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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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mit fallender Furcht. Ein ödes verkohltes Thal
voll offner verfallner Schachte sonnte sich grau
im Mondscheine; aus dem Walde kroch unter
ihren Füßen der Todtenfluß hervor und sprang
auf eine steinerne Treppe in die Katakomben
hinein; beide folgten ihm auf einer darneben.
Der Eingang trug als Stirnblatt ein altes
Zifferblatt, wovon einmal der Donner gerade
die Stunde Eins weggeschlagen: "Eins?
"(sagte Alban) Sonderbar! Gerade unsre künf¬
"tige Stunde?"

Wie abentheuerlich zieht sich die Katakombe
fort! Der lange Todtenfluß murmelt verfinstert
tief hinein und blitzt zuweilen unter dem silbernen
Dampfe, den das Mondlicht durch die Schacht¬
löcher hereintreibt -- feste Thiere, Pferde, Hunde,
Vögel stehen saufend am finstern Ufer, näm¬
lich ihre ausgepolsterten Häute -- schmale von
der Zeit geschleifte Leichensteine mit wenigen
Namen und Gliedern sind das Pflaster -- an
einer hellern Nische lieset man, daß hier eine
Nonne eingemauert gewesen -- in einer an¬
dern steht das vererzte Skelet eines verschütte¬
ten Bergmanns mit vergoldeten Rippen und

mit fallender Furcht. Ein ödes verkohltes Thal
voll offner verfallner Schachte ſonnte ſich grau
im Mondſcheine; aus dem Walde kroch unter
ihren Füßen der Todtenfluß hervor und ſprang
auf eine ſteinerne Treppe in die Katakomben
hinein; beide folgten ihm auf einer darneben.
Der Eingang trug als Stirnblatt ein altes
Zifferblatt, wovon einmal der Donner gerade
die Stunde Eins weggeſchlagen: „Eins?
„(ſagte Alban) Sonderbar! Gerade unſre künf¬
„tige Stunde?“

Wie abentheuerlich zieht ſich die Katakombe
fort! Der lange Todtenfluß murmelt verfinſtert
tief hinein und blitzt zuweilen unter dem ſilbernen
Dampfe, den das Mondlicht durch die Schacht¬
löcher hereintreibt — feſte Thiere, Pferde, Hunde,
Vögel ſtehen ſaufend am finſtern Ufer, näm¬
lich ihre ausgepolſterten Häute — ſchmale von
der Zeit geſchleifte Leichenſteine mit wenigen
Namen und Gliedern ſind das Pflaſter — an
einer hellern Niſche lieſet man, daß hier eine
Nonne eingemauert geweſen — in einer an¬
dern ſteht das vererzte Skelet eines verſchütte¬
ten Bergmanns mit vergoldeten Rippen und

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[510/0530] mit fallender Furcht. Ein ödes verkohltes Thal voll offner verfallner Schachte ſonnte ſich grau im Mondſcheine; aus dem Walde kroch unter ihren Füßen der Todtenfluß hervor und ſprang auf eine ſteinerne Treppe in die Katakomben hinein; beide folgten ihm auf einer darneben. Der Eingang trug als Stirnblatt ein altes Zifferblatt, wovon einmal der Donner gerade die Stunde Eins weggeſchlagen: „Eins? „(ſagte Alban) Sonderbar! Gerade unſre künf¬ „tige Stunde?“ Wie abentheuerlich zieht ſich die Katakombe fort! Der lange Todtenfluß murmelt verfinſtert tief hinein und blitzt zuweilen unter dem ſilbernen Dampfe, den das Mondlicht durch die Schacht¬ löcher hereintreibt — feſte Thiere, Pferde, Hunde, Vögel ſtehen ſaufend am finſtern Ufer, näm¬ lich ihre ausgepolſterten Häute — ſchmale von der Zeit geſchleifte Leichenſteine mit wenigen Namen und Gliedern ſind das Pflaſter — an einer hellern Niſche lieſet man, daß hier eine Nonne eingemauert geweſen — in einer an¬ dern ſteht das vererzte Skelet eines verſchütte¬ ten Bergmanns mit vergoldeten Rippen und

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 510. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/530>, abgerufen am 20.04.2024.