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Jean Paul: D. Katzenbergers Badereise. Bd. 1. Heidelberg, 1809.

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rektor den Dichter erhob, desto mehr erzürnte
sich der Edelmann. Doch blieben beyde, Nieß
und Theudobach, so fest und fein und studirten
die Menschen, und wollten weniger die Schuld-
ner einer (dichterischen) Vergangenheit seyn,
als einer (prosaischen) Gegenwart; Nieß wollte
zugleich als Münzer und als Münze gelten.

Vom Dichten kommt man leicht aufs Lieben,
und indem man ideale Karaktere kritisirt, pro-
duzirt man leicht den eigenen, und ein gedruck-
ter Roman wird das Getriebe und Leitzeug eines
lebendigen. Würfel stach hier mehr durch Fein-
heit hervor, Nieß durch Keckheit. Jener zeigte
einen Grad von romantischer Delikatesse, der
seinen Stand verrieth, nämlich den mittlern.
Ich kann hier aus eigner Erfahrung die Weiber
der höhern Stände versichern, daß, wenn sie
eine romantischere zärtere Liebe kennen wollen
als die galante, höhnende, atheistische ihrer
Weltleute, sie solche in meinem Stande finden
können, wo mehr Begeisterung, mehr Dichter-
Liebe, und weniger Erfahrung herrscht; und
diese Bemerkung sollte mich freuen, wenn ich

rektor den Dichter erhob, deſto mehr erzuͤrnte
ſich der Edelmann. Doch blieben beyde, Nieß
und Theudobach, ſo feſt und fein und ſtudirten
die Menſchen, und wollten weniger die Schuld-
ner einer (dichteriſchen) Vergangenheit ſeyn,
als einer (proſaiſchen) Gegenwart; Nieß wollte
zugleich als Muͤnzer und als Muͤnze gelten.

Vom Dichten kommt man leicht aufs Lieben,
und indem man ideale Karaktere kritiſirt, pro-
duzirt man leicht den eigenen, und ein gedruck-
ter Roman wird das Getriebe und Leitzeug eines
lebendigen. Wuͤrfel ſtach hier mehr durch Fein-
heit hervor, Nieß durch Keckheit. Jener zeigte
einen Grad von romantiſcher Delikateſſe, der
ſeinen Stand verrieth, naͤmlich den mittlern.
Ich kann hier aus eigner Erfahrung die Weiber
der höhern Staͤnde verſichern, daß, wenn ſie
eine romantiſchere zaͤrtere Liebe kennen wollen
als die galante, höhnende, atheiſtiſche ihrer
Weltleute, ſie ſolche in meinem Stande finden
koͤnnen, wo mehr Begeiſterung, mehr Dichter-
Liebe, und weniger Erfahrung herrſcht; und
dieſe Bemerkung ſollte mich freuen, wenn ich

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[59/0077] rektor den Dichter erhob, deſto mehr erzuͤrnte ſich der Edelmann. Doch blieben beyde, Nieß und Theudobach, ſo feſt und fein und ſtudirten die Menſchen, und wollten weniger die Schuld- ner einer (dichteriſchen) Vergangenheit ſeyn, als einer (proſaiſchen) Gegenwart; Nieß wollte zugleich als Muͤnzer und als Muͤnze gelten. Vom Dichten kommt man leicht aufs Lieben, und indem man ideale Karaktere kritiſirt, pro- duzirt man leicht den eigenen, und ein gedruck- ter Roman wird das Getriebe und Leitzeug eines lebendigen. Wuͤrfel ſtach hier mehr durch Fein- heit hervor, Nieß durch Keckheit. Jener zeigte einen Grad von romantiſcher Delikateſſe, der ſeinen Stand verrieth, naͤmlich den mittlern. Ich kann hier aus eigner Erfahrung die Weiber der höhern Staͤnde verſichern, daß, wenn ſie eine romantiſchere zaͤrtere Liebe kennen wollen als die galante, höhnende, atheiſtiſche ihrer Weltleute, ſie ſolche in meinem Stande finden koͤnnen, wo mehr Begeiſterung, mehr Dichter- Liebe, und weniger Erfahrung herrſcht; und dieſe Bemerkung ſollte mich freuen, wenn ich

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Zitationshilfe: Jean Paul: D. Katzenbergers Badereise. Bd. 1. Heidelberg, 1809, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_katzenberger01_1809/77>, abgerufen am 29.03.2024.