des Be-
weises1).

Dazu gesellt sich als wichtiges Hilfsmittel die Betonung. Unser
Ja und unser Nein verstatten eine Stufenleiter der Aussprache, aus
welcher der Fragende oder Bittende deutlich heraushören kann, ob
die Bewilligung oder Zustimmung eine freudige oder saure, die Ver-
neinung eine schwankende oder eine entschiedne sei, überhaupt
in welcher Stimmung beide Aeusserungen erfolgen. Der Sinn des
Rufes pfui, wenn er klanglos ausgesprochen wird, dürfte jedem,
der des Deutschen nicht mächtig wäre, völlig dunkel bleiben, mit
voller Betonung des Abscheues ausgestossen, würde aber selbst
ein Feuerländer errathen können, dass diese Lautgruppe den
Gegensatz einer Billigung ausdrücken solle. Die Betonung aber,
die etwas ursprüngliches, nichts erworbenes und andrerseits nichts
beabsichtigtes, sondern etwas unwillkürlich hervorbrechendes ist,
konnte bei dem Beginn der Sprachbildung das gegenseitige Ver-
ständniss mächtig fördern. Es ist gewiss nichts zufälliges, dass
gerade die formlosen, einsylbigen Sprachen die Betonung noch
immer als wichtige Aushilfe zur Unterscheidung gleichlautender
Wurzeln benutzen.

Aehnlich wirkte, nicht auf das Gehör, sondern auf das Auge
das Mienenspiel und die Gebärdensprache. Die sogenannten
wilden Völker üben ungelehrt und unbewusst oder wenigstens nur
halb bewusst die Kunst, welche unsere Schauspieler durch müh-
same Uebung vor dem Spiegel sich von neuem aneignen müssen.
Die Buschmänner, bemerkt Lichtenstein, verständigen sich unter
einander mehr durch Gebärden als durch Reden2). Es gibt jedoch
eine Mehrzahl solcher Körperbewegungen, deren Sinn keineswegs
von allen Menschenstämmen übereinstimmend gedeutet wird, es
sind sogar Zweifel verstattet, ob in dem Ballen der Faust überall
auf Erden eine Drohung, im Stampfen mit dem Fusse ein Aus-
bruch des Unwillens erkannt werden sollte. Wird doch bei den

1) Steinthal (Psychologie und Sprachwissenschaft. Berlin 1871. S. 367).
hält die Interjectionen für Reflexlaute.
2) Reisen im südlichen Afrika. Berlin 1811. Bd. 2. S. 82.

Die Entwickelungsgeschichte der menschlichen Sprache.
solchen hervorbrechenden Lauten der Stimmwerkzeuge und dass
der Mensch zu allen Zeiten seine inneren Bewegungen, Schmerz,
Freude, Schreck, Ueberraschung, Abscheu durch solche Signale
ausgedrückt habe, bedarf nur des Nachdenkens, nicht des Be-
weises1).

Dazu gesellt sich als wichtiges Hilfsmittel die Betonung. Unser
Ja und unser Nein verstatten eine Stufenleiter der Aussprache, aus
welcher der Fragende oder Bittende deutlich heraushören kann, ob
die Bewilligung oder Zustimmung eine freudige oder saure, die Ver-
neinung eine schwankende oder eine entschiedne sei, überhaupt
in welcher Stimmung beide Aeusserungen erfolgen. Der Sinn des
Rufes pfui, wenn er klanglos ausgesprochen wird, dürfte jedem,
der des Deutschen nicht mächtig wäre, völlig dunkel bleiben, mit
voller Betonung des Abscheues ausgestossen, würde aber selbst
ein Feuerländer errathen können, dass diese Lautgruppe den
Gegensatz einer Billigung ausdrücken solle. Die Betonung aber,
die etwas ursprüngliches, nichts erworbenes und andrerseits nichts
beabsichtigtes, sondern etwas unwillkürlich hervorbrechendes ist,
konnte bei dem Beginn der Sprachbildung das gegenseitige Ver-
ständniss mächtig fördern. Es ist gewiss nichts zufälliges, dass
gerade die formlosen, einsylbigen Sprachen die Betonung noch
immer als wichtige Aushilfe zur Unterscheidung gleichlautender
Wurzeln benutzen.

Aehnlich wirkte, nicht auf das Gehör, sondern auf das Auge
das Mienenspiel und die Gebärdensprache. Die sogenannten
wilden Völker üben ungelehrt und unbewusst oder wenigstens nur
halb bewusst die Kunst, welche unsere Schauspieler durch müh-
same Uebung vor dem Spiegel sich von neuem aneignen müssen.
Die Buschmänner, bemerkt Lichtenstein, verständigen sich unter
einander mehr durch Gebärden als durch Reden2). Es gibt jedoch
eine Mehrzahl solcher Körperbewegungen, deren Sinn keineswegs
von allen Menschenstämmen übereinstimmend gedeutet wird, es
sind sogar Zweifel verstattet, ob in dem Ballen der Faust überall
auf Erden eine Drohung, im Stampfen mit dem Fusse ein Aus-
bruch des Unwillens erkannt werden sollte. Wird doch bei den

1) Steinthal (Psychologie und Sprachwissenschaft. Berlin 1871. S. 367).
hält die Interjectionen für Reflexlaute.
2) Reisen im südlichen Afrika. Berlin 1811. Bd. 2. S. 82.
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[111/0129] Die Entwickelungsgeschichte der menschlichen Sprache. solchen hervorbrechenden Lauten der Stimmwerkzeuge und dass der Mensch zu allen Zeiten seine inneren Bewegungen, Schmerz, Freude, Schreck, Ueberraschung, Abscheu durch solche Signale ausgedrückt habe, bedarf nur des Nachdenkens, nicht des Be- weises 1). Dazu gesellt sich als wichtiges Hilfsmittel die Betonung. Unser Ja und unser Nein verstatten eine Stufenleiter der Aussprache, aus welcher der Fragende oder Bittende deutlich heraushören kann, ob die Bewilligung oder Zustimmung eine freudige oder saure, die Ver- neinung eine schwankende oder eine entschiedne sei, überhaupt in welcher Stimmung beide Aeusserungen erfolgen. Der Sinn des Rufes pfui, wenn er klanglos ausgesprochen wird, dürfte jedem, der des Deutschen nicht mächtig wäre, völlig dunkel bleiben, mit voller Betonung des Abscheues ausgestossen, würde aber selbst ein Feuerländer errathen können, dass diese Lautgruppe den Gegensatz einer Billigung ausdrücken solle. Die Betonung aber, die etwas ursprüngliches, nichts erworbenes und andrerseits nichts beabsichtigtes, sondern etwas unwillkürlich hervorbrechendes ist, konnte bei dem Beginn der Sprachbildung das gegenseitige Ver- ständniss mächtig fördern. Es ist gewiss nichts zufälliges, dass gerade die formlosen, einsylbigen Sprachen die Betonung noch immer als wichtige Aushilfe zur Unterscheidung gleichlautender Wurzeln benutzen. Aehnlich wirkte, nicht auf das Gehör, sondern auf das Auge das Mienenspiel und die Gebärdensprache. Die sogenannten wilden Völker üben ungelehrt und unbewusst oder wenigstens nur halb bewusst die Kunst, welche unsere Schauspieler durch müh- same Uebung vor dem Spiegel sich von neuem aneignen müssen. Die Buschmänner, bemerkt Lichtenstein, verständigen sich unter einander mehr durch Gebärden als durch Reden 2). Es gibt jedoch eine Mehrzahl solcher Körperbewegungen, deren Sinn keineswegs von allen Menschenstämmen übereinstimmend gedeutet wird, es sind sogar Zweifel verstattet, ob in dem Ballen der Faust überall auf Erden eine Drohung, im Stampfen mit dem Fusse ein Aus- bruch des Unwillens erkannt werden sollte. Wird doch bei den 1) Steinthal (Psychologie und Sprachwissenschaft. Berlin 1871. S. 367). hält die Interjectionen für Reflexlaute. 2) Reisen im südlichen Afrika. Berlin 1811. Bd. 2. S. 82.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/129>, abgerufen am 24.04.2024.