Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite

niedlichen freundlichen Falterle mit jener hei¬
ligen ersten Menschenliebe, womit ein
Kinderherz sich an alle Leute des Hauses und
des Dorfes anklammert, schon darum lieb,
weil den Wiener eine Dame um den Goldfin¬
ger, ja innen um den Goldring selber aufwik¬
keln konnte und weil er vom Ritter des gold¬
nen Vliesses wie von einem Könige sprach und
log, und weil er die gefälligste Haut war, die
je über die Erde lief.

Da ich in meinen Biographien Duldung
und eine vielseitige Gerechtigkeit gegen alle
Karaktere lehren will: so muß ich hier mit
meinem Muster der Toleranz vorangehen, in¬
dem ich von Falterle bemerke, daß seine arme
dünne Seele sich selber nicht unter den steinernen
Gesetztafeln der Etiquette und unterdem hölzernen
Joche eines imponirenden Standes aufzubrin¬
gen vermochte. Wem that der arme Teufel et¬
was an? Nicht einmal Damen, für welche er
zwar gleich einem Kupferstecher, immer vor dem
Spiegel arbeitete an seinem Ich, allein nur um
mit diesem Kunstwerke, gleich andern Figuri¬
sten reine Schönheiten darzustellen, nicht

N 2

niedlichen freundlichen Falterle mit jener hei¬
ligen erſten Menſchenliebe, womit ein
Kinderherz ſich an alle Leute des Hauſes und
des Dorfes anklammert, ſchon darum lieb,
weil den Wiener eine Dame um den Goldfin¬
ger, ja innen um den Goldring ſelber aufwik¬
keln konnte und weil er vom Ritter des gold¬
nen Vlieſſes wie von einem Könige ſprach und
log, und weil er die gefälligſte Haut war, die
je über die Erde lief.

Da ich in meinen Biographien Duldung
und eine vielſeitige Gerechtigkeit gegen alle
Karaktere lehren will: ſo muß ich hier mit
meinem Muſter der Toleranz vorangehen, in¬
dem ich von Falterle bemerke, daß ſeine arme
dünne Seele ſich ſelber nicht unter den ſteinernen
Geſetztafeln der Etiquette und unterdem hölzernen
Joche eines imponirenden Standes aufzubrin¬
gen vermochte. Wem that der arme Teufel et¬
was an? Nicht einmal Damen, für welche er
zwar gleich einem Kupferſtecher, immer vor dem
Spiegel arbeitete an ſeinem Ich, allein nur um
mit dieſem Kunſtwerke, gleich andern Figuri¬
ſten reine Schönheiten darzuſtellen, nicht

N 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0215" n="195"/>
niedlichen freundlichen Falterle mit jener hei¬<lb/>
ligen <hi rendition="#g">er&#x017F;ten Men&#x017F;chenliebe</hi>, womit ein<lb/>
Kinderherz &#x017F;ich an alle Leute des Hau&#x017F;es und<lb/>
des Dorfes anklammert, &#x017F;chon darum lieb,<lb/>
weil den Wiener eine Dame um den Goldfin¬<lb/>
ger, ja innen um den Goldring &#x017F;elber aufwik¬<lb/>
keln konnte und weil er vom Ritter des gold¬<lb/>
nen Vlie&#x017F;&#x017F;es wie von einem Könige &#x017F;prach und<lb/>
log, und weil er die gefällig&#x017F;te Haut war, die<lb/>
je über die Erde lief.</p><lb/>
          <p>Da ich in meinen Biographien Duldung<lb/>
und eine viel&#x017F;eitige Gerechtigkeit gegen alle<lb/>
Karaktere lehren will: &#x017F;o muß ich hier mit<lb/>
meinem Mu&#x017F;ter der Toleranz vorangehen, in¬<lb/>
dem ich von Falterle bemerke, daß &#x017F;eine arme<lb/>
dünne Seele &#x017F;ich &#x017F;elber nicht unter den &#x017F;teinernen<lb/>
Ge&#x017F;etztafeln der Etiquette und unterdem hölzernen<lb/>
Joche eines imponirenden Standes aufzubrin¬<lb/>
gen vermochte. Wem that der arme Teufel et¬<lb/>
was an? Nicht einmal Damen, für welche er<lb/>
zwar gleich einem Kupfer&#x017F;techer, immer vor dem<lb/>
Spiegel arbeitete an &#x017F;einem Ich, allein nur um<lb/>
mit die&#x017F;em Kun&#x017F;twerke, gleich andern Figuri¬<lb/>
&#x017F;ten reine Schönheiten <hi rendition="#g">darzu&#x017F;tellen</hi>, nicht<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">N 2<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[195/0215] niedlichen freundlichen Falterle mit jener hei¬ ligen erſten Menſchenliebe, womit ein Kinderherz ſich an alle Leute des Hauſes und des Dorfes anklammert, ſchon darum lieb, weil den Wiener eine Dame um den Goldfin¬ ger, ja innen um den Goldring ſelber aufwik¬ keln konnte und weil er vom Ritter des gold¬ nen Vlieſſes wie von einem Könige ſprach und log, und weil er die gefälligſte Haut war, die je über die Erde lief. Da ich in meinen Biographien Duldung und eine vielſeitige Gerechtigkeit gegen alle Karaktere lehren will: ſo muß ich hier mit meinem Muſter der Toleranz vorangehen, in¬ dem ich von Falterle bemerke, daß ſeine arme dünne Seele ſich ſelber nicht unter den ſteinernen Geſetztafeln der Etiquette und unterdem hölzernen Joche eines imponirenden Standes aufzubrin¬ gen vermochte. Wem that der arme Teufel et¬ was an? Nicht einmal Damen, für welche er zwar gleich einem Kupferſtecher, immer vor dem Spiegel arbeitete an ſeinem Ich, allein nur um mit dieſem Kunſtwerke, gleich andern Figuri¬ ſten reine Schönheiten darzuſtellen, nicht N 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/215
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/215>, abgerufen am 19.04.2024.