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Jean Paul: D. Katzenbergers Badereise. Bd. 1. Heidelberg, 1809.

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tagslebens machen oder heilen könnte: so gibt es
auch eine Geister-Hoffnung und Geister-Liebe,
die nicht Wirkungen sondern Daseyn der
Wesen begehrt, und welche keiner irrdischen
Freude abborgt, sondern höchstens den besten
heimlich darleiht. Unser armes, wundes-volles
Herz habe sich auch nach allen Seiten noch so
oft wieder geschlossen, so bleibt doch daran eine
angeborne Wunde offen, die nur in einem
andern Elemente des Daseyns zufällt, wie
sich am ungebornen Kinderherzen die eyförmige
Oeffnung erst verschließet, wenn es ein leichteres
Leben athmet. Darum wendet sich ja unsere
obere Blatseite, wie bey Blumen, so oft man
sie auch gegen den irrdischen Boden umdrehe,
immer wieder gegen ihre Himmelsseite herum."

"Angeborne Wunde!" wiederholte der Jüng-
ling mit einem Seufzer: unsere Wunde oder un-
ser Himmel ist offen, sagt' ich angefeuert, daß
ist eins und kein Wortspiel. Oder soll der Tod
auch in jener Welt uns wie sklavische Krieger
immer wieder von neuem einquartiren? -- Wir,
jetzt der Libellen-Nymphe gleich, deren vier

tagslebens machen oder heilen koͤnnte: ſo gibt es
auch eine Geiſter-Hoffnung und Geiſter-Liebe,
die nicht Wirkungen ſondern Daſeyn der
Weſen begehrt, und welche keiner irrdiſchen
Freude abborgt, ſondern hoͤchſtens den beſten
heimlich darleiht. Unſer armes, wundes-volles
Herz habe ſich auch nach allen Seiten noch ſo
oft wieder geſchloſſen, ſo bleibt doch daran eine
angeborne Wunde offen, die nur in einem
andern Elemente des Daſeyns zufaͤllt, wie
ſich am ungebornen Kinderherzen die eyförmige
Oeffnung erſt verſchließet, wenn es ein leichteres
Leben athmet. Darum wendet ſich ja unſere
obere Blatſeite, wie bey Blumen, ſo oft man
ſie auch gegen den irrdiſchen Boden umdrehe,
immer wieder gegen ihre Himmelsſeite herum.”

„Angeborne Wunde!” wiederholte der Juͤng-
ling mit einem Seufzer: unſere Wunde oder un-
ſer Himmel iſt offen, ſagt’ ich angefeuert, daß
iſt eins und kein Wortſpiel. Oder ſoll der Tod
auch in jener Welt uns wie ſklaviſche Krieger
immer wieder von neuem einquartiren? — Wir,
jetzt der Libellen-Nymphe gleich, deren vier

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[246/0264] tagslebens machen oder heilen koͤnnte: ſo gibt es auch eine Geiſter-Hoffnung und Geiſter-Liebe, die nicht Wirkungen ſondern Daſeyn der Weſen begehrt, und welche keiner irrdiſchen Freude abborgt, ſondern hoͤchſtens den beſten heimlich darleiht. Unſer armes, wundes-volles Herz habe ſich auch nach allen Seiten noch ſo oft wieder geſchloſſen, ſo bleibt doch daran eine angeborne Wunde offen, die nur in einem andern Elemente des Daſeyns zufaͤllt, wie ſich am ungebornen Kinderherzen die eyförmige Oeffnung erſt verſchließet, wenn es ein leichteres Leben athmet. Darum wendet ſich ja unſere obere Blatſeite, wie bey Blumen, ſo oft man ſie auch gegen den irrdiſchen Boden umdrehe, immer wieder gegen ihre Himmelsſeite herum.” „Angeborne Wunde!” wiederholte der Juͤng- ling mit einem Seufzer: unſere Wunde oder un- ſer Himmel iſt offen, ſagt’ ich angefeuert, daß iſt eins und kein Wortſpiel. Oder ſoll der Tod auch in jener Welt uns wie ſklaviſche Krieger immer wieder von neuem einquartiren? — Wir, jetzt der Libellen-Nymphe gleich, deren vier

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Zitationshilfe: Jean Paul: D. Katzenbergers Badereise. Bd. 1. Heidelberg, 1809, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_katzenberger01_1809/264>, abgerufen am 23.04.2024.