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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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gen, und lange Ströme nur wie graue zwi¬
schen ein paar Länder gezogne schlaffe Seile
und Wiesen und Hügel nur in kleine Farben¬
körner und gefärbte Schatten eingekrochen zu
sehen -- und endlich auf eine Thurmspitze her¬
abzufallen, und sich der brennenden Abend¬
sonne gegenüberzustellen, und dann aufzuflie¬
gen, wenn sie versunken ist und noch einmal
zu ihrem in der Gruft der Nacht hell und offen
fortblickenden Auge niederzuschauen, und end¬
lich, wenn sich der Erdball darüber wirft, trun¬
ken in den Waldbrand aller rothen Wolken
hineinzuflattern! . . .

Woher kommt es, daß diese körperlichen
Flügel uns wie geistige heben? Woher hatte
unser Albano diese unbezwingliche Sehnsucht
nach Höhen, nach dem Weberschiffe des Schie¬
ferdeckers, nach Bergspitzen, nach dem Luft¬
schiffe, gleichsam als wären diese die Bettaufhel¬
fer vom tiefen Erdenlager? Ach du lieber Be¬
trogener! Deine noch von der Puppenhaut be¬
deckte Seele vermengt noch den Umkreis des
Auges mit dem Umkreise des Herzens und die
äußere Erhebung mit der innern, und steigt

gen, und lange Ströme nur wie graue zwi¬
ſchen ein paar Länder gezogne ſchlaffe Seile
und Wieſen und Hügel nur in kleine Farben¬
körner und gefärbte Schatten eingekrochen zu
ſehen — und endlich auf eine Thurmſpitze her¬
abzufallen, und ſich der brennenden Abend¬
ſonne gegenüberzuſtellen, und dann aufzuflie¬
gen, wenn ſie verſunken iſt und noch einmal
zu ihrem in der Gruft der Nacht hell und offen
fortblickenden Auge niederzuſchauen, und end¬
lich, wenn ſich der Erdball darüber wirft, trun¬
ken in den Waldbrand aller rothen Wolken
hineinzuflattern! . . .

Woher kommt es, daß dieſe körperlichen
Flügel uns wie geiſtige heben? Woher hatte
unſer Albano dieſe unbezwingliche Sehnſucht
nach Höhen, nach dem Weberſchiffe des Schie¬
ferdeckers, nach Bergſpitzen, nach dem Luft¬
ſchiffe, gleichſam als wären dieſe die Bettaufhel¬
fer vom tiefen Erdenlager? Ach du lieber Be¬
trogener! Deine noch von der Puppenhaut be¬
deckte Seele vermengt noch den Umkreis des
Auges mit dem Umkreiſe des Herzens und die
äußere Erhebung mit der innern, und ſteigt

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[136/0156] gen, und lange Ströme nur wie graue zwi¬ ſchen ein paar Länder gezogne ſchlaffe Seile und Wieſen und Hügel nur in kleine Farben¬ körner und gefärbte Schatten eingekrochen zu ſehen — und endlich auf eine Thurmſpitze her¬ abzufallen, und ſich der brennenden Abend¬ ſonne gegenüberzuſtellen, und dann aufzuflie¬ gen, wenn ſie verſunken iſt und noch einmal zu ihrem in der Gruft der Nacht hell und offen fortblickenden Auge niederzuſchauen, und end¬ lich, wenn ſich der Erdball darüber wirft, trun¬ ken in den Waldbrand aller rothen Wolken hineinzuflattern! . . . Woher kommt es, daß dieſe körperlichen Flügel uns wie geiſtige heben? Woher hatte unſer Albano dieſe unbezwingliche Sehnſucht nach Höhen, nach dem Weberſchiffe des Schie¬ ferdeckers, nach Bergſpitzen, nach dem Luft¬ ſchiffe, gleichſam als wären dieſe die Bettaufhel¬ fer vom tiefen Erdenlager? Ach du lieber Be¬ trogener! Deine noch von der Puppenhaut be¬ deckte Seele vermengt noch den Umkreis des Auges mit dem Umkreiſe des Herzens und die äußere Erhebung mit der innern, und ſteigt

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/156>, abgerufen am 19.04.2024.