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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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eine nach italienischer Sitte aufgedekt getragne
-- Leiche war: so fragt' er erschrocken und schnell
die Freunde: "sieht mein Vater so aus?"

Was ihn nämlich mit so heftigen Bewe¬
gungen der Insel zutreibt, ist Folgendes: Auf
Isola bella hatt' er die drei ersten irrdischen Jah¬
re mit seiner Schwester, die nach Spanien, und
neben seiner Mutter, die unter die Erde gieng,
mitten in den hohen Blumen der Natur liegend
süß vertändelt und verträumt -- die Insel war
für den Morgenschlummer des Lebens, für sei¬
ne Kindheit, Raphaels übermaltes Schlafge¬
mach gewesen. Aber er hatte nichts davon im
Kopfe und Herzen behalten als in diesem ein
schmerzlich süßes tiefes Aufwallen bei dem Na¬
men, und in jenem das -- Eichhorn, das als
Familienwappen der Borromäer auf der ober¬
sten Terrasse der Insel steht.

Nach dem Tode der Mutter versetzte ihn
sein Vater aus der welschen Blumenerde -- ei¬
nige blieb an den Pfahlwurzeln hängen -- in
den deutschen Reichsforst, nämlich nach Blu¬
menbühl
-- im Fürstenthum Hohenflies,
das den Deutschen so gut wie unbekannt ist --;

eine nach italieniſcher Sitte aufgedekt getragne
— Leiche war: ſo fragt' er erſchrocken und ſchnell
die Freunde: „ſieht mein Vater ſo aus?“

Was ihn nämlich mit ſo heftigen Bewe¬
gungen der Inſel zutreibt, iſt Folgendes: Auf
Isola bella hatt' er die drei erſten irrdiſchen Jah¬
re mit ſeiner Schweſter, die nach Spanien, und
neben ſeiner Mutter, die unter die Erde gieng,
mitten in den hohen Blumen der Natur liegend
ſüß vertändelt und verträumt — die Inſel war
für den Morgenſchlummer des Lebens, für ſei¬
ne Kindheit, Raphaels übermaltes Schlafge¬
mach geweſen. Aber er hatte nichts davon im
Kopfe und Herzen behalten als in dieſem ein
ſchmerzlich ſüßes tiefes Aufwallen bei dem Na¬
men, und in jenem das — Eichhorn, das als
Familienwappen der Borromäer auf der ober¬
ſten Terraſſe der Inſel ſteht.

Nach dem Tode der Mutter verſetzte ihn
ſein Vater aus der welſchen Blumenerde — ei¬
nige blieb an den Pfahlwurzeln hängen — in
den deutſchen Reichsforſt, nämlich nach Blu¬
menbühl
— im Fürſtenthum Hohenflies,
das den Deutſchen ſo gut wie unbekannt iſt —;

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[4/0024] eine nach italieniſcher Sitte aufgedekt getragne — Leiche war: ſo fragt' er erſchrocken und ſchnell die Freunde: „ſieht mein Vater ſo aus?“ Was ihn nämlich mit ſo heftigen Bewe¬ gungen der Inſel zutreibt, iſt Folgendes: Auf Isola bella hatt' er die drei erſten irrdiſchen Jah¬ re mit ſeiner Schweſter, die nach Spanien, und neben ſeiner Mutter, die unter die Erde gieng, mitten in den hohen Blumen der Natur liegend ſüß vertändelt und verträumt — die Inſel war für den Morgenſchlummer des Lebens, für ſei¬ ne Kindheit, Raphaels übermaltes Schlafge¬ mach geweſen. Aber er hatte nichts davon im Kopfe und Herzen behalten als in dieſem ein ſchmerzlich ſüßes tiefes Aufwallen bei dem Na¬ men, und in jenem das — Eichhorn, das als Familienwappen der Borromäer auf der ober¬ ſten Terraſſe der Inſel ſteht. Nach dem Tode der Mutter verſetzte ihn ſein Vater aus der welſchen Blumenerde — ei¬ nige blieb an den Pfahlwurzeln hängen — in den deutſchen Reichsforſt, nämlich nach Blu¬ menbühl — im Fürſtenthum Hohenflies, das den Deutſchen ſo gut wie unbekannt iſt —;

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/24>, abgerufen am 25.04.2024.