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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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anders Hafenreffers Hand richtig lese --, und
daß er sie oft genug sehe und spreche bei
ihrer Mutter. Dazu kam noch, daß kein
wahres Wort daran war; durch den Tempel,
worin Liane war, gieng kein Durchgang für
ihn. Allein um so weniger konnt' er den Direk¬
tor vorauslassen, der sie öfters sah und zu
Hause immer eifriger lobte, bloß um die roh¬
unschuldige von niemand je erzogne Rabette
auszuschelten. Der Wiener wollte freilich auch
noch den Grafen -- dem er nur die Küste der
Freundschaftsinsel Roquairols von weitem
zeigte, aber keine Anfuhrt zur Landung -- durch
die Schwester listig von dem Bruder ablenken,
(er war unvermögend, ihn länger zu belügen
und hinzuhalten): denn warum malt' ers ihm
so lange aus, wie giftig vor einigen Jahren
der Nacht- und Todesfrost über den Retraite¬
schuß des Bruders, den sie zu innig liebe, auf
diese so zarten weißen Herzblätter gefallen sey?

Oefters hieng er unter dem Essen breite
von Wehrfriz kontrasignirte Meritentafeln von
Lianens musikalischen und malerischen Fort¬
schritten auf, um scheinbar seinen Klavier¬

Titan. I. D

anders Hafenreffers Hand richtig leſe —, und
daß er ſie oft genug ſehe und ſpreche bei
ihrer Mutter. Dazu kam noch, daß kein
wahres Wort daran war; durch den Tempel,
worin Liane war, gieng kein Durchgang für
ihn. Allein um ſo weniger konnt' er den Direk¬
tor vorauslaſſen, der ſie öfters ſah und zu
Hauſe immer eifriger lobte, bloß um die roh¬
unſchuldige von niemand je erzogne Rabette
auszuſchelten. Der Wiener wollte freilich auch
noch den Grafen — dem er nur die Küſte der
Freundſchaftsinſel Roquairols von weitem
zeigte, aber keine Anfuhrt zur Landung — durch
die Schweſter liſtig von dem Bruder ablenken,
(er war unvermögend, ihn länger zu belügen
und hinzuhalten): denn warum malt' ers ihm
ſo lange aus, wie giftig vor einigen Jahren
der Nacht- und Todesfroſt über den Retraite¬
ſchuß des Bruders, den ſie zu innig liebe, auf
dieſe ſo zarten weißen Herzblätter gefallen ſey?

Oefters hieng er unter dem Eſſen breite
von Wehrfriz kontraſignirte Meritentafeln von
Lianens muſikaliſchen und maleriſchen Fort¬
ſchritten auf, um ſcheinbar ſeinen Klavier¬

Titan. I. D
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[209/0229] anders Hafenreffers Hand richtig leſe —, und daß er ſie oft genug ſehe und ſpreche bei ihrer Mutter. Dazu kam noch, daß kein wahres Wort daran war; durch den Tempel, worin Liane war, gieng kein Durchgang für ihn. Allein um ſo weniger konnt' er den Direk¬ tor vorauslaſſen, der ſie öfters ſah und zu Hauſe immer eifriger lobte, bloß um die roh¬ unſchuldige von niemand je erzogne Rabette auszuſchelten. Der Wiener wollte freilich auch noch den Grafen — dem er nur die Küſte der Freundſchaftsinſel Roquairols von weitem zeigte, aber keine Anfuhrt zur Landung — durch die Schweſter liſtig von dem Bruder ablenken, (er war unvermögend, ihn länger zu belügen und hinzuhalten): denn warum malt' ers ihm ſo lange aus, wie giftig vor einigen Jahren der Nacht- und Todesfroſt über den Retraite¬ ſchuß des Bruders, den ſie zu innig liebe, auf dieſe ſo zarten weißen Herzblätter gefallen ſey? Oefters hieng er unter dem Eſſen breite von Wehrfriz kontraſignirte Meritentafeln von Lianens muſikaliſchen und maleriſchen Fort¬ ſchritten auf, um ſcheinbar ſeinen Klavier¬ Titan. I. D

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/229>, abgerufen am 20.04.2024.