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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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Ueber den Plan eines Romans (aber nicht
über die Karaktere) muß man schon aus dem
ersten Bande zu urtheilen Befugniß haben: al¬
le Schönheit und Ründe, mit der die folgen¬
den Bände den Plan aufwickeln, nimmt ja die
Fehler und Sprünge nicht weg, die er im er¬
sten hatte. Ich wüste überhaupt keinen Band
und kein Heft worin der Autor Recht hätte,
den Leser zu ärgern. Die Nähe des Schneeber¬
ges hindert mich, es zu beweisen, daß die
französische Art zu erzählen (z. B. im Kandide)
die abscheulichste von der Welt und daß bloß die
umständliche, dem Homer oder Voß oder ge¬
meinen Manne abgesehene Art die interessante¬
ste ist. Ferner käm' ich auf dem Schneeberg
an, eh' ichs mir halb hinans bewiesen hätte,
daß wir Bellettristen (ein abscheulicher Name!)
insgesammt zwar den Aristoteles für unsern ma¬
gister sententiarum
und seine Gebote für unsre
39 Artikel und 50 Dezisionen halten sollten --
daß wir aber doch für nichts von ihm so viele
Achtung zu tragen hätten, als für seine drei

Ein¬

Ueber den Plan eines Romans (aber nicht
uͤber die Karaktere) muß man ſchon aus dem
erſten Bande zu urtheilen Befugniß haben: al¬
le Schoͤnheit und Ruͤnde, mit der die folgen¬
den Baͤnde den Plan aufwickeln, nimmt ja die
Fehler und Spruͤnge nicht weg, die er im er¬
ſten hatte. Ich wuͤſte uͤberhaupt keinen Band
und kein Heft worin der Autor Recht haͤtte,
den Leſer zu aͤrgern. Die Naͤhe des Schneeber¬
ges hindert mich, es zu beweiſen, daß die
franzoͤſiſche Art zu erzaͤhlen (z. B. im Kandide)
die abſcheulichſte von der Welt und daß bloß die
umſtaͤndliche, dem Homer oder Voß oder ge¬
meinen Manne abgeſehene Art die intereſſante¬
ſte iſt. Ferner kaͤm' ich auf dem Schneeberg
an, eh' ichs mir halb hinans bewieſen haͤtte,
daß wir Bellettriſten (ein abſcheulicher Name!)
insgeſammt zwar den Ariſtoteles fuͤr unſern ma¬
gister ſententiarum
und ſeine Gebote fuͤr unſre
39 Artikel und 50 Deziſionen halten ſollten —
daß wir aber doch fuͤr nichts von ihm ſo viele
Achtung zu tragen haͤtten, als fuͤr ſeine drei

Ein¬
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[XVI/0028] Ueber den Plan eines Romans (aber nicht uͤber die Karaktere) muß man ſchon aus dem erſten Bande zu urtheilen Befugniß haben: al¬ le Schoͤnheit und Ruͤnde, mit der die folgen¬ den Baͤnde den Plan aufwickeln, nimmt ja die Fehler und Spruͤnge nicht weg, die er im er¬ ſten hatte. Ich wuͤſte uͤberhaupt keinen Band und kein Heft worin der Autor Recht haͤtte, den Leſer zu aͤrgern. Die Naͤhe des Schneeber¬ ges hindert mich, es zu beweiſen, daß die franzoͤſiſche Art zu erzaͤhlen (z. B. im Kandide) die abſcheulichſte von der Welt und daß bloß die umſtaͤndliche, dem Homer oder Voß oder ge¬ meinen Manne abgeſehene Art die intereſſante¬ ſte iſt. Ferner kaͤm' ich auf dem Schneeberg an, eh' ichs mir halb hinans bewieſen haͤtte, daß wir Bellettriſten (ein abſcheulicher Name!) insgeſammt zwar den Ariſtoteles fuͤr unſern ma¬ gister ſententiarum und ſeine Gebote fuͤr unſre 39 Artikel und 50 Deziſionen halten ſollten — daß wir aber doch fuͤr nichts von ihm ſo viele Achtung zu tragen haͤtten, als fuͤr ſeine drei Ein¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. XVI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/28>, abgerufen am 29.03.2024.