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Jean Paul: D. Katzenbergers Badereise. Bd. 1. Heidelberg, 1809.

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auszusprechen und legte sie an einem bekannten
Theudobachischen Schauspiel: "Die zage scheue
Liebe" zergliedernd aus einander. Ein Büh-
nen-Dichter vieler Stücke, oder ein Kunstrich-
ter aller Stücke wird ihm eine Schiff- und Esels-
brücke in ein Weiberherz. Darüber versank doch
der Doktor vor Langerweile aus dem vorgeträum-
ten Schlaf in einen ächten und zwar bald nach
Nießens schönen wahren Worten: "jungfräuliche
Liebe schlummert wol, aber sie träumt doch."

Als er ganz spät aufwachte: sagt' er, halb
im Schlafe: "natürlich schläft sie und träumt dar-
auf." Nur Nießen war dieser ihm zugehörige
Sinnspruch deutlich und erinnerlich, und er
dachte leise: "seht den Dieb!"

Eben watete ihnen im Sande ein Bekannter
der Familie entgegen, der sogleich sich umkehrte,
als er in die Taschen griff und den Wagen er-
blickte. Es ist bekannt, daß es der Winkel-
Schul-Direktor Würfel war, ein feines
Männchen. Der Doktor ließ ihm schnell nach-
fahren, um das Umwenden zu begreifen. Ein-
geholt kehrte der Direktor sich wieder um und

auszuſprechen und legte ſie an einem bekannten
Theudobachiſchen Schauſpiel: „Die zage ſcheue
Liebe” zergliedernd aus einander. Ein Buͤh-
nen-Dichter vieler Stuͤcke, oder ein Kunſtrich-
ter aller Stuͤcke wird ihm eine Schiff- und Eſels-
bruͤcke in ein Weiberherz. Daruͤber verſank doch
der Doktor vor Langerweile aus dem vorgetraͤum-
ten Schlaf in einen aͤchten und zwar bald nach
Nießens ſchoͤnen wahren Worten: „jungfraͤuliche
Liebe ſchlummert wol, aber ſie traͤumt doch.”

Als er ganz ſpaͤt aufwachte: ſagt’ er, halb
im Schlafe: „natuͤrlich ſchlaͤft ſie und traͤumt dar-
auf.” Nur Nießen war dieſer ihm zugehoͤrige
Sinnſpruch deutlich und erinnerlich, und er
dachte leiſe: „ſeht den Dieb!”

Eben watete ihnen im Sande ein Bekannter
der Familie entgegen, der ſogleich ſich umkehrte,
als er in die Taſchen griff und den Wagen er-
blickte. Es iſt bekannt, daß es der Winkel-
Schul-Direktor Wuͤrfel war, ein feines
Maͤnnchen. Der Doktor ließ ihm ſchnell nach-
fahren, um das Umwenden zu begreifen. Ein-
geholt kehrte der Direktor ſich wieder um und

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[55/0073] auszuſprechen und legte ſie an einem bekannten Theudobachiſchen Schauſpiel: „Die zage ſcheue Liebe” zergliedernd aus einander. Ein Buͤh- nen-Dichter vieler Stuͤcke, oder ein Kunſtrich- ter aller Stuͤcke wird ihm eine Schiff- und Eſels- bruͤcke in ein Weiberherz. Daruͤber verſank doch der Doktor vor Langerweile aus dem vorgetraͤum- ten Schlaf in einen aͤchten und zwar bald nach Nießens ſchoͤnen wahren Worten: „jungfraͤuliche Liebe ſchlummert wol, aber ſie traͤumt doch.” Als er ganz ſpaͤt aufwachte: ſagt’ er, halb im Schlafe: „natuͤrlich ſchlaͤft ſie und traͤumt dar- auf.” Nur Nießen war dieſer ihm zugehoͤrige Sinnſpruch deutlich und erinnerlich, und er dachte leiſe: „ſeht den Dieb!” Eben watete ihnen im Sande ein Bekannter der Familie entgegen, der ſogleich ſich umkehrte, als er in die Taſchen griff und den Wagen er- blickte. Es iſt bekannt, daß es der Winkel- Schul-Direktor Wuͤrfel war, ein feines Maͤnnchen. Der Doktor ließ ihm ſchnell nach- fahren, um das Umwenden zu begreifen. Ein- geholt kehrte der Direktor ſich wieder um und

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Zitationshilfe: Jean Paul: D. Katzenbergers Badereise. Bd. 1. Heidelberg, 1809, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_katzenberger01_1809/73>, abgerufen am 18.04.2024.