Der inkarzerirte Direktor arbeitete im Thier¬ kasten wie ein wedelnder Leopard und sein Grimm sprang, wie ein Löwe, den ein Jäger nach dem andern anschießet, gegen den dritten an. Alban sägte auf allen Fall im Stricke hin und her. Der Schachtelmagister war am be¬ sten dran; denn er war halbtodt und vernahm hinter seinem in saurem Angstschweiße geronnenen kalten Körper wenig mehr von der Außenwelt, sein Ich war fest und gut wie Schnupftabak, in kühles Blei verpackt. --
Ach mit dem geängstigten Knaben leid' ich stärker, als säß' ich mit auf der Stange; seinem rührend-edlen Angesichte mit der feinge¬ bogenen Nase wirft die westliche Aurora und die Schaam den Purpur über und die tiefe Sonne hängt sich küssend an seine Wangen gleichsam an die letzten und höchsten Rosen der dunkeln Erde; und er muß die trotzig-blickenden Augen von der geliebten Sonne und von dem Tage, der noch auf ihr wohnt, und von den beiden Lindenstädter Thurmknöpfen, die zu ihren Sei¬ ten glimmen, wegziehen und die kräftig-ge¬ zeichneten und scharf-winklichten Augenlieder,
Der inkarzerirte Direktor arbeitete im Thier¬ kaſten wie ein wedelnder Leopard und ſein Grimm ſprang, wie ein Löwe, den ein Jäger nach dem andern anſchießet, gegen den dritten an. Alban ſägte auf allen Fall im Stricke hin und her. Der Schachtelmagiſter war am be¬ ſten dran; denn er war halbtodt und vernahm hinter ſeinem in ſaurem Angſtſchweiße geronnenen kalten Körper wenig mehr von der Außenwelt, ſein Ich war feſt und gut wie Schnupftabak, in kühles Blei verpackt. —
Ach mit dem geängſtigten Knaben leid' ich ſtärker, als ſäß' ich mit auf der Stange; ſeinem rührend-edlen Angeſichte mit der feinge¬ bogenen Naſe wirft die weſtliche Aurora und die Schaam den Purpur über und die tiefe Sonne hängt ſich küſſend an ſeine Wangen gleichſam an die letzten und höchſten Roſen der dunkeln Erde; und er muß die trotzig-blickenden Augen von der geliebten Sonne und von dem Tage, der noch auf ihr wohnt, und von den beiden Lindenſtädter Thurmknöpfen, die zu ihren Sei¬ ten glimmen, wegziehen und die kräftig-ge¬ zeichneten und ſcharf-winklichten Augenlieder,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0172"n="152"/><p>Der inkarzerirte Direktor arbeitete im Thier¬<lb/>
kaſten wie ein wedelnder Leopard und ſein<lb/>
Grimm ſprang, wie ein Löwe, den ein Jäger<lb/>
nach dem andern anſchießet, gegen den dritten<lb/>
an. Alban ſägte auf allen Fall im Stricke hin<lb/>
und her. Der Schachtelmagiſter war am be¬<lb/>ſten dran; denn er war halbtodt und vernahm<lb/>
hinter ſeinem in ſaurem Angſtſchweiße geronnenen<lb/>
kalten Körper wenig mehr von der Außenwelt,<lb/>ſein Ich war feſt und gut wie Schnupftabak,<lb/>
in kühles Blei verpackt. —</p><lb/><p>Ach mit dem geängſtigten Knaben leid'<lb/>
ich ſtärker, als ſäß' ich mit auf der Stange;<lb/>ſeinem rührend-edlen Angeſichte mit der feinge¬<lb/>
bogenen Naſe wirft die weſtliche Aurora und die<lb/>
Schaam den Purpur über und die tiefe Sonne<lb/>
hängt ſich küſſend an ſeine Wangen gleichſam<lb/>
an die letzten und höchſten Roſen der dunkeln<lb/>
Erde; und er muß die trotzig-blickenden Augen<lb/>
von der geliebten Sonne und von dem Tage,<lb/>
der noch auf ihr wohnt, und von den beiden<lb/>
Lindenſtädter Thurmknöpfen, die zu ihren Sei¬<lb/>
ten glimmen, wegziehen und die kräftig-ge¬<lb/>
zeichneten und ſcharf-winklichten Augenlieder,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[152/0172]
Der inkarzerirte Direktor arbeitete im Thier¬
kaſten wie ein wedelnder Leopard und ſein
Grimm ſprang, wie ein Löwe, den ein Jäger
nach dem andern anſchießet, gegen den dritten
an. Alban ſägte auf allen Fall im Stricke hin
und her. Der Schachtelmagiſter war am be¬
ſten dran; denn er war halbtodt und vernahm
hinter ſeinem in ſaurem Angſtſchweiße geronnenen
kalten Körper wenig mehr von der Außenwelt,
ſein Ich war feſt und gut wie Schnupftabak,
in kühles Blei verpackt. —
Ach mit dem geängſtigten Knaben leid'
ich ſtärker, als ſäß' ich mit auf der Stange;
ſeinem rührend-edlen Angeſichte mit der feinge¬
bogenen Naſe wirft die weſtliche Aurora und die
Schaam den Purpur über und die tiefe Sonne
hängt ſich küſſend an ſeine Wangen gleichſam
an die letzten und höchſten Roſen der dunkeln
Erde; und er muß die trotzig-blickenden Augen
von der geliebten Sonne und von dem Tage,
der noch auf ihr wohnt, und von den beiden
Lindenſtädter Thurmknöpfen, die zu ihren Sei¬
ten glimmen, wegziehen und die kräftig-ge¬
zeichneten und ſcharf-winklichten Augenlieder,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/172>, abgerufen am 20.04.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.