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Pertsch, Johann Georg: Das Recht Der Beicht-Stühle. Halle, 1721.

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Vorbericht von der Juristen
von der Wahrheit und Falschheit zu urtheilen; Denn es wür-
de daraus folgen, daß so offt ein Fürste die Meinung wegen
der
Religion änderte, wie es sich gar offt zugerragen, das Volck
auch nothwendig dergleichen zu thun gehalten wäre; sonst
würde es eines Lasters der
Rebellion beschuldiget werden, und
man könte es dieserwegen straffen. Niemand wird derglei-
chen Folgerung zu geben, denn ein ketzerischer Fürst hätte
Recht die
Orthodoxen zu verfolgen, und einer der dem Maho-
metanischen Glauben zugethan, oder gar ein Heyde hätte auch
Fug die Christen übel zu
tractiren, ohne daß sie sich darüber
beklagen könten. Nichts kan deutlicher seyn als dieses.

Er kommet auch auff die Geistlichkeit/ ob dieselbe in Glau-
bens-Sachen vorschreiben könne/ und fähret fort: Und es
ist einerley wenn man an statt des Fürsten die Geistlichen se-
tzet: Denn wenn ein
Synodus Recht hat, an statt des Volcks zu
richten und zu sagen, was das Volck glauben muß, ohne daß
ein einiger abschlagen könte, ihren Schutz anzunehmen, so
wüste man was der
Synodus vor Meinung hätte, solche ohne
Untersuchung annehinen. Wenn derselbe ausspricht, man
solte keine Bilder anbeten, so müste man es sich enthalten;
und wenn wiederum das Gegentheil geordner wird, wie in

Orient, zur Zeit als man wegen der Bilder stritte, es sich zuge-
tragen, so müste man die Bilder anbeten. Es ist heute zu
Tage keine Christliche Gesellschafft, welche überhaupt zuge-
ben wird, daß die Unterthanen eines Staats, es sey was es vor
einer wolle, in ihren Gewissen verbunden, sich denen Aus-
sprüchen des Fürsten, oder des Landes Geistlichkeit zu unter-
werffen, weil sie befürchten muß, daß sie sich selbst verdamm-
te. Aber es sind verschiedene Gesellschafften, die es nicht las-
sen können sich eines Rechts anzumassen, welches sie andern
nicht zugestehen wollen, und thun das jenige, was sie ver-
dammen, wenn es von andern geschiehet.

§. XI.
pais, de peur de se condamner elle meme. Mais il ya diverses soci-
etes, qui ne laissent pas d'exercer un droit, qu'elles n'osent pas ac-
corder aux autres, & de faire ce qu'elles condamnent, quand les au-
ters le font.

Vorbericht von der Juriſten
von der Wahrheit und Falſchheit zu urtheilen; Denn es wuͤr-
de daraus folgen, daß ſo offt ein Fuͤrſte die Meinung wegen
der
Religion aͤnderte, wie es ſich gar offt zugerragen, das Volck
auch nothwendig dergleichen zu thun gehalten waͤre; ſonſt
wuͤrde es eines Laſters der
Rebellion beſchuldiget werden, und
man koͤnte es dieſerwegen ſtraffen. Niemand wird derglei-
chen Folgerung zu geben, denn ein ketzeriſcher Fuͤrſt haͤtte
Recht die
Orthodoxen zu verfolgen, und einer der dem Maho-
metaniſchen Glauben zugethan, oder gar ein Heyde haͤtte auch
Fug die Chriſten uͤbel zu
tractiren, ohne daß ſie ſich daruͤber
beklagen koͤnten. Nichts kan deutlicher ſeyn als dieſes.

Er kommet auch auff die Geiſtlichkeit/ ob dieſelbe in Glau-
bens-Sachen vorſchreiben koͤnne/ und faͤhret fort: Und es
iſt einerley wenn man an ſtatt des Fuͤrſten die Geiſtlichen ſe-
tzet: Denn wenn ein
Synodus Recht hat, an ſtatt des Volcks zu
richten und zu ſagen, was das Volck glauben muß, ohne daß
ein einiger abſchlagen koͤnte, ihren Schutz anzunehmen, ſo
wuͤſte man was der
Synodus vor Meinung haͤtte, ſolche ohne
Unterſuchung annehinen. Wenn derſelbe ausſpricht, man
ſolte keine Bilder anbeten, ſo muͤſte man es ſich enthalten;
und wenn wiederum das Gegentheil geordner wird, wie in

Orient, zur Zeit als man wegen der Bilder ſtritte, es ſich zuge-
tragen, ſo muͤſte man die Bilder anbeten. Es iſt heute zu
Tage keine Chriſtliche Geſellſchafft, welche uͤberhaupt zuge-
ben wird, daß die Unterthanen eines Staats, es ſey was es vor
einer wolle, in ihren Gewiſſen verbunden, ſich denen Aus-
ſpruͤchen des Fuͤrſten, oder des Landes Geiſtlichkeit zu unter-
werffen, weil ſie befuͤrchten muß, daß ſie ſich ſelbſt verdamm-
te. Aber es ſind verſchiedene Geſellſchafften, die es nicht laſ-
ſen koͤnnen ſich eines Rechts anzumaſſen, welches ſie andern
nicht zugeſtehen wollen, und thun das jenige, was ſie ver-
dammen, wenn es von andern geſchiehet.

§. XI.
pais, de peur de ſe condamner elle même. Mais il ya diverſes ſoci-
etés, qui ne laiſſent pas d’exercer un droit, qu’elles n’oſent pas ac-
corder aux autres, & de faire ce qu’elles condamnent, quand les au-
ters le font.
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[12/0031] Vorbericht von der Juriſten von der Wahrheit und Falſchheit zu urtheilen; Denn es wuͤr- de daraus folgen, daß ſo offt ein Fuͤrſte die Meinung wegen der Religion aͤnderte, wie es ſich gar offt zugerragen, das Volck auch nothwendig dergleichen zu thun gehalten waͤre; ſonſt wuͤrde es eines Laſters der Rebellion beſchuldiget werden, und man koͤnte es dieſerwegen ſtraffen. Niemand wird derglei- chen Folgerung zu geben, denn ein ketzeriſcher Fuͤrſt haͤtte Recht die Orthodoxen zu verfolgen, und einer der dem Maho- metaniſchen Glauben zugethan, oder gar ein Heyde haͤtte auch Fug die Chriſten uͤbel zu tractiren, ohne daß ſie ſich daruͤber beklagen koͤnten. Nichts kan deutlicher ſeyn als dieſes. Er kommet auch auff die Geiſtlichkeit/ ob dieſelbe in Glau- bens-Sachen vorſchreiben koͤnne/ und faͤhret fort: Und es iſt einerley wenn man an ſtatt des Fuͤrſten die Geiſtlichen ſe- tzet: Denn wenn ein Synodus Recht hat, an ſtatt des Volcks zu richten und zu ſagen, was das Volck glauben muß, ohne daß ein einiger abſchlagen koͤnte, ihren Schutz anzunehmen, ſo wuͤſte man was der Synodus vor Meinung haͤtte, ſolche ohne Unterſuchung annehinen. Wenn derſelbe ausſpricht, man ſolte keine Bilder anbeten, ſo muͤſte man es ſich enthalten; und wenn wiederum das Gegentheil geordner wird, wie in Orient, zur Zeit als man wegen der Bilder ſtritte, es ſich zuge- tragen, ſo muͤſte man die Bilder anbeten. Es iſt heute zu Tage keine Chriſtliche Geſellſchafft, welche uͤberhaupt zuge- ben wird, daß die Unterthanen eines Staats, es ſey was es vor einer wolle, in ihren Gewiſſen verbunden, ſich denen Aus- ſpruͤchen des Fuͤrſten, oder des Landes Geiſtlichkeit zu unter- werffen, weil ſie befuͤrchten muß, daß ſie ſich ſelbſt verdamm- te. Aber es ſind verſchiedene Geſellſchafften, die es nicht laſ- ſen koͤnnen ſich eines Rechts anzumaſſen, welches ſie andern nicht zugeſtehen wollen, und thun das jenige, was ſie ver- dammen, wenn es von andern geſchiehet. §. XI. (a) (a) pais, de peur de ſe condamner elle même. Mais il ya diverſes ſoci- etés, qui ne laiſſent pas d’exercer un droit, qu’elles n’oſent pas ac- corder aux autres, & de faire ce qu’elles condamnent, quand les au- ters le font.

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Zitationshilfe: Pertsch, Johann Georg: Das Recht Der Beicht-Stühle. Halle, 1721, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pertsch_recht_1721/31>, abgerufen am 19.04.2024.