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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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stand: so blickte er über das glänzende Schnee¬
licht des Hofes zur lieblichen Grazie des Len¬
zes hin um welche Erinnerungen wie Blumen
hiengen, und die nun so fern stand, so abge¬
trennt, so eingekerkert in den schweren Putz des
Hofes! Nur durch die nahe Freundinn wurde
sie leise mit der grellen Gegenwart verschmol¬
zen und versöhnt. --

Nun fiengen schöne Amtsreden an, die
längste hielt der alte Minister, die kürzeste
Wehrfriz; der Fürst ließ, an seinem Dezember-
Gesicht ohne aufzuthauen die warmen Lobre¬
den vorüberstreichen; eine fehlerhafte Gleichgül¬
tigkeit! Denn das Lob vom Minister wie von
andern Hof-Bedienten kann ihm noch bei der
Nachwelt helfen, da nach Bako keines gültiger
ist als das so Bediente geben, weil sie ja den
Herrn am besten kennen. --

Dann las der Obersekretär Heiderscheid
Luigi's Stammtafel ab und beleuchtete den
hohlen Stammbaum sammt seiner Baumtrock¬
niß und dem letzten blaßgrünen Ästchen; --
mit gesunknen Augen hörte Julienne dieses un¬

ſtand: ſo blickte er über das glänzende Schnee¬
licht des Hofes zur lieblichen Grazie des Len¬
zes hin um welche Erinnerungen wie Blumen
hiengen, und die nun ſo fern ſtand, ſo abge¬
trennt, ſo eingekerkert in den ſchweren Putz des
Hofes! Nur durch die nahe Freundinn wurde
ſie leiſe mit der grellen Gegenwart verſchmol¬
zen und verſöhnt. —

Nun fiengen ſchöne Amtsreden an, die
längſte hielt der alte Miniſter, die kürzeſte
Wehrfriz; der Fürſt ließ, an ſeinem Dezember-
Geſicht ohne aufzuthauen die warmen Lobre¬
den vorüberſtreichen; eine fehlerhafte Gleichgül¬
tigkeit! Denn das Lob vom Miniſter wie von
andern Hof-Bedienten kann ihm noch bei der
Nachwelt helfen, da nach Bako keines gültiger
iſt als das ſo Bediente geben, weil ſie ja den
Herrn am beſten kennen. —

Dann las der Oberſekretär Heiderſcheid
Luigi's Stammtafel ab und beleuchtete den
hohlen Stammbaum ſammt ſeiner Baumtrock¬
niß und dem letzten blaßgrünen Äſtchen; —
mit geſunknen Augen hörte Julienne dieſes un¬

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[484/0504] ſtand: ſo blickte er über das glänzende Schnee¬ licht des Hofes zur lieblichen Grazie des Len¬ zes hin um welche Erinnerungen wie Blumen hiengen, und die nun ſo fern ſtand, ſo abge¬ trennt, ſo eingekerkert in den ſchweren Putz des Hofes! Nur durch die nahe Freundinn wurde ſie leiſe mit der grellen Gegenwart verſchmol¬ zen und verſöhnt. — Nun fiengen ſchöne Amtsreden an, die längſte hielt der alte Miniſter, die kürzeſte Wehrfriz; der Fürſt ließ, an ſeinem Dezember- Geſicht ohne aufzuthauen die warmen Lobre¬ den vorüberſtreichen; eine fehlerhafte Gleichgül¬ tigkeit! Denn das Lob vom Miniſter wie von andern Hof-Bedienten kann ihm noch bei der Nachwelt helfen, da nach Bako keines gültiger iſt als das ſo Bediente geben, weil ſie ja den Herrn am beſten kennen. — Dann las der Oberſekretär Heiderſcheid Luigi's Stammtafel ab und beleuchtete den hohlen Stammbaum ſammt ſeiner Baumtrock¬ niß und dem letzten blaßgrünen Äſtchen; — mit geſunknen Augen hörte Julienne dieſes un¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 484. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/504>, abgerufen am 25.04.2024.