Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite

gar nicht fassen, was der Schauspieldirektor
dieser Todtengräberßene eigentlich mit allem
haben wollen.

Den einzigen Trost behielt der Bibliothe¬
kar, daß Alban an seinem Geburtstage dem
Herzen ohne Brust eine Visite abzustatten habe,
die er nur -- bleiben lassen dürfe, um aus dem
Seher einen Myopen und Lügner zu fertigen:
"wollte Gott (sagt' er) mir verkündigte einmal
"ein Ezechiel, daß ich ihn an den, Galgen brin¬
"gen würde -- ich that' es um keinen Preis,
"sondern brächte ihn ohne Gnade statt um den
"Hals um Kredit und Kopf." -- Auch seinem
ungläubigen Vater schrieb Albano noch unter¬
wegs mit einigem Erröthen die unglaubliche
Historie; denn er hatte zu wenig Jahre und zu
viel Kraft und Trotz, um Zurückhaltung an sich
oder andern zu lieben. Nur weiche Blattwick¬
ler- und Igel-Seelen ringeln und krempen sich
vor jedem Finger in sich zusammen; unter dem
offnen Kopfe hängt gern ein offnes Herz.

Endlich kamen sie, da helle Berge und
schattige Wälder genug, wie durchlebte Tage
und Nächte hinter sie zurückgegangen waren,

gar nicht faſſen, was der Schauſpieldirektor
dieſer Todtengräberſzene eigentlich mit allem
haben wollen.

Den einzigen Troſt behielt der Bibliothe¬
kar, daß Alban an ſeinem Geburtstage dem
Herzen ohne Bruſt eine Viſite abzuſtatten habe,
die er nur — bleiben laſſen dürfe, um aus dem
Seher einen Myopen und Lügner zu fertigen:
„wollte Gott (ſagt' er) mir verkündigte einmal
„ein Ezechiel, daß ich ihn an den, Galgen brin¬
„gen würde — ich that' es um keinen Preis,
„ſondern brächte ihn ohne Gnade ſtatt um den
„Hals um Kredit und Kopf.“ — Auch ſeinem
ungläubigen Vater ſchrieb Albano noch unter¬
wegs mit einigem Erröthen die unglaubliche
Hiſtorie; denn er hatte zu wenig Jahre und zu
viel Kraft und Trotz, um Zurückhaltung an ſich
oder andern zu lieben. Nur weiche Blattwick¬
ler- und Igel-Seelen ringeln und krempen ſich
vor jedem Finger in ſich zuſammen; unter dem
offnen Kopfe hängt gern ein offnes Herz.

Endlich kamen ſie, da helle Berge und
ſchattige Wälder genug, wie durchlebte Tage
und Nächte hinter ſie zurückgegangen waren,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0140" n="120"/>
gar nicht fa&#x017F;&#x017F;en, was der Schau&#x017F;pieldirektor<lb/>
die&#x017F;er Todtengräber&#x017F;zene eigentlich mit allem<lb/>
haben wollen.</p><lb/>
          <p>Den einzigen Tro&#x017F;t behielt der Bibliothe¬<lb/>
kar, daß Alban an &#x017F;einem Geburtstage dem<lb/>
Herzen ohne Bru&#x017F;t eine Vi&#x017F;ite abzu&#x017F;tatten habe,<lb/>
die er nur &#x2014; bleiben la&#x017F;&#x017F;en dürfe, um aus dem<lb/>
Seher einen Myopen und Lügner zu fertigen:<lb/>
&#x201E;wollte Gott (&#x017F;agt' er) mir verkündigte einmal<lb/>
&#x201E;ein Ezechiel, daß ich ihn an den, Galgen brin¬<lb/>
&#x201E;gen würde &#x2014; ich that' es um keinen Preis,<lb/>
&#x201E;&#x017F;ondern brächte ihn ohne Gnade &#x017F;tatt um den<lb/>
&#x201E;Hals um Kredit und Kopf.&#x201C; &#x2014; Auch &#x017F;einem<lb/>
ungläubigen Vater &#x017F;chrieb Albano noch unter¬<lb/>
wegs mit einigem Erröthen die unglaubliche<lb/>
Hi&#x017F;torie; denn er hatte zu wenig Jahre und zu<lb/>
viel Kraft und Trotz, um Zurückhaltung an &#x017F;ich<lb/>
oder andern zu lieben. Nur weiche Blattwick¬<lb/>
ler- und Igel-Seelen ringeln und krempen &#x017F;ich<lb/>
vor jedem Finger in &#x017F;ich zu&#x017F;ammen; unter dem<lb/>
offnen Kopfe hängt gern ein offnes Herz.</p><lb/>
          <p>Endlich kamen &#x017F;ie, da helle Berge und<lb/>
&#x017F;chattige Wälder genug, wie durchlebte Tage<lb/>
und Nächte hinter &#x017F;ie zurückgegangen waren,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[120/0140] gar nicht faſſen, was der Schauſpieldirektor dieſer Todtengräberſzene eigentlich mit allem haben wollen. Den einzigen Troſt behielt der Bibliothe¬ kar, daß Alban an ſeinem Geburtstage dem Herzen ohne Bruſt eine Viſite abzuſtatten habe, die er nur — bleiben laſſen dürfe, um aus dem Seher einen Myopen und Lügner zu fertigen: „wollte Gott (ſagt' er) mir verkündigte einmal „ein Ezechiel, daß ich ihn an den, Galgen brin¬ „gen würde — ich that' es um keinen Preis, „ſondern brächte ihn ohne Gnade ſtatt um den „Hals um Kredit und Kopf.“ — Auch ſeinem ungläubigen Vater ſchrieb Albano noch unter¬ wegs mit einigem Erröthen die unglaubliche Hiſtorie; denn er hatte zu wenig Jahre und zu viel Kraft und Trotz, um Zurückhaltung an ſich oder andern zu lieben. Nur weiche Blattwick¬ ler- und Igel-Seelen ringeln und krempen ſich vor jedem Finger in ſich zuſammen; unter dem offnen Kopfe hängt gern ein offnes Herz. Endlich kamen ſie, da helle Berge und ſchattige Wälder genug, wie durchlebte Tage und Nächte hinter ſie zurückgegangen waren,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/140
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/140>, abgerufen am 23.04.2024.