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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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te allzeit eben den Rücken dem Ufer zu, an das
sie anzurudern streben) -- sondern aus einem noch
sonderbarern Grunde war der Auxiliarforstmeister
zu entrathen: die Ernestine wollte nemlich um alles
gern schachmatt werden und eben deswegen spiel¬
te sie so gut. Denn aus Rache gegen das zögernde
Schicksal arbeitet man gerade Dingen, die von ihm
abhängen, absichtlich entgegen und wünschet sie
doch. Die zwei kriegenden Mächte wurden zwar
einander immer lieber, eben weil sie einander ein¬
zubüßen fürchteten; gleichwohl stands in den Kräf¬
ten der weiblichen nicht, nur Einen Zug zu unter¬
lassen, der gegen ihre doppelseitige Wünsche stritt:
in fünf Wochen konnte der Werbeoffizier nicht Ein¬
mal sagen: Schach der Königin. Die Weiber spie¬
len ohnehin dieses Königsspiel (wie andre Königs¬
spiele) recht gut . . . Da aber das eine Digression
der Natur zu seyn scheint und doch keine ist: so
kann eine schriftstellerische daraus gemacht werden,
aber erst im 20sten Sektor; weil ich erst ein Paar
Monate geschrieben haben muß, bis ich den Leser
so eingesponnen habe, daß ich ihn werfen kann wie
ich nur will.

te allzeit eben den Ruͤcken dem Ufer zu, an das
ſie anzurudern ſtreben) — ſondern aus einem noch
ſonderbarern Grunde war der Auxiliarforſtmeiſter
zu entrathen: die Erneſtine wollte nemlich um alles
gern ſchachmatt werden und eben deswegen ſpiel¬
te ſie ſo gut. Denn aus Rache gegen das zoͤgernde
Schickſal arbeitet man gerade Dingen, die von ihm
abhaͤngen, abſichtlich entgegen und wuͤnſchet ſie
doch. Die zwei kriegenden Maͤchte wurden zwar
einander immer lieber, eben weil ſie einander ein¬
zubuͤßen fuͤrchteten; gleichwohl ſtands in den Kraͤf¬
ten der weiblichen nicht, nur Einen Zug zu unter¬
laſſen, der gegen ihre doppelſeitige Wuͤnſche ſtritt:
in fuͤnf Wochen konnte der Werbeoffizier nicht Ein¬
mal ſagen: Schach der Koͤnigin. Die Weiber ſpie¬
len ohnehin dieſes Koͤnigsſpiel (wie andre Koͤnigs¬
ſpiele) recht gut . . . Da aber das eine Digreſſion
der Natur zu ſeyn ſcheint und doch keine iſt: ſo
kann eine ſchriftſtelleriſche daraus gemacht werden,
aber erſt im 20ſten Sektor; weil ich erſt ein Paar
Monate geſchrieben haben muß, bis ich den Leſer
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[8/0044] te allzeit eben den Ruͤcken dem Ufer zu, an das ſie anzurudern ſtreben) — ſondern aus einem noch ſonderbarern Grunde war der Auxiliarforſtmeiſter zu entrathen: die Erneſtine wollte nemlich um alles gern ſchachmatt werden und eben deswegen ſpiel¬ te ſie ſo gut. Denn aus Rache gegen das zoͤgernde Schickſal arbeitet man gerade Dingen, die von ihm abhaͤngen, abſichtlich entgegen und wuͤnſchet ſie doch. Die zwei kriegenden Maͤchte wurden zwar einander immer lieber, eben weil ſie einander ein¬ zubuͤßen fuͤrchteten; gleichwohl ſtands in den Kraͤf¬ ten der weiblichen nicht, nur Einen Zug zu unter¬ laſſen, der gegen ihre doppelſeitige Wuͤnſche ſtritt: in fuͤnf Wochen konnte der Werbeoffizier nicht Ein¬ mal ſagen: Schach der Koͤnigin. Die Weiber ſpie¬ len ohnehin dieſes Koͤnigsſpiel (wie andre Koͤnigs¬ ſpiele) recht gut . . . Da aber das eine Digreſſion der Natur zu ſeyn ſcheint und doch keine iſt: ſo kann eine ſchriftſtelleriſche daraus gemacht werden, aber erſt im 20ſten Sektor; weil ich erſt ein Paar Monate geſchrieben haben muß, bis ich den Leſer ſo eingeſponnen habe, daß ich ihn werfen kann wie ich nur will.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/44>, abgerufen am 29.03.2024.