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Jean Paul: D. Katzenbergers Badereise. Bd. 1. Heidelberg, 1809.

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verbeugte sich stufenweise vor jedem. Der Dok-
tor fragte, warum er immer so umkehre? "er
sey so unglücklich gewesen, sein Taschenbuch in
Huhl zu vergessen; und jetzt so glücklich gewor-
den, indem er's hole, eine solche Gesellschaft
immer vor Augen, wenn auch von weitem zu
haben." "So nehmen Sie hier Rücksitz und
Stimme" sagte der Doktor zu Nießens Ver-
wundrung.

Der Winkel-Schul-Direktor war lange
wohl zehnmal adlicher Haus- und Schloß-Leh-
rer gewesen -- hatte mehr als hundert Haus-
bällen zugeschaut, und getraute sich jede adliche
Schülerin noch anzureden, wenn sie mannbar
geworden -- wie der alte Deutsche im Trunke
keusch blieb, so war er stets mitten unter den
feinsten Dessertweinen nicht nur keusch, sondern
auch nüchtern geblieben, weil er den schlechtesten
bekam -- und war überhaupt an den Tischen
seiner Herrn tafelfähig, wenn auch nicht stimm-
fähig gewesen. Dieses Durchwälzen durch die
feine Welt hatt' an ihm so viele elegante Sitten
zurückgelassen, als er zu oft an Spezial- ja an

verbeugte ſich ſtufenweiſe vor jedem. Der Dok-
tor fragte, warum er immer ſo umkehre? „er
ſey ſo ungluͤcklich geweſen, ſein Taſchenbuch in
Huhl zu vergeſſen; und jetzt ſo gluͤcklich gewor-
den, indem er’s hole, eine ſolche Geſellſchaft
immer vor Augen, wenn auch von weitem zu
haben.” „So nehmen Sie hier Ruͤckſitz und
Stimme” ſagte der Doktor zu Nießens Ver-
wundrung.

Der Winkel-Schul-Direktor war lange
wohl zehnmal adlicher Haus- und Schloß-Leh-
rer geweſen — hatte mehr als hundert Haus-
baͤllen zugeſchaut, und getraute ſich jede adliche
Schuͤlerin noch anzureden, wenn ſie mannbar
geworden — wie der alte Deutſche im Trunke
keuſch blieb, ſo war er ſtets mitten unter den
feinſten Deſſertweinen nicht nur keuſch, ſondern
auch nuͤchtern geblieben, weil er den ſchlechteſten
bekam — und war uͤberhaupt an den Tiſchen
ſeiner Herrn tafelfaͤhig, wenn auch nicht ſtimm-
faͤhig geweſen. Dieſes Durchwaͤlzen durch die
feine Welt hatt’ an ihm ſo viele elegante Sitten
zuruͤckgelaſſen, als er zu oft an Spezial- ja an

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[56/0074] verbeugte ſich ſtufenweiſe vor jedem. Der Dok- tor fragte, warum er immer ſo umkehre? „er ſey ſo ungluͤcklich geweſen, ſein Taſchenbuch in Huhl zu vergeſſen; und jetzt ſo gluͤcklich gewor- den, indem er’s hole, eine ſolche Geſellſchaft immer vor Augen, wenn auch von weitem zu haben.” „So nehmen Sie hier Ruͤckſitz und Stimme” ſagte der Doktor zu Nießens Ver- wundrung. Der Winkel-Schul-Direktor war lange wohl zehnmal adlicher Haus- und Schloß-Leh- rer geweſen — hatte mehr als hundert Haus- baͤllen zugeſchaut, und getraute ſich jede adliche Schuͤlerin noch anzureden, wenn ſie mannbar geworden — wie der alte Deutſche im Trunke keuſch blieb, ſo war er ſtets mitten unter den feinſten Deſſertweinen nicht nur keuſch, ſondern auch nuͤchtern geblieben, weil er den ſchlechteſten bekam — und war uͤberhaupt an den Tiſchen ſeiner Herrn tafelfaͤhig, wenn auch nicht ſtimm- faͤhig geweſen. Dieſes Durchwaͤlzen durch die feine Welt hatt’ an ihm ſo viele elegante Sitten zuruͤckgelaſſen, als er zu oft an Spezial- ja an

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Zitationshilfe: Jean Paul: D. Katzenbergers Badereise. Bd. 1. Heidelberg, 1809, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_katzenberger01_1809/74>, abgerufen am 28.03.2024.