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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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"dir:" Der Mönch fragte: "ist der Abendstern
"schon hinunter? Spricht es mit dir?" -- Ze¬
sara blickte in die Höhe und konnte nicht ant¬
worten; die Stimme aus dem Himmel sprach
wieder und dasselbe. Der Mönch errieth es
und sagte: "So hat dein Vater deine Mutter
"aus der Höhe gehöret, als er in Deutschland
"war; aber er ließ mich lange in Fesseln le¬
"gen, weil er dachte, ich täusche ihn." -- Beim
Worte "Vater," dessen Geisterunglauben Zesa¬
ra kannte, riß er den Mönch an den beiden
Händen mit der festhaltenden starken die Ter¬
rassen hinunter, um zu hören, wo jetzt die
Stimme stehe. Der Alte lächelte sanft, die
Stimme sprach wieder über ihm, aber so: "liebe
"die Schöne, liebe die Schöne, ich helfe dir.
-- Am Ufer hieng ein Fahrzeug, das er am
Tage schon gesehen. Der Mönch, der ihm ver¬
muthlich den Argwohn einer irgendwo verbor¬
genen Stimme nehmen wollte, stieg in die
Gondel und winkte ihm nachzufolgen. Der
Jüngling im Vertrauen auf seine körperliche
und geistige Macht, und auf seine Schwimm¬
kunst, entfernte sich mit dem Mönche kühn von

„dir:“ Der Mönch fragte: „iſt der Abendſtern
„ſchon hinunter? Spricht es mit dir?“ — Ze¬
ſara blickte in die Höhe und konnte nicht ant¬
worten; die Stimme aus dem Himmel ſprach
wieder und daſſelbe. Der Mönch errieth es
und ſagte: „So hat dein Vater deine Mutter
„aus der Höhe gehöret, als er in Deutſchland
„war; aber er ließ mich lange in Feſſeln le¬
„gen, weil er dachte, ich täuſche ihn.“ — Beim
Worte „Vater,“ deſſen Geiſterunglauben Zeſa¬
ra kannte, riß er den Mönch an den beiden
Händen mit der feſthaltenden ſtarken die Ter¬
raſſen hinunter, um zu hören, wo jetzt die
Stimme ſtehe. Der Alte lächelte ſanft, die
Stimme ſprach wieder über ihm, aber ſo: „liebe
„die Schöne, liebe die Schöne, ich helfe dir.
— Am Ufer hieng ein Fahrzeug, das er am
Tage ſchon geſehen. Der Mönch, der ihm ver¬
muthlich den Argwohn einer irgendwo verbor¬
genen Stimme nehmen wollte, ſtieg in die
Gondel und winkte ihm nachzufolgen. Der
Jüngling im Vertrauen auf ſeine körperliche
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[77/0097] „dir:“ Der Mönch fragte: „iſt der Abendſtern „ſchon hinunter? Spricht es mit dir?“ — Ze¬ ſara blickte in die Höhe und konnte nicht ant¬ worten; die Stimme aus dem Himmel ſprach wieder und daſſelbe. Der Mönch errieth es und ſagte: „So hat dein Vater deine Mutter „aus der Höhe gehöret, als er in Deutſchland „war; aber er ließ mich lange in Feſſeln le¬ „gen, weil er dachte, ich täuſche ihn.“ — Beim Worte „Vater,“ deſſen Geiſterunglauben Zeſa¬ ra kannte, riß er den Mönch an den beiden Händen mit der feſthaltenden ſtarken die Ter¬ raſſen hinunter, um zu hören, wo jetzt die Stimme ſtehe. Der Alte lächelte ſanft, die Stimme ſprach wieder über ihm, aber ſo: „liebe „die Schöne, liebe die Schöne, ich helfe dir. — Am Ufer hieng ein Fahrzeug, das er am Tage ſchon geſehen. Der Mönch, der ihm ver¬ muthlich den Argwohn einer irgendwo verbor¬ genen Stimme nehmen wollte, ſtieg in die Gondel und winkte ihm nachzufolgen. Der Jüngling im Vertrauen auf ſeine körperliche und geiſtige Macht, und auf ſeine Schwimm¬ kunſt, entfernte ſich mit dem Mönche kühn von

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/97>, abgerufen am 19.04.2024.