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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die Grössenverhältnisse des Beckens und der Gliedmassen.
als die streng giltigen sich ihm fest einprägen. Er wird demnach
ein weibliches Modell für Naturstudien entweder miethen oder ver-
werfen, je nachdem es sich dem gesuchten Ideale nähert oder sich
von ihm allzuweit entfernt. Wenn daher die Mittel der Grössen-
verhältnisse einzelner Körperabschnitte bei zehn weiblichen Modellen
Brüsseler Bildhauer oder Maler den gleichen Mitteln bei Statuen
des Alterthums recht nahe kamen, so hätte Quetelet nicht sowohl
auf eine Uebereinstimmung der belgischen und altgriechischen Typen
schliessen, sondern er hätte nur das Augenmaass Brüsseler Künstler
bewundern dürfen, welche unter den Bewerberinnen um jenes
Rollenfach diejenigen mit sicherem Blick ausgesondert hatten,
welche von den anerkannten Idealen sich zu weit entfernten. Die
Höhe des Kopfes, welche für viele Künstler die Maasseinheit bildet,
schwankt, wie wir noch beisetzen wollen, mit der Körpergrösse.
Letztere beträgt bei Neugebornen das 5,6, bei 8jährigen Knaben das
8,4, bei kleinen Männern das 11,9, bei mittelgrossen das 12,1, bei
grossen das 13,2 fache der senkrechten Höhe des Gehirnschädels
nach Welcker's 1) Bestimmungen, so dass also grosse Leute verhält-
nissmässig die kleinsten Köpfe haben.

Die Maassverhältnisse der menschlichen Glieder können nur
ausgedrückt werden, wenn die Körpergrösse als Einheit gesetzt
wird. Auf der Reise der Fregatte Novara haben v. Scherzer und
Schwarz ihre Messungen an den lebenden Menschen bis zu den
grössten Einzelheiten ausgedehnt. Als das wichtigste muss immer
die Länge der untern wie der obern Gliedmassen erscheinen. Bei
dem Verhältniss des Unterschenkels zum Oberschenkel tritt ge-
wöhnlich der Fall ein, dass grosse Kürze des einen durch Länge
des andern Knochens ergänzt wird. Stets ist der Unterschenkel
länger als der Oberschenkel. Wird nun der letztere gleich 1000
gesetzt, so finden wir, dass bei einem Stewartsinsulaner der Unter-
schenkel bis zu 1238 steigt, bei Neuseeländern ausnahmsweise unter
1000, ja sogar bis 965 sinken kann. Dabei zeigt sich jedoch, dass
der Stewartsinsulaner, wenn die Körpergrösse gleich 1000 gesetzt
wird, einen sehr kurzen Oberschenkel von 198 Mm., der Neusee-
länder einen sehr langen von 229 Mm. besass 2). Die Länge des
Beines schwankt ebenfalls beträchtlich. Sie kann bei Chinesen auf

1) Bau und Wachsthum des Schädels. S. 31.
2) Weisbach, Reise der Fregatte Novara. Anthropologie. Thl. II. S. 255.

Die Grössenverhältnisse des Beckens und der Gliedmassen.
als die streng giltigen sich ihm fest einprägen. Er wird demnach
ein weibliches Modell für Naturstudien entweder miethen oder ver-
werfen, je nachdem es sich dem gesuchten Ideale nähert oder sich
von ihm allzuweit entfernt. Wenn daher die Mittel der Grössen-
verhältnisse einzelner Körperabschnitte bei zehn weiblichen Modellen
Brüsseler Bildhauer oder Maler den gleichen Mitteln bei Statuen
des Alterthums recht nahe kamen, so hätte Quetelet nicht sowohl
auf eine Uebereinstimmung der belgischen und altgriechischen Typen
schliessen, sondern er hätte nur das Augenmaass Brüsseler Künstler
bewundern dürfen, welche unter den Bewerberinnen um jenes
Rollenfach diejenigen mit sicherem Blick ausgesondert hatten,
welche von den anerkannten Idealen sich zu weit entfernten. Die
Höhe des Kopfes, welche für viele Künstler die Maasseinheit bildet,
schwankt, wie wir noch beisetzen wollen, mit der Körpergrösse.
Letztere beträgt bei Neugebornen das 5,6, bei 8jährigen Knaben das
8,4, bei kleinen Männern das 11,9, bei mittelgrossen das 12,1, bei
grossen das 13,2 fache der senkrechten Höhe des Gehirnschädels
nach Welcker’s 1) Bestimmungen, so dass also grosse Leute verhält-
nissmässig die kleinsten Köpfe haben.

Die Maassverhältnisse der menschlichen Glieder können nur
ausgedrückt werden, wenn die Körpergrösse als Einheit gesetzt
wird. Auf der Reise der Fregatte Novara haben v. Scherzer und
Schwarz ihre Messungen an den lebenden Menschen bis zu den
grössten Einzelheiten ausgedehnt. Als das wichtigste muss immer
die Länge der untern wie der obern Gliedmassen erscheinen. Bei
dem Verhältniss des Unterschenkels zum Oberschenkel tritt ge-
wöhnlich der Fall ein, dass grosse Kürze des einen durch Länge
des andern Knochens ergänzt wird. Stets ist der Unterschenkel
länger als der Oberschenkel. Wird nun der letztere gleich 1000
gesetzt, so finden wir, dass bei einem Stewartsinsulaner der Unter-
schenkel bis zu 1238 steigt, bei Neuseeländern ausnahmsweise unter
1000, ja sogar bis 965 sinken kann. Dabei zeigt sich jedoch, dass
der Stewartsinsulaner, wenn die Körpergrösse gleich 1000 gesetzt
wird, einen sehr kurzen Oberschenkel von 198 Mm., der Neusee-
länder einen sehr langen von 229 Mm. besass 2). Die Länge des
Beines schwankt ebenfalls beträchtlich. Sie kann bei Chinesen auf

1) Bau und Wachsthum des Schädels. S. 31.
2) Weisbach, Reise der Fregatte Novara. Anthropologie. Thl. II. S. 255.
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[88/0106] Die Grössenverhältnisse des Beckens und der Gliedmassen. als die streng giltigen sich ihm fest einprägen. Er wird demnach ein weibliches Modell für Naturstudien entweder miethen oder ver- werfen, je nachdem es sich dem gesuchten Ideale nähert oder sich von ihm allzuweit entfernt. Wenn daher die Mittel der Grössen- verhältnisse einzelner Körperabschnitte bei zehn weiblichen Modellen Brüsseler Bildhauer oder Maler den gleichen Mitteln bei Statuen des Alterthums recht nahe kamen, so hätte Quetelet nicht sowohl auf eine Uebereinstimmung der belgischen und altgriechischen Typen schliessen, sondern er hätte nur das Augenmaass Brüsseler Künstler bewundern dürfen, welche unter den Bewerberinnen um jenes Rollenfach diejenigen mit sicherem Blick ausgesondert hatten, welche von den anerkannten Idealen sich zu weit entfernten. Die Höhe des Kopfes, welche für viele Künstler die Maasseinheit bildet, schwankt, wie wir noch beisetzen wollen, mit der Körpergrösse. Letztere beträgt bei Neugebornen das 5,6, bei 8jährigen Knaben das 8,4, bei kleinen Männern das 11,9, bei mittelgrossen das 12,1, bei grossen das 13,2 fache der senkrechten Höhe des Gehirnschädels nach Welcker’s 1) Bestimmungen, so dass also grosse Leute verhält- nissmässig die kleinsten Köpfe haben. Die Maassverhältnisse der menschlichen Glieder können nur ausgedrückt werden, wenn die Körpergrösse als Einheit gesetzt wird. Auf der Reise der Fregatte Novara haben v. Scherzer und Schwarz ihre Messungen an den lebenden Menschen bis zu den grössten Einzelheiten ausgedehnt. Als das wichtigste muss immer die Länge der untern wie der obern Gliedmassen erscheinen. Bei dem Verhältniss des Unterschenkels zum Oberschenkel tritt ge- wöhnlich der Fall ein, dass grosse Kürze des einen durch Länge des andern Knochens ergänzt wird. Stets ist der Unterschenkel länger als der Oberschenkel. Wird nun der letztere gleich 1000 gesetzt, so finden wir, dass bei einem Stewartsinsulaner der Unter- schenkel bis zu 1238 steigt, bei Neuseeländern ausnahmsweise unter 1000, ja sogar bis 965 sinken kann. Dabei zeigt sich jedoch, dass der Stewartsinsulaner, wenn die Körpergrösse gleich 1000 gesetzt wird, einen sehr kurzen Oberschenkel von 198 Mm., der Neusee- länder einen sehr langen von 229 Mm. besass 2). Die Länge des Beines schwankt ebenfalls beträchtlich. Sie kann bei Chinesen auf 1) Bau und Wachsthum des Schädels. S. 31. 2) Weisbach, Reise der Fregatte Novara. Anthropologie. Thl. II. S. 255.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/106>, abgerufen am 20.04.2024.