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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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"wuchs brausend, das Gewitter senkte sich und
"drückte das Wölkchen voraus, aber er konnt'
"es nicht berühren. Da riß er seine Adern auf
"und rief: ich habe keine Thränen mehr, Ge¬
"liebte, aber all' mein Blut will ich für dich
"vergießen, damit ich dein Herz erreiche. Un¬
"ter dem Bluten drang die Säule höher und
"schneller auf -- der weite blaue Aether wehte
"und das Gewitter verstäubte und alle ver¬
"schlungnen Sterne traten mit lebendigen Blik¬
"ken heraus -- das flatternde freie Wölkchen
"schwebte blitzend zur Säule nieder -- das
"blaue Auge that sich in der Nähe langsam
"auf und schneller zu und hüllte sich tiefer in
"sein Licht; aber ein leiser Seufzer sagte in der
"Wolke: zieh mich in dein Herz! -- O da schlang
"er die Arme durch die Blitze und schlug den
"Nebel weg, und riß eine weiße Gestalt wie
"aus Mondlicht gebildet an die Brust voll
"Gluth -- Aber ach der zerrinnende Lichtschnee
"entwich den heißen Armen -- die Geliebte ver¬
"gieng und wurde eine Thräne und die war¬
"me Thräne drang durch seine Brust und sank
"in sein Herz und brannte darin und es rann

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„wuchs brauſend, das Gewitter ſenkte ſich und
„drückte das Wölkchen voraus, aber er konnt'
„es nicht berühren. Da riß er ſeine Adern auf
„und rief: ich habe keine Thränen mehr, Ge¬
„liebte, aber all' mein Blut will ich für dich
„vergießen, damit ich dein Herz erreiche. Un¬
„ter dem Bluten drang die Säule höher und
„ſchneller auf — der weite blaue Aether wehte
„und das Gewitter verſtäubte und alle ver¬
„ſchlungnen Sterne traten mit lebendigen Blik¬
„ken heraus — das flatternde freie Wölkchen
„ſchwebte blitzend zur Säule nieder — das
„blaue Auge that ſich in der Nähe langſam
„auf und ſchneller zu und hüllte ſich tiefer in
„ſein Licht; aber ein leiſer Seufzer ſagte in der
„Wolke: zieh mich in dein Herz! — O da ſchlang
„er die Arme durch die Blitze und ſchlug den
„Nebel weg, und riß eine weiße Geſtalt wie
„aus Mondlicht gebildet an die Bruſt voll
„Gluth — Aber ach der zerrinnende Lichtſchnee
„entwich den heißen Armen — die Geliebte ver¬
„gieng und wurde eine Thräne und die war¬
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„in ſein Herz und brannte darin und es rann

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[83/0103] „wuchs brauſend, das Gewitter ſenkte ſich und „drückte das Wölkchen voraus, aber er konnt' „es nicht berühren. Da riß er ſeine Adern auf „und rief: ich habe keine Thränen mehr, Ge¬ „liebte, aber all' mein Blut will ich für dich „vergießen, damit ich dein Herz erreiche. Un¬ „ter dem Bluten drang die Säule höher und „ſchneller auf — der weite blaue Aether wehte „und das Gewitter verſtäubte und alle ver¬ „ſchlungnen Sterne traten mit lebendigen Blik¬ „ken heraus — das flatternde freie Wölkchen „ſchwebte blitzend zur Säule nieder — das „blaue Auge that ſich in der Nähe langſam „auf und ſchneller zu und hüllte ſich tiefer in „ſein Licht; aber ein leiſer Seufzer ſagte in der „Wolke: zieh mich in dein Herz! — O da ſchlang „er die Arme durch die Blitze und ſchlug den „Nebel weg, und riß eine weiße Geſtalt wie „aus Mondlicht gebildet an die Bruſt voll „Gluth — Aber ach der zerrinnende Lichtſchnee „entwich den heißen Armen — die Geliebte ver¬ „gieng und wurde eine Thräne und die war¬ „me Thräne drang durch ſeine Bruſt und ſank „in ſein Herz und brannte darin und es rann F 2

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/103>, abgerufen am 29.03.2024.