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Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801.

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unfähig, wahr, ja kaum falsch zu sein, weil jede
Wahrheit zur poetischen Darstellung artete und
diese wieder zu jener -- leichter vermögend, auf
der Bühne und auf dem tragischen Schreibe¬
pult die wahre Sprache der Empfindung zu
treffen als im Leben, wie Boileau nur Tänzer
nachmachen konnte, aber keinen Tanz -- gleich¬
gültig, verschmähend und keck gegen das aus¬
geschöpfte stoflose Leben, worin alles Feste
und Unentbehrliche, Herzen und Freuden und
Wahrheiten, zerschmolzen herumschwammen --
mit ruchloser Kraft vermögend, alles zu wa¬
gen und zu opfern, was ein Mensch achtet,
weil er nichts achtete, und immer nach sei¬
nem eisernen Schutzheiligen umblickend, nach
dem Tode -- an seinen Entschlüssen verzagend
und sogar in seinen Irthümern schwankend --
aber doch nur des Stimmhammers, und
nicht der Stimmgabel der feinsten Moralität
beraubt und mitten im Brausen der Leiden¬
schaft stehend im hellen Lichte der Besonnenheit,
wie der Wasserscheue seinen Wahnsinn kennt
und davor warnt. -- --

Nur Ein guter Engel war nicht mit den

unfähig, wahr, ja kaum falſch zu ſein, weil jede
Wahrheit zur poetiſchen Darſtellung artete und
dieſe wieder zu jener — leichter vermögend, auf
der Bühne und auf dem tragiſchen Schreibe¬
pult die wahre Sprache der Empfindung zu
treffen als im Leben, wie Boileau nur Tänzer
nachmachen konnte, aber keinen Tanz — gleich¬
gültig, verſchmähend und keck gegen das aus¬
geſchöpfte ſtofloſe Leben, worin alles Feſte
und Unentbehrliche, Herzen und Freuden und
Wahrheiten, zerſchmolzen herumſchwammen —
mit ruchloſer Kraft vermögend, alles zu wa¬
gen und zu opfern, was ein Menſch achtet,
weil er nichts achtete, und immer nach ſei¬
nem eiſernen Schutzheiligen umblickend, nach
dem Tode — an ſeinen Entſchlüſſen verzagend
und ſogar in ſeinen Irthümern ſchwankend —
aber doch nur des Stimmhammers, und
nicht der Stimmgabel der feinſten Moralität
beraubt und mitten im Brauſen der Leiden¬
ſchaft ſtehend im hellen Lichte der Beſonnenheit,
wie der Waſſerſcheue ſeinen Wahnſinn kennt
und davor warnt. — —

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[13/0021] unfähig, wahr, ja kaum falſch zu ſein, weil jede Wahrheit zur poetiſchen Darſtellung artete und dieſe wieder zu jener — leichter vermögend, auf der Bühne und auf dem tragiſchen Schreibe¬ pult die wahre Sprache der Empfindung zu treffen als im Leben, wie Boileau nur Tänzer nachmachen konnte, aber keinen Tanz — gleich¬ gültig, verſchmähend und keck gegen das aus¬ geſchöpfte ſtofloſe Leben, worin alles Feſte und Unentbehrliche, Herzen und Freuden und Wahrheiten, zerſchmolzen herumſchwammen — mit ruchloſer Kraft vermögend, alles zu wa¬ gen und zu opfern, was ein Menſch achtet, weil er nichts achtete, und immer nach ſei¬ nem eiſernen Schutzheiligen umblickend, nach dem Tode — an ſeinen Entſchlüſſen verzagend und ſogar in ſeinen Irthümern ſchwankend — aber doch nur des Stimmhammers, und nicht der Stimmgabel der feinſten Moralität beraubt und mitten im Brauſen der Leiden¬ ſchaft ſtehend im hellen Lichte der Beſonnenheit, wie der Waſſerſcheue ſeinen Wahnſinn kennt und davor warnt. — — Nur Ein guter Engel war nicht mit den

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801/21>, abgerufen am 28.03.2024.